Mitglied einer unbeliebten Regierung, geschürter Widerstand gegen Klimamaßnahmen, Probleme mit Aktivisten: Die Grünen und ihre schwierige Ausgangslage für das Superwahljahr. Politikexperten sagen: Angriffe auf Kogler und Kollege können im Wahlkampf auch mobilisierend wirken.
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Die Ausgangslage für Wahlen war auch schon besser. Bei der Nationalratswahl 2019 etwa, als etliche Wählerinnen und Wähler bei der Stimmabgabe wieder gutmachen wollten, dass die Grünen 2017 aus dem Parlament geflogen waren. Das Thema Klimawandel stand bei vielen Menschen ganz oben auf der Agenda. Die Wahlanalyse von Sora aus diesem Jahr zeigt, dass 33 Prozent der Befragten im privaten Kreis darüber diskutierten. Nach dem Ibiza-Video auf Platz zwei der Themenliste: "Käuflichkeit der Politik" mit 29 Prozent, und auch das war hilfreich für die selbsternannte Kontrolltruppe rund um Werner Kogler. Grün-Wählerinnen und -Wähler nannten dann auch diese beiden Themen als wichtigste Wahlmotive, dicht gefolgt vom Wunsch nach einem Comeback der Öko-Partei. 13,9 Prozent der Stimmen waren das beste Nationalratswahlergebnis in der Geschichte der Grünen. Zuvor hatten die Grünen bei der EU-Wahl ebenfalls gepunktet.
Und heute? Sitzen die Grünen mit der ÖVP in einer Regierung, die laut Umfragen die unbeliebteste ist, die dieses Land je hatte. Kaum ein Trost: Dass Regierende in Krisenzeiten an Zuspruch verlieren, gilt auch in anderen Ländern. Das Image der deutschen Ampelregierung mit SPD, Grünen und FDP ist noch miserabler.
Von den grünen Ministerinnen und Ministern hält sich nur Alma Zadic (Justiz) im APA/OGM-Vertrauensindex im positiven Bereich (ihr Saldo von "vertraue ich/vertraue ich nicht" ist 7), sie liegt auf Platz zwei hinter Bundespräsident Alexander Van der Bellen Außer diesen beiden schafft nur die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) ein positives Ergebnis. Das mächtigste grüne Regierungsmitglied, Klimaministerin Leonore Gewessler, ist mit einem Saldo von minus 24 am unbeliebtesten. (Hinter ihr folgen allerdings noch drei ÖVP-Minister.) In Meinungsumfragen liegen die Grünen um die zehn Prozent. In früheren Jahren hätte man ein solches Wahlergebnis mit Handkuss genommen, heute wäre es eine Niederlage mit einem Minus von rund vier Prozentpunkten.
Schwierige Themenlage
Corona, Inflation, Kriegsangst haben das Thema Klimakrise überlagert. Mehr noch: Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihnen von den Grünen persönlich etwas abverlangt wird, um die Emissionen einzudämmen. Die CO2-Bepreisung - eigentlich einer der Erfolge grüner Regierungspolitik - wird von der politischen Konkurrenz und Boulevardmedien als finanzielle Schikane tituliert, die Abfederung durch den Klimabonus wird dabei wohlweislich verschwiegen.
Zudem färbt der Ärger über jene Aktivisten, die sich an Straßen festkleben, um auf die schleppenden Maßnahmen gegen die Erderwärmung hinzuweisen, auf die Grünen ab. Längst distanziert sich die grüne Parteispitze von diesen Aktionen. Vor allem ÖVP- und FPÖ-Politiker fordern indes "härtere Strafen für Klimachaoten" und schlagen den Bogen zu den zuständigen Ministerinnen Gewessler und Zadic. Wer aufgrund solcher Blockaden im Stau steht, hat erwartbar wenig Sympathien für die Letzte Generation. Bei einer APA/OGM-Vetrauenserhebung über NGOs landeten Fridays For Future und Letzte Generation mit einem Saldo von minus 41 bzw. minus 63 auf den letzten Plätzen.
Schwächen beim Markenkern
Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sieht eine herausfordernde Ausgangslage für die Grünen. "Wahlkämpfe sind Themenwettbewerbe", sagt er. "Jede Partei hat Wunschthemen für den Wahlkampf und wenn diese bei Debatten ganz oben auf der Agenda stehen, läuft es für sie gut." Polarisierung und Anfeindungen seien also gar nicht das größte Problem, das eine Partei haben kann. Schlimmer wäre es, würde man gar nicht über sie diskutieren.
Filzmaier verweist darauf, dass es nicht nur beim Klimathema hakt. Die Grünen schwächeln auch bei dem für sie wichtigen Thema "Kontrolle"."Wenn man Regierungspartei ist, kann man die Kernmarke als Kontrollpartei nicht erhalten. Das haben in Salzburg auch die Neos auf die harte Tour gelernt, als sie bei der letzten Wahl aus dem Landtag geflogen sind. Zu sagen, wir sind die, die auf die ÖVP aufpassen, aber selbst mit ihr Deals machen -diese Erzählung der Grünen ist holprig."
Als weiteres Dilemma ortet er, dass die Partei nur eingeschränkt damit werben könne, dass es um eine Regierungsbeteiligung und eine "grüne Handschrift" gehe. Ein Wahlergebnis von rund zehn Prozent bedeutet, dass sich keine Zweierkoalition mit grüner Beteiligung ausgeht. Für den Fall einer Drei-Parteien-Regierung tendiert die ÖVP allerdings mittlerweile zu den Neos und auch in der SPÖ gibt es rund um den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig starke Befürworter einer solche Variante. Ebenfalls unangenehm für die Grünen wäre ein Rennen um Platz eins im Finish des Nationalratswahlkampfs. Es wäre nicht das erste Mal, dass Wählerinnen und Wähler zur SPÖ abwandern, um einen Wahlsieg der FPÖ zu verhindern. "Potenzielle Grün-Wählerinnen und -Wähler werden sich die Frage stellen ,Was kann ich mit meiner Stimme bewirken?'. Diese Frage muss die Partei beantworten können."
Dabei ist die jetzige Schwäche in den Umfragen auf genau diese Regierungsbeteiligung zurückzuführen: "Die Grünen zahlen den Preis für diese. Das haben sie aber auch von Anfang an gewusst. Was immer sie in der Regierung gemacht hätten, sie hätten den Rückfall nicht vermeiden können." Wenn nun allerdings vom Regierungspartner ÖVP bis zur FPÖ Angriffe auf die Grünen geritten werden, sei das sogar eine "Unterstützung"."Polarisierung schadet nichts, wenn es darum geht, das theoretische Stimmenpotenzial, das bei den Grünen bei 15 bis 20 Prozent liegt, anzusprechen." Wenn Herbert Kickl Werner Kogler beim blauen Neujahrstreffen "zernudelt" nennt, und dieser wiederum erklärt, "Kommt Kickl, kommt Orbánistan", hilft das beiden Parteichefs bei der Mobilisierung.
Klima als Lebenssicherung
"Die Grünen haben eine Lebensversicherung", sagt Politikberater Thomas Hofer, "nämlich das Klimathema." Das gelte auch in Zeiten, in denen dieses nicht auf Platz eins der Interessen stehe. "Es wird immer Konjunktur haben." Zudem hält er den Grünen zugute, dass ihnen in der Regierung "duchaus etwas gelungen ist". Er verweist auf das Klimaticket, die CO2-Bepreisung mit Klimabonus sowie die Valoriserung der Sozialleistungen, auch wenn das "der eigenen Zielgruppe immer zu wenig ist."
Allerdings, meint er, kämen die Grünen "von links durch Babler, die KPÖ und die Bierpartei unter Druck." Und sie würden nicht nur von der FPÖ als Feindbild durch den Wahlkampf getrieben, sie seien das mittlerweile auch für viele in der ÖVP. Immerhin haben sie für einen Juniopartner viel erreicht. Und sie haben dazu beigetragen, dass der einstige türkise Star Sebastian Kurz erst "zur Seite", dann zurückgetreten ist. "Das reduziert die Chancen auf eine weitere Regierungsbeteiligung." Auch wenn die Zusammenarbeit zwischen Karl Nehammer und Werner Kogler in der Regierung sowie zwischen August Wöginger und Sigrid Maurer im Parlament funktioniere, werde es in den nächsten Monaten immer schwieriger werden, grüne Themen durchzubringen, "weil die ÖVP einen Wählerschwund Richtung FPÖ fürchtet. Die FPÖ hat früher einmal plakatiert ,Ohne uns kippt Kurz nach links'. Das hat sich aus Sicht vieler Wähler bewahrheitet, die gehen nun zurück zur FPÖ".
Wie man in so einer Ausgangslage Wahlkampf macht? "Als Regierungspartei ist man immer in der Defensive, nicht nur in Österreich. Die Grünen haben als Juniorpartner zwar einige Marken gesetzt, man darf aber nicht vergessen, wo sie überall Federn lassen mussten." In den nächsten Monaten gehe es, so Hofer, darum, sich vom Koalitionspartner abzugrenzen. Kogler und Co. müssten erklären, warum man sie eigentlich in der Regierung brauche. "Man wird nicht für das gewählt, was man verhindert hat, man braucht eine Offensiverzählung. Die Grünen könnten auch personell etwas Neues versuchen, vielleicht Kräfte von außen auf die Liste hereinholen. Die 14 Prozent vom letzten Mal werden aber jedenfalls schwer zu halten sein."
"Wir sind Angriffe gewohnt"
Die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer hält das Klimathema weiterhin für mindestens so präsent wie bei den letzten Wahlen, "weil die Auswirkungen für alle spürbar sind". Aber: "Vier Jahre Dauerkrise haben ihre Spuren hinterlassen.
Wir sehen, zuletzt auch in Deutschland, dass von Rechtsextremen gegen die Grünen sehr stark mobilisiert und Hass geschürt wird." Auch in Österreich merke man systematische Anfeindungen: "Beispielsweise von der niederösterreichischen Landeshauptfrau, deren eigener Erfolg mittlerweile überschaubar ist und die sich jetzt eben ein Feindbild sucht." Kein Zufall sei es, dass ausgerechnet Leonore Gewessler und Amla Zadic besonders stark angegriffen würden. Die Klimaministerin habe "wahnsinnig viel weitergebracht und ist daher eine sehr ernst zu nehmende Gegnerin für andere Parteien". Die Justizministerin "bricht mit dem alten Denken im Umgang mit der Justiz, darum schießt man sich auf sie ein". Auch sie selbst, so Maurer, kenne Angriffe unter der Gürtellinie seit Jahren. "Aber das hat sich in jüngster Zeit noch einmal verschärft. Das wird systematisch betrieben. Man muss da wachsam sein, denn die antidemokratischen Tendenzen, die man dabei sieht, sind hochproblematisch." Andererseits: "Das ist ein Beleg dafür, dass unsere Politik wirkt."
Die Stoßrichtung der Grünen für die kommenden Wahlen? Maurer: "Letztlich ist es eine Richtungsentscheidung. Wer definiert die Zukunft dieses Landes? Sind es die Freiheitlichen, die null Vorschlag für die Zukunft haben, sondern ausschließlich herumplärren und keine einzige Lösung liefern? Oder sind es die Grünen und es geht um eine Transformation der Wirtschaft Richtung Klimatauglichkeit und um die Sicherung unserer Lebensgrundlagen?" Von SPÖ und ÖVP ("Sie ist mit sich selbst und ihren Krisen beschäftigt.") kämen keine Antworten für die Fragen der Zukunft. "Die Neos haben zwar schon ein positives Zukunftsbild, aber in der Klimafrage widersprechen sie sich auch selbst, die Konzepte, die sie da auf den Tisch legen, dienen nicht der Zielerreichung. Also: Ob die Grünen mitregieren oder nicht, entscheidet über die Zukunft des Landes." Auch bei der EU-Wahl, so Maurer, gehe es um die Richtungsentscheidung zwischen Green Deal oder dem Reüssieren der rechten Parteien, "die dann mit der Beschneidung der Demokratie, dem Umbau der Justiz etc. den Kontinent zugrunde richten".
Die Rückmeldungen bei Bürgergesprächen seien positiv, aber die Menschen machen sich auch Sorgen um unser Land, sagt Maurer. Es werde auch von Bürgerlichen honoriert, "dass wir der stabile Faktor in der Regierung sind und weit mehr Verantwortung übernommen haben, als es eigentlich dem Juniorpartner entspricht". Aber: "Man wird nicht für das gewählt, was man in einer Regierung gemacht hat, sondern für das, was man sich von einer Partei erwartet. Auch da können wir durchaus selbstbewusst sein."
Dass das grüne Feindbild im Wahlkampf von den Mitbewerbern als "Verbotspartei" tituliert werden wird, die den Wählern das Autofahren, Fleischessen, Fliegen etc. madig machen will? "Solche Zuschreibungen verfangen möglicherweise, aber davon werden wir uns nicht entmutigen lassen. Ohne Zuversicht, Kampfeswillen und Lust gewinnt man keine Wahl. Außerdem: Das Gegenteil ist der Fall. Wer will denn die ganze Zeit etwas verbieten? Johanna Mikl-Leitner zum Beispiel will verbieten, wie man reden darf." Auf die Angriffe aus Niederösterreich hat Maurer ihre eigene Antwort: "Nach dieser Bankrotterklärung an die Koalition, die sie mit Udo Landbauer eingangen ist, und dem Ausräumen des eigenen Budgets für völlig sinnlose Maßahmen statt für Zukunftsinvesitionen ist sie völlig abgemeldet. Ihre Angriffe, besonders auf Leonore Gewessler, wirken eher verzweifelt."
Wahltermin entscheidend
Der Wahlkampf ist eröffnet. Die Abgrenzung vom Koalitionspartner läuft. In den Wiener Politikzirkeln machten zuletzt Gerüchte die Runde, dass die ÖVP die Nationalratswahlen auf das Frühjahr vorziehen möchte. Die Grünen beharren auf den Herbst.
Ein Wahlkampf nach einem womöglich sehr heißen Sommer würde ihre Themen wieder in den Vordergrund rücken.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 3/2024.