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Europäische Verteidigung ohne die USA: Ist die EU bereit für eine eigene Armee?

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Der lange Weg zur strategischen Autonomie Europas

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat Europa bei der kollektiven Verteidigung vor allem auf die NATO und damit maßgeblich auf die militärische Unterstützung der Vereinigten Staaten gebaut. Doch geopolitische Spannungen und neue Sicherheitsbedrohungen haben die Diskussion um eine stärkere, eigenständige europäische Verteidigungspolitik verstärkt. Ist die EU tatsächlich bereit für eine eigene Armee? Welche Fortschritte gibt es, und welche Hürden bleiben?

Die Gründe für eine europäische Armee – und was „strategische Autonomie“ bedeutet

Die Idee einer eigenständigen EU-Verteidigungsstruktur geht bis in die 1950er Jahre zurück, als die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft geplant war – ein Projekt, das damals scheiterte. Heute wird die Vision einer „strategischen Autonomie“ von zahlreichen Mitgliedstaaten und EU-Institutionen unterstützt. Europäische Staats- und Regierungschefs betonen immer wieder, dass Europa angesichts eines zunehmend unsicheren Umfelds auf eine unabhängigere Verteidigungsstrategie setzen muss.

Gründe für eine EU-Armee:

  • Geopolitische Spannungen: Konflikte in der Ukraine, die Beziehung zu Russland und die Instabilität in Nordafrika und dem Nahen Osten machen Europa zur Zielscheibe geopolitischer Spannungen, die nicht immer die Interessen der USA widerspiegeln.

  • Abhängigkeit von den USA: Mit der Wahl von Donald Trump 2016, der die NATO als „obsolet“ bezeichnete, wurde die langjährige Abhängigkeit Europas von den USA in Frage gestellt. Diese Unsicherheit veranlasste europäische Führer dazu, die Notwendigkeit einer unabhängigen Verteidigung zu überdenken.

  • Technologische und wirtschaftliche Stärke: Europa ist wirtschaftlich stark und technologisch fortschrittlich, was die Möglichkeit eröffnet, eine eigene Verteidigungsinfrastruktur aufzubauen.

Tatsächliche Fortschritte und bestehende Initiativen

Tatsächlich hat die EU in den letzten Jahren bedeutende Schritte in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungsstruktur unternommen. Dies reicht von der verstärkten Zusammenarbeit über gemeinsame Projekte bis hin zur Schaffung eines eigenständigen europäischen Verteidigungsfonds.

Initiative

Jahr

Beschreibung

Ziele

PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit)

2017

Eine Plattform für Mitgliedstaaten zur engeren Kooperation bei Rüstungsprojekten und gemeinsamen militärischen Initiativen.

Vertiefte Zusammenarbeit bei Rüstungsprojekten

EDF (Europäischer Verteidigungsfonds)

2019

Finanzierung von Rüstungsprojekten, um die Verteidigungsfähigkeit und Innovationskraft Europas zu stärken.

Finanzierung innovativer Verteidigungsprojekte

Strategischer Kompass

2022

Ein Verteidigungsplan mit klaren Zielen zur Verbesserung der Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit der EU.

Strategischer Plan für Autonomieziele

PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit): Die 2017 ins Leben gerufene Plattform fördert die Zusammenarbeit in Bereichen wie Cybersicherheit und Luftverteidigung. Zu den Projekten gehören u. a. ein gemeinsames medizinisches Kommando und das Cyber Rapid Response Team, das bei Bedrohungen schnelle Reaktionen ermöglicht. Mit PESCO sollen Ressourcen effizienter genutzt und die Abhängigkeit von Drittstaaten verringert werden.

EDF (Europäischer Verteidigungsfonds): Mit einem geplanten Budget von rund 8 Milliarden Euro bis 2027 finanziert der EDF Projekte, die den Zugang zu Rüstungsgütern und Technologien verbessern und das Ziel einer strategischen Autonomie Europas fördern sollen. Laut einem Bericht der EU-Kommission unterstützt der EDF mehr als 60 Projekte in Schlüsselbereichen wie Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit und Drohnentechnologie.

Strategischer Kompass: Ein ambitionierter Plan, der 2022 verabschiedet wurde, um die EU-Verteidigungsstrategie in Bereichen wie Krisenbewältigung, Kapazitätsaufbau und Partnerschaften zu stärken. In diesem Zusammenhang ist auch eine Eingreiftruppe von 5.000 Soldaten vorgesehen, die bis 2025 einsatzfähig sein soll. Die Herausforderung liegt jedoch darin, wie realistisch und finanziell machbar die Umsetzung dieser Ziele ist.

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75. NATO-Gipfel in Washington D.C. Der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, spricht während des 75. NATO-Gipfels im Walter E. Washington Convention Center in Washington, D.C. zur Presse.

 © IMAGO / NurPhoto

Hindernisse: Finanzierung, politische Uneinigkeit und NATO-Bindung

Trotz Fortschritten gibt es große Herausforderungen. Die Finanzierung ist eine der größten Hürden, da die Verteidigungsbudgets in vielen EU-Ländern begrenzt sind. Deutschland, Frankreich und andere Länder steigerten zwar ihre Verteidigungsausgaben, aber diese Mittel sind oft an bestehende NATO-Verpflichtungen gebunden.

Politische Uneinigkeit: Eine gemeinsame Verteidigungspolitik erfordert Konsens unter den Mitgliedstaaten, was in einer Union aus 27 Ländern mit unterschiedlichsten Sicherheitsbedürfnissen eine Herausforderung bleibt. Während Frankreich die Führung übernimmt, gibt es in osteuropäischen Ländern wie Polen und den baltischen Staaten Bedenken, dass eine europäische Armee die NATO-Bindung schwächen könnte. Diese Staaten sehen die USA als entscheidenden Schutz gegen Russland.

NATO-Bindung: Die NATO bleibt der zentrale Pfeiler der europäischen Verteidigung, und die USA haben sich stets gegen eine parallele Verteidigungsstruktur ausgesprochen, um eine Doppelung von Ressourcen zu vermeiden. Stoltenberg, der NATO-Generalsekretär, betonte, dass „eine stärkere NATO und eine stärkere EU Hand in Hand gehen müssen“ und warnte vor Maßnahmen, die zur Spaltung führen könnten (NATO Statement).

Strategische Autonomie – ein realistisches Ziel?

Die Realisierung einer europäischen Armee bleibt eine langfristige und hochkomplexe Herausforderung. Strategische Autonomie ist jedoch ein Ziel, das mehr als nur eine „europäische Armee“ umfasst. Es geht darum, Europa widerstandsfähiger gegen externe Bedrohungen zu machen, die Fähigkeiten zu entwickeln, eigene Entscheidungen zu treffen, und in Krisen eigenständig handeln zu können.

Experten wie Sven Biscop vom Royal Institute for International Relations argumentieren, dass „Europa seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen muss, aber realistisch bleiben sollte: Die USA werden weiterhin ein wichtiger Partner bleiben, besonders angesichts gemeinsamer Bedrohungen wie Cyberkriminalität und internationale Terrornetzwerke“ (Biscop Report).

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Boeing F A 18E F Super Hornet und Personal des Flugzeugträgers USS Harry S Truman bei der Pressevorführung der bevorstehenden Übung Neptune Strike 24 2 am F17 in Kallinge am Mittwoch

 © IMAGO / NurPhoto

Ein langer Weg – aber Fortschritte sind sichtbar

Trotz der vielen Hindernisse gibt es deutliche Fortschritte hin zu einer stärkeren europäischen Verteidigungsstruktur. Die EU verfolgt konkrete Maßnahmen zur Erhöhung ihrer Verteidigungsfähigkeit und schrittweisen Autonomie, ohne die NATO-Bindung zu untergraben. Die EU-Verteidigungspolitik entwickelt sich langsam zu einem entscheidenden Pfeiler der Sicherheitspolitik, wenn auch ein komplexer und finanziell anspruchsvoller Weg vor ihr liegt.

Die EU bleibt bei ihrem Ziel der strategischen Autonomie auf Kurs, auch wenn die Realisierung einer vollwertigen EU-Armee noch Jahre oder gar Jahrzehnte entfernt scheint. Solange die Herausforderungen gemeistert werden, könnte eine europäische Verteidigung in naher Zukunft Realität werden – aber nur als Ergänzung und nicht als Ersatz für das NATO-Bündnis.

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