„Die drei As – Abschottung, Abschreckung und Auslagerung“: So beschreibt die Migrationsforscherin Juditha Kohlenberger die europäische Grenzpolitik seit 2015 gegenüber News. Damit bewegt man sich zunehmend abseits internationalen Rechts, ohne sich einer Lösung der eigentlichen Probleme auch nur anzunähern.
Die Europäische Union verstärkt und militarisiert zunehmend ihre Außengrenzen. Dabei geht man zusehends brutal vor. Trotzdem scheint es nie genug Härte zu geben - mit zweifelhaftem Erfolg.
Hochkonjunktur für Schlepper
Mehr als 700 Kilometer Grenzzäune und -mauern wurden innerhalb der EU und an ihren Außengrenzen seit 2014 gebaut. Trotzdem verzeichnet die EU-Grenzschutzagentur Frontex seit dem Pandemie-Tief 2020 wieder steigende Zahlen bei den irregulären Einreisen nach Europa. Ähnlich ist das Bild bei den Asyl-Erstanträgen, wo die Zahlen aktuell wieder über dem Vorpandemie-Niveau liegen – auch ohne die Geflüchteten aus der Ukraine, die in der EU vorübergehenden Schutz erhalten.
Für die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität Wien ist das auch nicht weiter überraschend: „Die Leute haben ja schon unglaublich viel auf sich genommen, um überhaupt einmal an der serbisch-ungarischen Grenze zu stehen. Es ist logisch nachvollziehbar, dass man sich dann nicht mehr durch einen bloßen Zaun abschrecken lässt. Da steht zu viel auf dem Spiel.“ Zusätzliche Grenzschutzmaßnahmen würden aber die Gefahr und die Kosten der Überquerung erhöhen – und seien damit ein „Konjunkturprogramm für Schlepper“. Oder wie es US-Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz im August ausdrückte: „Wenn Trump über diese Mauer spricht, sage ich immer, lasst mich wissen, wie hoch sie sein soll. Sind es 25 Fuß, werde ich in eine Fabrik investieren, die 30-Fuß-Leitern produziert.“
Brutales Spektakel
Zusätzlich zur Abschottung gegen die Menschen, die bereits an der Grenze stehen, erwarte man sich von militarisierten Grenzen eine abschreckende Wirkung auf jene, die darüber nachdenken, sich auf den Weg zu machen. „Grenzspektakel“ nennt das die Migrationsforscherin. Dafür würden auch Gewaltexzesse von Grenzschützern im rechtlichen Graubereich und darüber hinaus geduldet. Fraglich, ob das die gewünschte Wirkung hat: Wer verzweifelt genug ist, wird sich auch von Schlägen und Pfefferspray nicht abschrecken lassen.
Eine derartige „Brutalisierung“ der Grenzen geht aber auch an der Gesellschaft, die sie mitträgt, nicht spurlos vorbei. Bewegen sich staatliche Organe regelmäßig außerhalb oder im Grenzbereich der Legalität, führt das zu einer Aushöhlung des Rechtsstaats und damit zu einer Stärkung genau jener autori-tären Strömungen, die immer noch härtere Maßnahmen fordern. Ein Teufelskreis.
Weitergabe der Verantwortung
Auslagerung, das dritte „A“, gilt als effektivstes Mittel zur Senkung der Asyl- und Migrationszahlen. Der 2016 geschlossene EU-Türkei-Deal trug zwar zu einem Rückgang der Ankünfte in Griechenland und Italien bei, allerdings waren die Zahlen bereits ab Ende 2015 rückläufig. Und: Kohlenberger weist auf die Probleme hin, die solche Deals mit sich bringen. Eines davon sei die Unsicherheit, ob ausgelagerte Asylverfahren in Drittstaaten wirklich korrekt ablaufen: „Wir können ja nicht einmal in allen EU-Mitgliedstaaten sicherstellen, dass dort die Asylstandards eingehalten werden. In Drittstaaten, etwa Ruanda, wäre eine solche Kontrolle noch viel schwieriger.“ Nur wenige Staaten seien überhaupt zu solchen Abkommen bereit, und diese wenigen seien „sehr selten lupenreine Demokratien“, von denen man sich durch derartige Abkommen politisch abhängig mache: 2020 kam es etwa zu Unstimmigkeiten im EU-Türkei-Deal, woraufhin die Türkei Zehntausende Flüchtlinge nach Griechenland und Bulgarien weiterschickte.
Die „drei As“ mögen – auf Kosten der Menschenrechte – stellenweise für Entlastung gesorgt haben. Nachhaltige Antworten auf Migrations- und Fluchtbewegungen sehen aber anders aus. Eine faire Verteilung von Asylberechtigten wäre ein Anfang.