Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser ist wohl das Gegenteil eines Populisten. Grund genug, den studierten Soziologen und Langzeitpolitiker über die Mechanismen des Populismus zu befragen. Wie funktioniert dieser bei der FPÖ? Und wo wäre die SPÖ mit etwas mehr Populismus?
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In Wahljahren setzen viele Parteien auf Populismus. Sie gelten als unpopulistischer Politiker. Wie groß ist die Versuchung für Sie?
Ich war früh politisch tätig, in der Schülervertretung und in Jugendorganisationen. Damals war die Einstellung, nicht unbedingt ein Mandat anzustreben, sondern zu schauen, ob man Dinge im Sinne der eigenen Grundwerte erarbeiten oder verändern kann. Es gibt zwei Beispiele, die mich mein Leben lang begleiten. Eines, an dem ich bis heute gescheitert bin, und eines, wo einiges gelungen ist. Ich habe schon als Schüler politische Bildung als Pflichtfach gefordert. Das ist mir bis heute nicht gelungen, obwohl es immer noch auf der Agenda von Schülerinnen-und-Schüler-Parlamenten steht. Ich spüre, dass die vielfache Infragestellung der liberalen Demokratie diese Forderung verstärkt. Also habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Das zweite Thema, das mich begleitet, ist der gleiche Zugang zu Chancen. Wir hatten wenig Geld, daher konnte ich keinen Kindergarten besuchen. Ich war ein Hofkind, bin neben dem Kindergarten aufgewachsen und habe gesehen, wie die Kinder drinnen gespielt haben. Mein Ziel war es daher, allen die gleichen Chancen zu geben. Seit 1. September 2023 bieten wir in Kärnten den kostenfreien Kindergarten an.
Wo sehen Sie bei diesen beiden Forderungen den Populismus?
Populismus wird oft reduziert auf eine nette Fotogeste, bei der man gut zur Geltung kommt und zeigt, dass etwas gelungen ist. Das Verkaufen von Erfolgen. Die negative Seite des Populismus ist aber, dass oft nur Scheinlösungen präsentiert werden, die man nie umsetzen muss. In diesem Bereich bewegen wir uns politisch mehr und mehr – in Österreich, in Europa, international. Im rechten und rechtsextremen Bereich, aber auch links. Gemeinsam haben sie alle, dass sie wenig an Verantwortung und gesellschaftspolitischer Veränderung oder der Beseitigung von Defiziten arbeiten, sondern immer neue Dinge versprechen und mit simplifizierten Antworten auf komplexe Probleme versuchen, Lösungen vorzugaukeln. Das funktioniert in den allerseltensten Fällen und entzaubert sich nach einiger Zeit. Aber manchmal führt es auch zu Erfolg, und mit der gewonnenen Macht werden Veränderungen herbeigeführt, die nicht ungefährlich sind.
Man könnte mit politischer Bildung schon Kinder gegen Populismus immunisieren. Woran scheitert das?
Darüber habe ich viel nachgedacht. Vielleicht liegt es daran, dass Österreich eine starke Parteiprägung hat und Politik mit Parteien gleichgesetzt hat. Das hat zu einem verqueren Politikbegriff geführt. "Politische Bildung" wird verkürzt übersetzt zu "mehr Parteipolitik in den Schulen". Dagegen gibt es eine breite Front.
Früher haben SPÖ und ÖVP das Land untereinander aufgeteilt. Sind sie dafür verantwortlich, dass Partei und Politik gleichgesetzt werden?
Diese Prägung ist aus einem parteipolitischen Antagonismus zweier Weltbilder entstanden, der in der Ersten Republik eine schmerzliche Zuspitzung erfahren hat. Erst in den Lagerstraßen der Konzentrationslager und im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg hat man auch Ansätze von Gemeinsamkeiten gefunden und Koalitionen gebildet. Es gab aber auch wieder Phasen der Zuspitzung. Mir ist es wichtig und ich stehe dafür, dass das Einander-Zuhören, Respekt, Austausch von Argumenten und der Kompromiss, das Kompromissfinden wieder zu einem wesentlichen Ziel der Politik werden. So können wir den Stellenwert des politischen Gestaltens wieder erhöhen.
Die Menschen schenken Konflikten Aufmerksamkeit. Gibt es trotzdem ein Bedürfnis nach Kompromissen?
In kaum einem Bereich kann man zu hundert Prozent durchsetzen, was man sich wünscht. Aber, um wieder den Populismus herzunehmen, genau das suggeriert ein Populist. Er verspricht Dinge zu hundert Prozent. Dann wollen die Menschen das auch und projizieren es auf die Politik. Genau das ist die Mechanik des Populismus, die in vielen Fällen leider auch funktioniert.
Sollte FPÖ-Chef Herbert Kickl die Nationalratswahl gewinnen, wird er vielleicht Sondierungsgespräche führen. Ist er kompromissfähig?
Das entscheidende Wort ist vielleicht! Wer aus dem Dreikampf Babler – Nehammer – Kickl als Sieger hervorgeht und wer dann welche Gespräche führt, ist völlig offen. Ob Kickl kompromissfähig ist, wird er, sollte es dazu kommen, beantworten müssen. Vor Parteiengesprächen ist es wichtig, die Bereitschaft zum Kompromiss zu signalisieren, aber auch aus den eigenen Werten heraus Ziele zu formulieren. Dann kann man schauen, ob man sich in Teilbereichen findet, ob es einen Weg zu einem gemeinsamen Ziel gibt, das jedenfalls die gesellschaftliche Situation verbessern sollte. Wenn das das Gemeinsame ist, hast du schon viel gewonnen. Die Details auf den Punkt zu bringen, ist dann die tägliche Arbeit in jeder koalitionären Konstellation. Bei Kickl scheint eine solche Grundhaltung von Vornherein äußerst fraglich. Die FPÖ beklagt sich darüber, dass sie ausgegrenzt wird. Nein, sie ist es selber, die sich mit ihrer Haltung und ihrer die Menschen gegeneinander aufhetzenden Politik ausgrenzt.
Wegen ihrer mangelnden Bereitschaft, sich von ihren Standpunkten wegzubewegen?
Das ist ein Punkt. Wenn sie dann noch Medien und Journalisten droht und Künstlern sagt, für sie gebe es das AMS statt der Bühne – das würde man in -jeder anderen rechtlichen Formation als Drohung bezeichnen.
Daher ist es legitim, Verhandlungen mit dieser Partei auszuschließen?
Das ist zumindest eine für viele nachvollziehbare Haltung. Aber es ist eine Haltung, die nicht a priori in den Grundgenen der Sozialdemokratie, der ÖVP, der Grünen oder Neos gelegen ist. Für diese Entwicklung ist schon die FPÖ in hohem Ausmaß verantwortlich.
Im Gegensatz zur ÖVP schließen Sie die FPÖ aber grundsätzlich aus?
Die FPÖ marschiert auf allen Ebenen gegen "das System". Daraus entstehen dann so abstruse Formulierungen wie etwa die "Volkskanzlerschaft". Sie stellt Gegensätze auf, versucht, mit Populismus komplexe Dinge zu vereinfachen. Etwa die "Festung Österreich". Jede Festung ist irgendwann Ruine, ganz abgesehen davon, dass eine Mauer etwa am Hochobir schwer vorstellbar ist. Das ist Populismus in Anwendung: Ängste schüren, Feindbilder schaffen, ohne Probleme mit der Zuwanderung überhaupt lösen zu wollen. Das macht es schwierig, eine Gesprächsebene zu finden. Der Feind, den die FPÖ ausmacht, ist nämlich unsere friedliche, solidarische Gemeinschaft mit ihrer demokratischen Grundordnung.
Mit dem "Wir gegen das System" isoliert sich die FPÖ?
Ich sage: nicht einmal unbewusst, sondern sie nimmt das bewusst in Kauf, um andere Ziele zu verfolgen, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, welche das sind.
Es scheint, als würde es mittelfristig mehr Stimmen bringen, sich als ausgegrenzt zu präsentieren.
Danke, dass Sie das so formulieren. Das ist eine Seite der politischen Analyse, die nur wenige anstellen.
Sie haben den linken Populismus angesprochen. Gibt Unterschiede zum rechten? In der Wahl der Mittel?
Die Mittel sind ähnlich. Auch Linkspopulisten entzaubern sich schnell. Daher braucht es das Bewusstsein, dass die politische Mitte nicht geometrisch exakt zu bemessen ist, sondern mindestens zwei Drittel der Wahlberechtigten umfasst. Dessen müssen wir uns mehr bewusst sein.
Der Chef der SPÖ-Steiermark, Anton Lang, meint, die SPÖ müsse mehr in die Mitte rücken.
Wir sind dort positioniert. Von den Wählerinnen und Wählern her jedenfalls. In der Akzentuierung – geprägt durch unterschiedliche Sozialisation, ökonomische Umstände oder Ereignisse – gibt es da und dort natürlich Unterschiede. Ich habe schon vor zwei Jahren anlässlich eines Parteitages der SPÖ Kärnten eine Diskussion mit Andi Babler geführt. Gravierende Unterschiede zwischen uns bei der Bewertung politischer Problemlagen hat man dabei nicht gesehen, auch wenn Babler gemeinhin weiter links eingeordnet wird als ich. Diese Einordnung hängt auch mit Umgebung, Position, Funktion und individueller Prägung zusammen. Aber in der Grundanalyse sind wir nahe beieinander. Etwa bei der Arbeitszeit. In einer komplexer gewordenen Gesellschaft und geänderten Arbeits- und Produktionsbedingungen muss man viele Dinge versuchen, aber auch korrigieren, wenn sie nicht in die richtige Richtung führen. Es geht ja vor allem um den Arbeitsbegriff. Der wird vor allem auf Lohnarbeit reduziert. Ich möchte, dass man ehrenamtliche Tätigkeit ebenfalls als Arbeit und Dienst an der Gesellschaft sieht. Wenn man den Arbeitsbegriff breiter sieht, dann wird man auch die Leistungsgesellschaft breiter definieren können.
PETER KAISER, 65
Der gebürtige Klagenfurter arbeitete nach der Matura bei der Kärntner Landesregierung, daneben studierte er Soziologie und Pädagogik. Seine politische Laufbahn begann er bei der Sozialistischen Jugend. Er war Gemeinderat in Klagenfurt, Landtagsabgeordneter, ab 2008 Mitglied der Landesregierung. 2013 gewann die SPÖ mit ihm als Spitzenkandidat die Landtagswahl. Seither ist Kaiser Kärntner Landeshauptmann, allerdings mit herben Verlusten bei der Wahl 2023.
Die ÖVP sagt: "Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein." Das kann auch die SPÖ unterschreiben, oder?
Kein Lebewesen kommt auf die Welt, um nur zu liegen und nichts zu tun. Wenn man Arbeit nur auf die Lohnarbeit reduziert, ehrenamtliche und gesellschaftlich interpretierte unbezahlte Arbeit oder Familienbetreuung nicht als Arbeit wertet, hat man natürlich ein anderes Bild. Daher wäre es so wichtig, dass man hier einmal zu einem gleichen Verständnis kommt.
Die SPÖ fordert die Viertagewoche und Mindestsparbuchzinsen. Ist das Populismus?
Eine Staatsgarantie für Sparzinsen ist keine populistische, sondern eine wohlbegründete Forderung, ebenso jene nach einer Lohnarbeitszeitverkürzung. Viele fortschrittliche Betriebe haben bereits auf eine Viertagewoche umgestellt oder sind bereit dazu. Es wäre klug, dass mit den Sozialpartnern zu verhandeln. Darüber zu reden, ist jedenfalls ein Gebot der Stunde.
Populismus hat ein beharrendes Element. Es soll bleiben oder werden, wie es früher war. Kann man mit Bildern der Vergangenheit die Zukunft in Angriff nehmen?
Das ist eine der entscheidendsten Fragen, über die ich viel nachdenke. Die Visionslosigkeit, die sich daraus ergibt. Die Forderung nach dem Früher ist auf Treibsand gebaut. Wir brauchen Visionen, gesellschaftlichen Fortschritt und Entwicklung als Triebfeder. Dazu bekennt sich ein Großteil der Parteien, auch wenn es in der Praxis unterschiedlich gehandhabt wird.
Ein Stilmittel der Populisten ist es, den Leuten nach dem Mund zu reden.
Das permanente Anwachsen des Wohlstands in den letzten Generationen hat auch zu einer gewissen Erwartung geführt, dass die öffentliche Hand schon einspringen wird, wenn etwas nicht geht. Das wandelt sich jetzt, mehr und mehr Leute erkennen, dass wir so nicht mehr weitermachen können, dass das aber auch mit partiellem Verzicht einhergeht. Das beflügelt jene, die populistisch formulieren, es soll so bleiben, wie es ist. Da braucht es dann die Utopie gar nicht mehr. Da wird dann als Utopie gesehen, dass es so bleibt, wie es ist. Das macht es manchmal sehr schwierig, Dinge zu verändern, etwa wenn es um Gerechtigkeit und leistbare Grundbedürfnisse geht.
Setzt die SPÖ zu wenig auf Emotionen? Christoph Hofinger, der zu Emotionen in der Politik forscht, meint, es sei ein Fehler linker Parteien, dass sie im Wahlkampf eher dazu neigen, ein 45-seitiges Thesenpapier abzuliefern, anstatt Emotionen zu wecken.
Wir haben ein 53-seitiges Programm.
Noch schlimmer …
Bei den Emotionen liegt sicher eine unserer Schwächen. Gleichzeitig lassen sich Populisten einfach mit Fakten entzaubern – wir haben Fakten, andere haben nur ihre Märchen.
Wo wäre die SPÖ in den Umfragen, wenn sie auf Populismus und Emotionen setzen würde?
Das Maximale, das Sie mir hier abringen können, ist eine dosierte und den politischen Grundwert niemals in Frage stellende Form von etwas verbesserter Außenauftrittsarbeit. Da würden wir um einige Prozentpunkte steigen und so manches Linkspopuläre würde nicht so bierig runterrinnen.
Wie bitte?
Bierig von Bier. Bierpartei.
Erwarten Sie bei der Wahl den Erfolg der Populisten oder wird es einen Achtungserfolg des 53-Seiten-Programms geben?
Wir haben noch etwas Zeit. Es muss und sollte uns etwas mit diesem Programm gelingen. Der kleine Nachteil, den wir haben, ist, dass der Spitzenkandidat und das junge Team um ihn herum damit zu kämpfen haben, dass sie von manchen Medien und Journalisten gnadenlos runtergeschrieben werden und noch nicht diesen großen Bekanntheitsgrad haben. Dass die Leute wissen – auch wenn sie vielleicht das eine oder andere nicht an ihm mögen –, dafür steht er. Andi Babler ist authentisch. Der Wert der Authentizität wächst mit der Zeit. Dieses Defizit müssen wir kompensieren. Das ist so, da braucht man nicht herumreden. Kann man nicht ändern. Umso mehr kann man mit Einsatz, Fleiß und Zuwendung noch erreichen.
Andreas Babler ist seit über einem Jahr Parteichef und es fehlt Bekanntheit? Schon die Umstände seiner Wahl haben ihn bekannt gemacht.
Bekanntheit ist nicht gleich Bekanntheit. Ich meine, dass man jemand in seinem politischen Wirken einschätzen kann. Das wird man in Niederösterreich besser können als in Vorarlberg oder Kärnten. Man muss sich ja an Erscheinungen im politischen Alltag erst einmal positiv gewöhnen.
Das klingt eher nachdenklich als überoptimistisch.
Ich war niemals im Leben überoptimistisch. Nachdenklich bin ich immer. Ich orte Entwicklungen in der Gesellschaft und die Rückkehr von Dingen, von denen ich gehofft habe, dass sie uns in Europa nie mehr in dieser Brutalität begegnen. Wir haben Krieg, die Klimapolitik erscheint in der Zwischenbilanz immer als zu wenig, die globalen Machtverhältnisse ändern sich. Man muss wieder zu gemeinsamen Zielen finden, auch wenn diese möglicherweise Profitinteressen widersprechen. Das Überleben des Planeten ist ein solches, oder Frieden zu schaffen. Ich orte zunehmend Defizite im Umgang miteinander. Es zählt mehr und mehr der Egozentrismus. Es gibt mehr Brutalität bis hin zu Alltagsfaschismen in der täglichen Sprache. Es gibt also einiges, wo ich mir konkrete Positionen der zur Wahl stehenden Parteien wünschen würde. Etwa ein Bekenntnis zu einem solidarischen Miteinander, zu einem Sozialstaat, der modernisiert ist und verlangt, dass alle einbringen, wozu sie imstand sind. Diese Grundwertigkeiten sind aus meiner Sicht derzeit im Schwinden. Daher die Nachdenklichkeit.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 33/2024 erschienen.