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Trocken, nüchtern, ziemlich deutsch: Kann Friedrich Merz Kanzler?

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Friedrich Merz

©Bild: Getty Images
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In den Merkel-Jahren auf das politische Abstellgleis verfrachtet, hat es CDU-Politiker Friedrich Merz endlich an die Spitze seiner Partei geschafft – und könnte nach der deutschen Bundestagswahl am 23. Februar Kanzler werden. Sein Biograf Volker Resing erklärt, wie seine politische Karriere verlief, was ihn antreibt und warum er heute möglicherweise der richtige Mann zu richtigen Stunde ist.

Friedrich Merz wirkt aus der Entfernung trocken, nüchtern und – verzeihen Sie – ziemlich deutsch. Stimmt dieser Eindruck?

Ob er deutsch rüberkommt, das kann ich natürlich schlecht sagen. In deutscher Diktion würde man sagen, es ist sicher richtig, dass er Westfale ist und kein Rheinländer, also ein etwas nüchterner Typ. Im persönlichen Kontakt ist er aber sehr gewinnend und auch neugierig auf sein Gegenüber.

Ein weiteres in diesem Wahlkampf verbreitetes Vorurteil lautet: Merz sei ein abgehobener Millionär. Ist da etwas dran?

Es gibt wenige Politiker in Deutschland, die schon so lange aktiv sind und so eine wechselvolle Geschichte hinter sich ­haben. Deswegen kleben an ihm auch manche Vorurteile, Klischees und Zuschreibungen, die bei genauerer Betrachtung nicht ganz standhalten. Friedrich Merz, der Kapitalist, der in der Privatwirtschaft Millionen gemacht hat und im Privatflugzeug unterwegs ist, das ist ein Zerrbild, von dem bestimmte Teile aber auch stimmen: Er ist leidenschaftlicher Pilot, und er ist in der ­Privatwirtschaft Millionär geworden. Beliebt ist auch das Bild von Friedrich Merz als konservative, rückwärtsgewandte Person, die, was Frauen- und Familienbild angeht, in den 50er-Jahren tecken geblieben ist. Daran stimmt vieles überhaupt nicht. Er stammt auch nicht aus so spießbürgerlichem Haushalt, wie viele sich jetzt ausmalen. Seine Biografie hat viele Brüche.

Bleiben wir kurz bei dem Vorwurf der Frauenfeindlichkeit. Man wirft Friedrich Merz bis heute vor, 1997 gegen einen Gesetzesentwurf gestimmt zu haben, der die Vergewaltigung in der Ehe ins Strafgesetzbuch aufnehmen sollte. Es sei ihm dabei um eine fehlende Widerspruchsklausel gegangen, erklärte er später, und dass er heute anders abstimmen würde. Lassen wir das so stehen. Aber es fällt schon auf, dass in seinem Beraterumfeld nicht viele Frauen sind, oder?

Ich glaube, das kann man so nicht sagen. Dass ein fast 70-Jähriger nicht die Sprache und den Habitus von Anfang-20-Jährigen hat, das mag schon sein. Aber ­diesen Mythos, dass Merz ein Frauenproblem habe, kann ich nicht bestätigen. Es ist mehr eine Redeweise, die sich ­eingebürgert hat und die sehr klischeehaft mit Frauen umgeht. Robert Habeck soll ein „Frauentyp“ sein und Friedrich Merz nicht – da steckt doch mehr ­politische Interpretation dahinter als nüchterne Analyse. Ich sage immer ­verkürzt, wer mit Charlotte Merz verheiratet ist, kann kein Frauenproblem haben. Die beiden führen eine partnerschaftliche Ehe, haben sich gemeinsam um die Erziehung der Kinder gekümmert; Charlotte Merz war immer berufstätig und hat als Leiterin des Amtsgerichtes Arnsberg Karriere gemacht. Hier stimmt von manchen Klischees das meiste nicht. Konservativ an Merz ist sicher, dass er die Familie sehr hoch schätzt und auch die Trennung von ­Privatem und Politischem höher hält, als das heute üblich ist.

Vielleicht hängt dieses Bild ja auch damit zusammen, dass Merz früh in seiner Karriere in Antagonismus zu einer starken Frau geriet, die seinen politischen Aufstieg zunächst stoppte: Angela Merkel. Wie sehr hat ihn diese Erfahrung geprägt?

Ich bin ja fest davon überzeugt, dass Merz nicht nur an der Macht von Angela Merkel gescheitert ist, sondern auch an der politischen Stimmung im Land. Friedrich Merz verkörpert einen anderen politischen Stil und eine andere ­politische Kultur als Angela Merkel. Er geht davon aus, dass es in der politischen Mitte eine harte Auseinander­setzung geben muss und dass Streit und Konflikt zur demokratischen Kultur ­dazugehören. Er hat in seiner ersten ­politischen Karriere mit dem Stichwort Leitkultur für heftige Gegenreaktionen gesorgt, weil es in seinem Verständnis richtig ist, solche Debatten zu führen. Merkel hat dagegen versucht, harte Konflikte aus der Mitte des politischen Spektrums herauszuholen, die damit aber an die Ränder gedrängt wurden. Am offensichtlichsten ist das beim Thema Migration. Diesen Stil konnte Merz damals nicht mittragen, und es kann sein, dass die Zeit jetzt ein bisschen zu ihm kommt und sein Moment bevorsteht. So war es damals nicht.

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 © Bernd Elmenthaler / Action Press / picturedesk.com

Wie war es denn damals, warum passte Merkel besser hinein?

Nach den großen Veränderungen der 90er-Jahre – Stichwort Wiedervereinigung – und diesen alten Auseinandersetzungen zwischen rechts und links waren viele dieser Konflikte müde und haben sich nach Befriedung gesehnt. Und es gab vielleicht ein zu schwach ausgeprägtes Verständnis davon, dass Demokratie den Streit braucht.

Wenn wir uns weiter lose an der politischen Biografie Friedrich Merz’ entlanghangeln – wie war seine Rolle während der Merkel-Jahre?

Es war ein richtiger Ausstieg. Er ist aus dem Bundestag ausgeschieden und hat als Wirtschaftsanwalt auch Dinge gemacht, die mit Politik gar nichts zu tun haben. Er ist zum Beispiel beim Börsengang der Schweizer Firma Stadler Rail, den er mitorganisiert hat, Millionär ­geworden – das hatte nichts mit seiner vorherigen politischen Tätigkeit zu tun. Er war in dieser Zeit auch im politik­nahen Bereich tätig, aber eben nicht nur. Er selbst sagte über diese Jahre, er habe ein Drittel der Zeit nicht in Deutschland verbracht und die Hälfte seiner Arbeitszeit nicht Deutsch gesprochen. Wirkliche Erfahrung in der Welt der Wirtschaft zu haben, das zeichnet ihn sicher aus.

Man macht es ihm aber auch zum Vorwurf. Merz habe zu wenig politische Führungserfahrung, warnen seine Gegner im Wahlkampf.

Politik neigt dazu, zu sehr in sich zu ­verharren und träge zu werden. Der Blick von außen, den er mitbringt, könnte für Merz sicher ein Vorteil sein. Aber das muss sich erst weisen. Es ist sicherlich etwas Neues, was hier passiert. ­Einen derartigen Kanzler hatten wir noch nie, der keine Regierungs-, aber ­dafür Managementerfahrung in der Wirtschaft hat.

Ist Merz zu wirtschaftsnah?

Es ist interessant, dass es im deutschsprachigen Raum Skepsis gegenüber zu großer Nähe zwischen Politik und Wirtschaft gibt. Ich glaube, man darf sie überwinden. Es ist ein Vorteil, wenn jemand Erfahrung aus unterschiedlichen Bereichen hat. Viele aus der politischen Kaste haben nur Erfahrungen aus dem politischen Bereich – auch da gibt es Seilschaften, Verbindungen, Abhängigkeiten möglicherweise, die transparent sein müssen. Bei Merz ist klar nachvollziehbar, welche Kontakte und Freundschaften es gibt.

Lange Jahre arbeitete Merz als Wirtschaftsanwalt, an der Seitenlinie des politischen Spielfelds, wenn man so will. Jetzt also die Rückkehr in die erste Reihe. Hat man ihm dieses Comeback leicht gemacht oder musste er darum kämpfen?

Man hat sicher nicht auf ihn gewartet, und er musste sich sicher zurückkämpfen. Er hat ja 2018 versucht, Vorsitzender seiner Partei, der CDU, zu werden, und ist gescheitert. Er hat dann – und das ist vielleicht das Überraschendste an diesem Comeback – eine Lernkurve hingelegt. Er hat an sich gearbeitet, sonst ­hätte er es auch nicht geschafft, seine Partei nach 20 Jahren Angela Merkel zu überzeugen, dass er nun der Richtige ist. Und er hat sich neu erfunden, von einem Zuspitzer und einer Projektionsfläche der Konservativen zu einem Moderaten, mit einer CDU, die wieder eine gewisse Bandbreite hat – von konservativ über liberal bis christlich-sozial.

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 © Wolfgang Kumm / EPA / picturedesk.com

Warum hat er sich das angetan?

Reinen Karrierewillen zu unterstellen greift zu kurz, glaube ich. Es ist sicherlich auch das Bewusstsein, dem Land etwas zurückgeben zu wollen, dem Land in einer Krise helfen zu wollen. Dazu kommt die Erfahrung, dass er mit seinen Fähigkeiten etwas bewirken kann, ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Es gibt die Anekdote, dass er sehr zurückhaltend war, ob er in die Politik zurückkehren solle, aber immer wieder angesprochen und dazu ermutigt wurde. Das hat ihn bestärkt.

Friedrich Merz hat sich bereits früh zum Thema Leitkultur geäußert. Jetzt steht die Migrationsfrage wieder weit oben auf seiner politischen Agenda. Ein politisches Lebensthema?

Das würde ich so nicht sagen. Ein Lebens­thema ist für ihn sicherlich die Ökonomie, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands, die für ihn Grundlage jeder Politik ist. Nur wenn es eine gesunde Volkswirtschaft gibt, ist Politik handlungs- und eine Demokratie überlebensfähig. Europa hat ihn ebenfalls sehr geprägt. Seine erste Wahlperiode war ja im Europäischen Parlament. Das Thema Migration steht bei ihm an dieser Kante zur Wirtschaftspolitik: Eine schrumpfende Bevölkerung braucht Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, um den Wohlstand zu erhalten. Aber Zuwanderung in die Sozialsysteme schwächt das Land, ist nicht leistbar und stärkt die populistischen Ränder. Von daher ist dieses Thema schon in den 2000er-Jahren wichtig geworden. Merz hat früh auf Integrationsprobleme hingewiesen – und war sich da übrigens noch sehr einig mit Angela Merkel.

Vor wenigen Wochen hat er sich heftige Proteste eingehandelt, als er im Bundestag einen Antrag zur Abweisung von Asylsuchenden eingebracht hat, dem auch die AfD-Frak­tion zustimmte. Er reiße die Brandmauer gegen rechts nieder, wird ihm vorgeworfen. Warum hat er das gemacht?

Die Frage wäre ein eigenes Interview wert. Tatsächlich wird ja dieser Tage viel nach Österreich geschaut. Ich glaube, es geht zunächst mal um das Bewusstsein, dass die politische Auseinandersetzung um unterschiedliche Vorstellungen in der Migrationspolitik auch über politische Mittel geführt werden muss. Sonst überlässt man dieses Thema den Rändern. Das heißt, wenn die Abgrenzung zu rechts dazu führt, dass die Debatte über Migrationspolitik gar nicht mehr stattfindet, dann ist das ­kontraproduktiv. Dazu kommt als konkreter Grund der brutale Anschlag in Aschaffenburg. Und die Vorstellung, dass es der CDU und seiner persönlichen Glaubwürdigkeit schadet, wenn man in diesem Wahlkampf nicht als jemand sichtbar ist, der handelt und dabei auch ein Risiko eingeht. Das ist vielleicht auch typisch Merz. Er ist jemand, der nicht nur auf Sicht fahren kann, sondern auch Risiken eingeht.

Diese Diskussion führen wir in Österreich schon lange. Das Gegen­argument lautet, man macht die Rechten stark, indem man ihre Themen übernimmt. War Merz’ Schachzug klug?

Die Vorstellung, dass das Thematisieren der Migrationsfrage den Rechten nützt, bewahrheitet sich aber nur dann, wenn ausschließlich gesprochen, aber nicht gehandelt wird. Friedrich Merz wollte durch diese Gesetzesvorlage ja Handlungsfähigkeit beweisen. Aber ob das am Ende des Tages bei der CDU einzahlt, wird man nach der Wahl sehen.

Ist Merz in seiner Ablehnung der AfD glaubwürdig?

Ich halte ihn für sehr glaubwürdig. Er hat es mit seinem politischen Schicksal verbunden. Dass es zu österreichischen Verhältnissen kommen könnte und er sich doch zu einer Zusammenarbeit mit der AfD bereit erklärt, ist aus meiner Sicht völlig undenkbar. Die CDU ist dazu überhaupt nicht bereit.

Was für ein Kanzler wäre Friedrich Merz?

Ich glaube, er wird ein sehr europäischer Kanzler. Ganz anders als Scholz, vielleicht eher wie Helmut Kohl. Er wird versuchen, gegenüber Trump eine europäische Stärke zu organisieren. Inwieweit ihm das gelingen kann in einem Europa, in dem vieles derzeit so offen erscheint – was wird mit Frankreich, was wird mit Italien, den Niederlanden und Polen? –, sei dahingestellt. Der zweite Akzent wird sein, dass er das Migrationsproblem wirklich lösen will. Und der dritte, dass er mit seiner Er­fahrung aus der Wirtschaft vielleicht etwas mehr Management-Denke hineinbringt. Er will mit Experten von außen ein Digitalministerium gründen, um Deutschland digital zu machen.

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 © Antje Berghäuser
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Das Buch

„Cicero“-Journalist Volker Resing beschreibt in „­Friedrich Merz. Sein Weg zur Macht“ den Werdegang des Rechtsanwalts, CDU-Politikers und vielleicht nächsten deutschen Kanzlers.

Herder, € 23,50

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.08/2025 erschienen.

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