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Österreich sei gewissermaßen einem allgemeinen Trend gefolgt, so Fischler. "Nämlich, dass wir immer nur davon reden, was unser Interesse an Europa ist und wie unsere Interessen in Europa gedeckt werden sollen. Ohne weiteres kann ich mir vorstellen, dass es von Österreich aus neue Initiativen geben könnte. Was Österreich aber brauchen würde, sind Verbündete innerhalb der Europäischen Union."
"Man muss festhalten, dass der Beitritt und die Jahre danach zu einem enormen Aufschwung in Österreich geführt haben. Da ist ein Modernisierungsschub zustande gekommen. Da ist die österreichische Wirtschaft wesentlich internationaler und exportorientierter geworden", zieht Fischler eine positive Bilanz der ersten Jahre, in denen die Zustimmung zur Europäischen Union in Österreich sehr hoch gewesen sei. Die Wende sei mit der Euro-Krise gekommen. "Es ist dann in der weiteren Folge, vor allem mit Corona, noch einmal verstärkt eine negative Stimmung entstanden. Auch der Beginn des Ukraine-Krieges hat einiges dazu beigetragen, dass die Stimmung sehr, sehr schlecht geworden ist. In der Zwischenzeit ist eine ganze Liste von fundamentalen Problemen dazugekommen. Vor 30 Jahren hat kaum ein Mensch vom Klimawandel geredet."
Heute könne Europa die USA nicht mehr als eine Art Sicherheitsversicherung betrachten, "sondern wir werden uns auf eigene Beine stellen müssen und das braucht Geld. Ein weiterer Faktor ist unsere Wettbewerbsfähigkeit. Es gibt immer weniger Branchen, wo wir Weltführer sind. Damit steht auch unser Wohlstand zu einem gewissen Grad in Frage", so Fischler weiter. Wenn man diesbezüglich nicht glaubwürdige Antworten finde, "wird auch politisch Europa weiter in Richtung Rechts abdriften".
Fischler plädiert dafür, die EU-Kommission, so wie im EU-Vertrag eigentlich vorgesehen, zu verkleinern, sodass nicht mehr alle EU-Staaten einen Kommissar entsenden, um "eine wirklich stärkere regierungsähnliche Struktur einführen. Das muss aber auch verbunden sein mit neuen Wegen der Kommunikation. Das ist ein echter Schwachpunkt nicht nur der Kommission, sondern insgesamt der Europäischen Union. Und das ist dem Egoismus der Mitgliedsstaaten geschuldet." Zu Österreichs derzeitigem EU-Kommissar Magnus Brunner und dessen Portfolio Migration und Inneres sagt der Ex-Kommissar: "Er hat sicher eine schwierige Aufgabe, und man kann das auch so interpretieren, dass man aufgrund der persönlichen Fähigkeiten des Herrn Brunner ihm das zutraut, dass er das einigermaßen erfolgreich umsetzt. Weil in diesem Portfolio hat er wahrscheinlich fast nur Gegner."
Dass Kreml-Chef Wladimir Putin mit seinen imperialistischen Ambitionen für die EU eine Bedrohung darstelle, sei schon ins Bewusstsein gerückt, so Fischler. "Es ist logisch, dass die unmittelbaren Nachbarn sich am stärksten betroffen fühlen, was ja auch dazu geführt hat, dass Finnland und Schweden der NATO beigetreten sind." Es sei weniger klar, wie sich am Ende des Tages der designierte US-Präsident Donald Trump aufstelle. "Auch wenn es dem künftigen Präsidenten Trump gelingt, einen Waffenstillstand herbeizuführen, dann heißt es trotzdem für Europa, dass wir für unsere eigene Sicherheit sorgen müssen. Und was ebenfalls für Europa eine enorme Bedeutung hat, ist die Einstellung des neuen amerikanischen Präsidenten zum Welthandel. Er stellt ja eine multilaterale Regelung in Form der WTO völlig in Frage."
"Man muss sich darauf einstellen, dass er mit seinen Ankündigungen mehr Ernst macht, als das unter Trump I der Fall war", warnte Fischler. "Ich sehe nicht, dass man bei der Aufstellung eines europäischen Heeres beginnen sollte, sondern man muss einmal die Voraussetzungen für Sicherheit schaffen, auch in Bezug auf Informations- und Datenmonopole, die die Amerikaner haben. Wenn die Amerikaner heute das GPS abdrehen, dann haben wir keines." Weitere Aufgaben wären der Aufbau einer eigenen, wettbewerbsfähigen und standardisierten Rüstungsindustrie, die bessere Koordination der Geheimdienste, aber auch Fragen der Digitalisierung, der KI und Fragen der Spionage. "Wir sind leider in der schwierigen Situation, dass wir, was unsere Sicherheit anbetrifft, an allen Ecken und Enden agieren müssen, wenn wir weiterkommen wollen." Im Welthandel müsse sich Europa weiter Partner suchen, plädierte Fischler. An dem umstrittenen Mercosur-Abkommen etwa "wird kein Weg vorbeiführen".
Dass rechtspopulistische, ultra-rechte und pro-russische Parteien in vielen europäischen Ländern auf dem Vormarsch seien, führt Fischler einerseits darauf zurück, dass Putin es verstanden habe, sich politische und wirtschaftliche Führer zu Freunden zu machen. "Auch der Herr Kickl zählt dazu. Auch Industrielle gehören dazu, in Österreich wie der Sigi Wolf zum Beispiel." Es gebe aber auch hausgemachte Probleme: "Die Migrationspolitik ist tatsächlich ein Schwachpunkt, und da müssen wir rasch aufholen, um nicht noch mehr Zustimmung zu Europa zu verlieren. Das zweite ist, dass die klassischen Parteien, insbesondere die Parteien der Mitte, die neuen Medien den Extremparteien überlassen haben." Immer häufiger würden die EU-Mitgliedsstaaten nicht über die beste europäische Lösung streiten, "sondern darüber, was sie sich leisten können, um gerade noch nicht aus dieser Union hinausgeworfen zu werden", verweist Fischler etwa auf die Idee einer "illiberalen Demokratie" von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.
Fischler kann sich Österreich weiterhin als Brückenbauer vorstellen: "Zum Beispiel hat der Bundeskanzler angeboten, dass Österreich der Ort sein könnte, wo man eine Lösung für die Ukraine verhandelt. Das wäre sicher eine gute Sache, wenn das gelänge." Innereuropäisch habe sich der damalige Außenminister Alois Mock früher persönlich sehr bemüht, diese Brückenfunktion mit Leben zu erfüllen. "Aber nach ihm ist da nicht mehr allzu viel passiert."
Österreich müsse auch mit der Fiktion aufräumen, dass die Neutralität automatisch Sicherheit gewährleiste, so Fischler. Der Ex-Kommissar plädiert für eine Diskussion darüber, ob Österreich nach dem Vorbild Schwedens und Finnlands der NATO beitreten oder wie die neutrale Schweiz wesentlich mehr Geld in die Verteidigung investieren solle.
Wird man in Österreich in 20 Jahren noch 50 Jahre EU-Beitritt feiern? Fischler: "Ja, das glaube ich schon. Es hat in Europa immer wieder krisenhafte Situationen und Perioden gegeben, aber wenn man sozusagen eine Bilanz zieht und unterm Strich sich das anschaut, dann lohnt es sich nach wie vor enorm, Mitglied in dieser Gemeinschaft zu sein."
(Das Interview führte Thomas Schmidt/APA)