Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil macht sich im News-Sommergespräch Gedanken über Politik und Freundschaft. Dass er nicht in die Politik gegangen ist, um sich Freunde zu machen, beweist er oft. Ob er und seine roten Parteifreunde noch Freunde werden? Sein Hang zu offenen Worten macht das jedenfalls nicht leichter
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In Ihrem Buch „Hausverstand“ geht es auch um Freundschaft. Wie viel Freundschaft verträgt die Politik, wie viel Politik die Freundschaft?
Wenn wir von Freundschaft im engeren Sinn sprechen – in der Politik aber auch mit Menschen außerhalb der Politik –, da ist für mich eine wichtige Frage: Wie funktionieren diese Freundschaften? Ich muss ehrlich sagen, dass die Politik sehr abträglich für Freundschaften ist, weil sie sich nicht wie in der Vergangenheit pflegen lassen. Aber echte Freundschaften bestehen am Ende des Tages auch, wenn man sehr wenig Zeit hat.
Gibt es Freundschaft in der Politik?
Es entstehen Freundschaften zu Mitarbeitern und Wegbegleitern. Aber Freundschaft zu politischen Mitstreitern – das ist ein sehr, sehr kleiner Kreis. Auch verbunden mit der Frage, wie ehrlich geht man in einer Partei miteinander um, wie offen und transparent ist man in seiner Meinung. Von den politischen Größen in der Soziademokratie – ich wüsste nicht, wen ich nennen könnte und sagen, das ist wirklich ein Freund.
Wäre die Politik ein besserer Ort, wenn es Freundschaften gäbe?
Das war jetzt nur die Diagnose in meiner eigenen Partei. Wenn man darüber hinaus blickt und es schaffen würde, etwa in einer Koalition einen respektvollen Umgang miteinander zu leben, dann würde das für die Menschen und die Politik viel bringen. Aber das gibt es nicht.
Koalitionsregierungen tun am Anfang demonstrativ so, als wäre der Umgang freundschaftlich.
Bei jeder neuen Koalition hat man bei der Präsentation betont, wie toll die Zusammenarbeit sein wird. In Wirklichkeit wird mit dem ersten Wort dieser Betonung schon die erste Lüge verbreitet. Die ÖVP war immer dafür bekannt, ihre Koalitionspartner zu Tode zu umarmen. Aber ich will gar nicht verleugnen, dass auch andere Parteien immer im Wahlkampf sind, immer danach trachten, sich oder ihre Partei am besten zu positionieren, auch wenn – oder gerade wenn – es zulasten des anderen geht. Das mag vielleicht zu einem Plus in den Umfragen führen. Der Politik oder der Sache ist es aber nicht zuträglich. Es schadet mehr als es nützt.
Ist das ein Grund dafür, dass die Leute sich von der Politik abwenden?
Der über wiegende Teil der politischen Selbstdarstellung solcher Regierungen ist ein Schauspiel und ist aufgesetzt. Das ist sicher ein wesentlicher Faktor dafür, dass die Menschen von Politikern und vom System nicht sehr viel halten. Es gibt kein Vertrauen und keine Glaubwürdigkeit. Es gibt ein bestimmtes Bild von Politikern, wenn es um Korruption oder Ehrlichkeit geht. Mit Grund: Was haben wir in Wahlkämpfen schon alles plakatiert? Wohnen, Gesundheit, Arbeitsplätze – wenn alles eingetroffen wäre, was wir versprochen haben, würde es in Österreich keine Probleme geben. Das merken die Leute natürlich.
Politiker reden sich darauf aus, dass sie Versprechen wegen des Koalitionspartners nicht umsetzen können.
Das ist im Burgenland nicht so.
Mangels Partner.
Damit gilt diese Ausrede auch nicht für uns. Wenn wir bei der Pflege, beim Mindestlohn, beim Wohnen, bei den Spitälern etwas versprechen, dann müssen wir das auch umsetzen. Aktuelles Beispiel: die Vamed. Wir haben uns im Burgenland darauf verständigt, wenn es um Gesundheit oder Pflege geht, dann dürfen keine Gewinne an Konzerne ausgeschüttet werden. Wir haben daher von der Vamed die Pflegeeinrichtungen zurückgeholt. Die sind jetzt im Landesbesitz. Wir haben auch nicht zugelassen, dass die Vamed das Spital in Oberwart baut, sondern haben das selbst gemacht – exakt im Zeitplan und deutlich unter der Kostenobergrenze. Der dritte Schritt ist, dass wir die Gemeinnützigkeit von Reha- und Pflegeeinrichtungen ins Gesetz schreiben werden. Die Vamed hat in Österreich etliche Reha-Zentren betrieben. Das ist so organisiert, dass von der öffentlichen Hand Tagsätze bezahlt werden, womit die Leistung und die Immobilie abgedeckt sind. Ich glaube, dass sich aus diesen Tagsätzen für das Unternehmen Millionen erwirtschaften lassen. Es wurde in Österreich jahrelang zugelassen, dass ein Konzern mit Gesundheit und Pflege große Gewinne macht. Es ist eigentlich ein doppelter Wahnsinn: Wir haben mit Sozialversicherungsgeldern über die Tagsätze diese Liegenschaften gebaut und bezahlt, die Vamed ist aber Eigentümer, hat jährlich durch den Betrieb etwas rausgewirtschaftet und Anlagevermögen angehäuft. Jetzt verdient sie doppelt, sie verkauft das Anlagevermögen und sie verkauft das Geschäftsmodell. Das ist bei uns nicht möglich, weil wir der Vamed gesagt haben, entweder wir wickeln das rück ab oder wir kündigen die Tagsätze. Das vermisse ich bei der Bundesregierung und den Sozialversicherungen. Warum die das nicht auch machen, frage ich mich.
Erklärung
Die Vamed wurde 1982 von der Voestalpine gegründet, um das AKH Wien fertigzustellen. Sie war bis 1996 in Staatsbesitz, dann wurden 77 Prozent an Fresenius, 10 Prozent an die B & C Holding verkauft. Ihre Geschäftsfelder sind Kliniken, Thermen, Kur- und Reha-Zentren. Im Juni haben ÖBAG und B & C Holding ihre Anteile an Fresenius verkauft. Der deutsche Konzern wiederum verkaufte 67 Prozent des Reha-Geschäfts an die Beteiligungsgesellschaft PAI Partners. Kritik daran kommt von SPÖ und Gewerkschaft.
Sie sind eher nicht in der Politik, um sich Freunde zu machen, oder? Jetzt legen Sie sich mit den anderen Bundesländern an, weil Sie den Aufteilungsschlüssel von Steuermitteln für nicht gerecht halten. Was reizt Sie am Widerspruch?
Mich reizt der Umstand, dass wir im Burgenland benachteiligt werden. Mich reizt, wenn ich der tiefen Überzeugung bin, dass etwas falsch läuft, dass etwas ungerecht ist oder rechtswidrig. Dann will ich es bekämpfen, ganz banal gesagt. Dann will ich alles unternehmen, nicht wegschauen oder mich arrangieren, nur weil da eine große Bank dahinter ist oder ein großer Investor.
Im Fall der Ertragsanteile ist das welche Ungerechtigkeit?
Wenn ein Burgenländer bei der Aufteilung der Steuermittel knapp 900 Euro wert ist, ein Vorarlberger in einer gleich großen Gemeinde aber 1.260 Euro, dann muss mir das erst einmal jemand logisch erklären, damit ich es akzeptieren kann. Es kann mir nur keiner erklären. Daher bin ich der Meinung, dass man das richtigstellen muss. Nicht zulasten des Vorarlbergers. Ich bin dafür verantwortlich, dass der Burgenländer mehr bekommt.
Nachdem der Steuertopf gleich bleibt, wird irgendwer weniger bekommen.
Es heißt immer, das Burgenland und andere Bundesländer im Osten hätten so eine hohe Pro-Kopf-Verschuldung, Tirol und Vorarlberg eine geringere. Wenn man sieht, wie das Geld dorthin fließt, weiß man, warum. Da muss man die Frage stellen, ist das gerecht oder nicht? Ich habe den Verfassungsdienst beauftragt, eine Beschwerde vorzubereiten. Ich fühle mich dadurch bestätigt, dass Wien drei Tage, nachdem der Finanzausgleich paktiert wurde, angekündigt hat, dass es eine Zweitwohnsitzabgabe geben wird. Das trifft die Burgenländer. Das zeigt mir, dass man sich an den Finanzausgleich nicht halten muss. Der regelt zwar die Verteilung der Gelder, aber das ist ein Gezerre wie am Bazar. Das heißt, wir brauchen einen Schiedsrichter. Das kann nur der Verfassungsgerichtshof sein.
Rufen andere Landeshauptleute bei Ihnen an und fragen, lieber Freund, was glaubst du eigentlich?
Bis dato habe ich mit zwei, drei Landeshauptleuten gesprochen, die in einer ähnlichen Lage sind wie wir. Die finden mein Vorgehen wichtig, ob sie öffentlich gegen den eigenen Finanzminister mitgehen, wird sich aber erst weisen.
Ist es für Sie einfacher, politische Bündnisse über Parteigrenzen zu schließen als in der eigenen Partei?
Ich habe ein gutes Einvernehmen mit Peter Pilz von den Grünen gehabt. Er ist mit mir, als ich Verteidigungsminister war, in der Herkules zur Weihnachtsfeier der Kfor in den Kosovo geflogen. Wir haben mit Niederösterreich und der Steiermark gleiche Themen und Herausforderungen, wo man gemeinsam vernünftige Lösungen sucht. Es gibt eine historische Verbundenheit zu Vorarlberg, weil wir die kleinsten Bundesländer sind. Ich persönlich hatte immer eine Verbundenheit zum früheren Tiroler Landeshauptmann Günther Platter, weil wir das gleiche Schicksal haben – im positiven Sinn. Wir waren beide Polizist, Verteidigungsminister und Landeshauptmann.
HANS PETER DOSKOZIL, 54
Der Burgenländer wurde nach der Matura Polizist, studierte berufsbegleitend Rechtswissenschaften und arbeitete danach unter anderem im Innenministerium. 2008 wechselte er ins Büro des damaligen Landeshauptmanns Hans Niessl, 2012 kehrte er als Landespolizeidirektor in den Polizeidienst zurück. Er fiel bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise 2015 auf und wurde bald danach von Werner Faymann als Verteidigungsminister in die Regierung geholt. 2017 wechselte er in die burgenländische Landesregierung, 2019 wurde er Landeshauptmann.
Und zu SPÖ-Politikern?
Ich schätze immer noch sehr den Rudi Hundstorfer, er fehlt mir im politischen Spektrum. Er hat mich sehr unterstützt, als es darum ging, die Zeitsoldatenzeiten der 80er- und 90er-Jahre pensionsrechtlich anerkennen zu lassen. Beim zuständigen Minister Alois Stöger habe ich auf Granit gebissen, den haben die Soldaten nicht interessiert. Aber Hundstorfer hat es doch zustande gebracht. Daran sieht man, wenn die Chemie passt, dann arbeitet man gut zusammen, egal, woher man kommt. Wenn den anderen das Thema nicht interessiert, welche Basis soll es dann geben? Ich sehe es aus diesem Blickwinkel und weniger vor dem Hintergrund, dass ich mit jemandem ein freundschaftliches Verhältnis haben muss, nur weil er aus der Sozialdemokratie kommt.
Sie üben oft Kritik an ihrer Partei, der SPÖ, dann wird Ihnen vorgeworfen, aus der Hecke zu schießen. Wie ist denn Ihr aktuelles Verhältnis zur Sozialdemokratie? Freundschaftlich?
Wenn ich meine Partei nicht selber in mir tragen würde, wenn ich nicht die Ziele so definieren würde, wie wir sie im Burgenland leben, und das als Sozialdemokratie beurteilen würde, dann würde ich jetzt an der falschen Stelle sitzen. Ich glaube, die Diskussion über die Positionen der Partei zu führen und auch innerhalb der Partei unterschiedliche Positionen zu haben, das sollte man nicht unter dem Titel „Wer ist mehr oder weniger Sozialdemokrat“. Die Sozialdemokratie als Partei, als Ideologie wird von vielen in Anspruch genommen – aber wer am Ende des Tages recht hat, wer die Sozialdemokratie so lebt, dass sie reüssiert, dass sie anerkannt wird, sich weiterentwickelt und nicht zur Minderheitsfraktion wird oder zu einer romantischen Lagerfeuerpartie, das beantwortet am Ende der Wähler. Ich würde mich vor Mitstreitern hüten, und da gibt es doch einige, die von sich sagen, sie seien die einzig wahren Sozialdemokraten und alle anderen sind es nicht. Die sind es nämlich am wenigsten. Das ist wie in der Kirche. Die, die immer in der ersten Reihe sitzen und heucheln, sie sind Christen, sind es am wenigsten.
Wie so ist es so schwierig, in der SPÖ eine Richtungsdebatte zu führen? Liegt das an der Kränkungen und aufgekündigten Freundschaften?
Richtungsdebatten hat es immer gegeben, mit einer gewissen Intensität und schon früher oft nicht von Freundschaft getragen, etwa zwischen Franz Voves und Werner Faymann. Auch in der steirischen Landespartei hat es unter Voves ordentlich geknirscht. Ich meine das gar nicht negativ. Das sind Entwicklungsprozesse, da eckt man eben ab und zu an, das kann schon passieren. Jetzt ist es in der SPÖ ein bisschen heftiger, keine Frage. Aber man merkt es auch deswegen intensiver, weil es auf der einen Seite Landesorganisationen gibt, die – ohne jemand zu nahe treten zu wollen – nur mäßige Erfolge verzeichnen und weit weg von Wahlsiegen sind. Das sage ich jetzt sehr freundlich formuliert. Und dann gibt es Landesorganisationen mit besseren Ergebnissen oder, so wie im Burgenland, mit einer absoluten Mehrheit. Aber jeder will gleich viel wert sein, jeder hat die Wahrheit der Sozialdemokratie für sich gepachtet. Oft fehlt es dann an gegenseitiger Akzeptanz, auch der jeweiligen Themen. Dazu kommt, dass man seit Jahren von einer Wahlniederlage in die nächste tümpelt und immer wieder das schlechteste Bundeswahlergebnis aller Zeiten verzeichnet. Und dass es auf Bundesebene an Leadership fehlt, egal, wer da gerade sitzt. Das hat jetzt gar nichts mit Andreas Babler zu tun.
Sondern?
Es fehlt im Rückblick betrachtet seit Langem das Leadership, eine Kanzlerpartei nicht nur sein zu wollen, sondern auch zu sein. Das fehlt ganz einfach. Da entsteht ein riesiges Vakuum. Wenn diese Negativspirale beginnt, läuft sie immer weiter. Das ist ein ganz normaler Prozess. Das war auch in der ÖVP so. Dort wird es derzeit nur überdeckt, weil sie den Kanzler stellt. Nach der Wahl wird auch dort wieder der Boden der Realität sichtbar werden. Dann werden auch dort Grabenkämpfe beginnen und es wird wieder die Obmanndiskussion geben. Das ist ein normaler Prozess bei politischen Parteien. Wie viele Parteichefs haben die Grünen verbrannt?
Ein Wahlerfolg würde die SPÖ einen?
Meinungsverschiedenheiten würde es trotzdem geben. Der Erfolg versöhnt höchstwahrscheinlich und überdeckt so manches.
Wie war ihr Gesprächsverhältnis zu Andreas Babler vor dem April 2023?
Ich hatte nie Kontakt zu ihm. Ich war nur einmal als Verteidigungsminister in Traiskirchen, da habe ich ihn im Gemeindeamt getroffen. Sonst nie.
Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten ihn schon angezählt, falls die Wahl nicht nach Wunsch ausgeht.
Das ist doch das Normalste auf der Welt, wenn man etwas nicht erreicht hat, was man verspricht, dass es dann eine Reflexion geben muss. Die Sozialdemokratie erzählt dauernd, wir werden Erster und stellen den Kanzler – wenn man das nicht realisieren kann, muss man sich natürlich hinterfragen. Alles andere wäre absurd aus meiner Sicht. Wenn ich im Burgenland die Wahl verliere und dann sage, es ist alles eitel Wonne, passt, wir machen weiter so, das wäre der gleiche Wahnsinn.
Babler könnte sagen, er hatte zu wenig Zeit seit seiner Kür.
Er hat nach der Wahl gesagt, jetzt beginnt die Veränderung und die Mission Bundeskanzler.
Das war zu hoch angetragen?
Er wird an dem gemessen, was er verspricht und was das Ergebnis ist. Ich persönlich wäre angesichts der schwierigen Ausgangslage schon froh, wenn wir den Trend in eine andere Richtung bringen. Wir haben seit Faymann bei allen Wahlen das jeweils schlechteste Ergebnis der SPÖ eingefahren. Wenn es diesmal kein Minus ist, sondern ein ordentliches Plus, ohne den Anspruch Erster zu werden, wäre ich zufrieden. Da würde ich nichts Negatives sagen.
In der SPÖ grüßt man mit Freundschaft. Ist das angebracht oder eine leere Floskel?
Es ist ein bisschen skurril, wenn man darüber nachdenkt, wie wir miteinander umgehen. Ich bin da mitten drin, ich nehme mich gar nicht aus. Dieses „Freundschaft“ vor sich herzutragen – mir wäre lieber, ich sage das nicht so oft und lebe es dafür wirklich.
Dieses Interview ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 32/2024 erschienen.