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Chefredakteur Riedmann: "'Standard' ist kein linkes Blatt"

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Gerold Riedmann führt die "Standard"-Redaktion seit April 2024
©APA/HANS KLAUS TECHT
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Gerold Riedmann steht seit April 2024 an der Spitze der "Standard"-Redaktion. Seitdem muss sich der bald 48-Jährige mit politischen Umwälzungen, so mancher Negativschlagzeile für das Qualitätsblatt und Angriffen der FPÖ beschäftigen. Im APA-Interview erteilt Riedmann einer harten Paywall eine Absage, zieht einen Brief von Herbert Kickl aus der Schublade und sieht einen "New York Times"-Moment für den "Standard" im Falle einer FPÖ-Regierung.

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APA: Ihnen attestiert man, tragfähige Geschäftsmodelle auch im Onlinebereich etablieren zu können. Hat die "Standard"-Geschäftsführung Sie deshalb anstelle von Martin Kotynek als Chefredakteur von den "Vorarlberger Nachrichten" geholt?

Riedmann: Martin hat sehr viele Dinge begonnen, die ich für die digitale Wandlung als wichtig erachte. Gleichzeitig glaube ich, dass im Haus gewisse Entscheidungen getroffen werden müssen, die unseren Journalismus nun voranbringen. Wir hatten auch mit Blick auf den Printbereich eine große Abhängigkeit von internen Abläufen. Was den "Standard" aber ausmacht, ist, dass er eines der größten Digitalmedien Österreichs ist. Eine der Hauptaufgaben ist sicherlich, den "Standard" als Digitalmedium massiv weiterzuentwickeln und damit weiterhin für niederschwellig zugänglichen Qualitätsjournalismus zu sorgen.

APA: Sollten sich die FPÖ und ÖVP auf ein Regierungsprogramm einigen können, was würde die blau-türkise Koalition für das Land und speziell den Medienstandort bedeuten?

Riedmann: Der Umbruch in der Republik beginnt bei den Medien. Diesen Bauplan kennen wir aus den USA und von vielen Rechtspopulisten weltweit: Eigene Medien oder der Partei nahestehende rechte Webseiten, die zwar aussehen wie Journalismus, aber keinen Standards unterliegen und Jubelartikel schreiben, sollen einen medialen Umbruch im Land herbeiführen. Sie sollen an die Fördertöpfe gebracht werden - anstatt der lästigen Fragesteller aus dem Journalismus.

APA: Was kann ein seriöses Medium dem entgegensetzen?

Riedmann: Wir alle erklären im Alltag unsere Arbeit zu wenig, letztlich kann man mit Erklärungen aber sehr viel erreichen. Wir haben begonnen, mit Leserinnen und Lesern Videocalls zu veranstalten, vorige Woche zum Thema: "Zwischen 'Scheißblatt' und Pressefreiheit". Über 400 Teilnehmende aus unserem Abostamm haben über eine Stunde lang Fragen gestellt und mit uns diskutiert. Auch sprechen wir regelmäßig mit Schulklassen. Zu erklären, was wir tun, und worin wir uns von parteinahen Portalen unterscheiden, liegt an uns.

APA: Apropos "Scheißblatt": Diese Aussage stammte von Wiens FPÖ-Obmann Dominik Nepp, der den "Standard" nach kritischer Berichterstattung scharf angegriffen und die Streichung der Presseförderung in den Raum gestellt hat. Schrillen hier die Alarmglocken, oder schweißt dieser Angriff die Community zusammen?

Riedmann: Ich glaube, dass es uns nicht allzu sehr überraschen sollte, wenn ein Wiener Stadtpolitiker mit Fäkalausdrücken um sich schmeißt. Ich erlebe es als Provokation und Versuch, uns hochgehen zu lassen. Diesen Gefallen wollte ich ihm nicht tun. Grundlegender ist, dass scheinbar weite Teile der FPÖ nicht verstanden haben, dass Presseförderung nichts damit zu tun hat, wem was gefällt und welches Medium gefügig gemacht werden soll. Der österreichische Medienmarkt hat einige Besonderheiten, die es notwendig machen, Presseförderungen auszusprechen. Der Markt ist zehnmal kleiner als Deutschland. Das monetär Günstigste wäre, einige wenige Journalisten mit einem deutschen Medium im Hintergrund Österreich bespielen zu lassen. Das gefällt nicht einmal der FPÖ als Zukunftsbild. Darum nehmen wir es sehr ernst, dass versucht wird, einzelne Medien auszugrenzen. So beginnt es. Das sind die Zeichen dafür, dass der Bauplan aus den USA übernommen wird, wo Donald Trump in seiner ersten Amtszeit sagte, dass die Medien "the enemy of the people" seien. Ich glaube daran, für die Menschen jeden Tag die beste Version der Wahrheit zu recherchieren - und das äquidistant zu allen Parteien. Der "Standard" ist kein linkslinkes und auch kein linkes Blatt. Der "Standard" ist eine liberale Zeitung, die möglichst viele Stimmen zulässt.

APA: Staatliche Medienförderungen, aber auch Inseratengelder aus öffentlicher Hand sind eine heikle Sache. Sie machen viele Medien in diesem Umfang erst möglich, erhöhen aber die Abhängigkeit von der Politik. Ein Dilemma?

Riedmann: Die Abhängigkeit von Förderungen ist nie etwas Gutes. Förderungen sollen dazu beitragen, neue Dinge entstehen zu lassen, sollen dabei helfen, Medienhäusern den Weg in Richtung Digitalabo einfacher zu machen. Aber ein vergangenes Geschäftsmodell zu fördern - die Ausschüttung von finanziellen Mitteln pro gedrucktem Exemplar -, davon halte ich nichts. Wir verlängern hier ein Geschäftsmodell, das es andernorts längst nicht mehr gibt.

APA: Kommen wir zurück zum "Standard". Dieser geriet selbst wiederholt in die Schlagzeilen. Vor Gericht hatten FPÖ-Politiker jüngst gegen den "Standard" Erfolg. Der "Standard" wurde nicht rechtskräftig wegen übler Nachrede verurteilt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat im Vorjahr entschieden, dass der leitende Investigativredakteur des Hauses von der FPÖ als "politischer Aktivist" bezeichnet werden darf, und vonseiten des Presserats setzte es eine Rüge im Zuge der Causa Lena Schilling. Eine unglückliche Häufung, oder lässt sich hier doch eine neue Linie des "Standard" herauslesen?

Riedmann: Diese Entscheidungen, die sie aufzählen, fielen über einen langen Zeitraum von mehreren Jahren. Ob es für einen Journalisten eine Auszeichnung oder nicht ist, von der FPÖ als politischer Aktivist bezeichnet werden zu dürfen? Die Entscheidung des OGH ist zu akzeptieren. Wichtiger finde ich die Berichterstattung zu Lena Schilling. Der Presserat hat entschieden, lange bevor Martin Thür einen Vergleich mit der betroffenen Spitzenkandidatin der Grünen erwirkt hat, die sich im Zuge dessen auch entschuldigt hat. Damit sind alle Fragen beantwortet. Bei den FPÖ-Friedhofsängern handelt es sich um eine erstinstanzliche Entscheidung, wir haben Berufung eingelegt, und dürfen weiterhin sagen, dass eine NS-Hymne am Grab gesungen wurde. Auseinandersetzungen mit der FPÖ gehören mittlerweile leider zur Tagesordnung. Aber ein neuer Weg? Nein. Die FPÖ hat sich juristisch professionalisiert.

APA: Vielleicht etwas konkreter gefragt: Lehnt sich der "Standard" in letzter Zeit für Aufdeckergeschichten vermehrt aus dem Fenster und nimmt dabei in Kauf hart an der Grenze des medienethisch Vertretbaren entlang zu schrammen? Die Causa Schilling hat auch Vertreter anderer Medien zu Äußerungen wie "Aufdeckergeschichte im Grenzbereich des Publizierbaren" oder "Tabubruch" veranlasst...

Riedmann: Vertreter von Medien, die unsere Berichterstattung in ihren Ausgaben selbst nacherzählt haben. Ich glaube, dass es für einige überraschend war, wie vehement wir unseren Journalismus verteidigen. Offensichtlich sind wir in einem immer feindseligeren Umfeld unterwegs. Je stärker die Angriffe, desto größer ist der feststellbare Zuspruch von unseren Leserinnen und Lesern. Der "Standard" nimmt Dinge mutig in die Hand. Wir wollen die beste Version der Wahrheit recherchieren.

APA: Blicken wir auf derstandard.at. Die Nachrichtenseite feiert dieser Tage ihren 30. Geburtstag. Sind Neuerungen geplant?

Riedmann: Der 30. Geburtstag von derstandard.at ist ein großer Auftrag weiterzumachen, aber sich auch neu zu erfinden. Wir kümmern uns in der Berichterstattung verstärkt um die Bedürfnisse unserer User. Viele wollen im Forum diskutieren oder sich unterhalten, andere möchten inspiriert werden. Diesen "User Needs" versuchen wir verstärkt nachzukommen, indem wir unsere User besser kennenlernen. Es wird auch Personalisierungsanstrengungen geben. Am Ende wollen wir die relevanteste qualitätsjournalistische Plattform in Österreich sein, dem Austausch von Meinungen Raum geben.

APA: Und geht das nur ohne harte Paywall?

Riedmann: Eine harte Paywall führt dazu, dass ein elitärer Klub einen hohen Betrag für Qualitätsjournalismus bezahlt. Für uns ist es wichtig, Qualitätsjournalismus niederschwellig zugänglich zu machen. Ansonsten verschwindet dieser hinter einer Wand, was demokratiepolitische Auswirkungen hätte. Wir haben aber schon jetzt ebenso viele Digital- wie Printabonnenten und haben uns einen guten Platz in der digitalen Transition erarbeitet. Wir konzentrieren uns darauf, unser Geschäftsmodell auf unterschiedlichen Säulen zu bauen.

APA: Derstandard.at ist eine der größten Nachrichtenseiten des Landes und hat eine riesige Community. Kritiker meinen, das Diskussionsniveau im Forum sei teils unterirdisch. Wie sind Sie mit der Gesprächskultur zufrieden?

Riedmann: Das Schöne ist, dass es Meinungsfreiheit in diesem Land gibt. Es gibt Inhalte, die Ihnen oder mir nicht passen. Aber dafür gibt es Gesetze und die Möglichkeit der Moderation, in die wir sehr viel investieren. Wir sehen einen Userzuwachs, und unter kontroversen Themen gibt es kontroverse Postings. Wir ziehen aber auch sehr viele Hinweise für Recherchen aus dem Forum. Wir sind insofern sehr glücklich damit.

APA: Der "Standard" beschäftigt beinahe 200 Journalistinnen und Journalisten. 2023 hieß es, dass bis zu 25 Mitarbeiter der Verlagsgesellschaft gehen müssen. Sind weitere Kürzungen in Aussicht?

Riedmann: Die Kürzungen haben letztlich weniger Kolleginnen und Kollegen betroffen. Es sind nicht einfache Zeiten für Journalismus. Ich bin, was die Publizistik im "Standard" betrifft, momentan vorsichtig hoffnungsfroh, dass dieses Land einen Weg aus der Rezession findet. Wir wollen jedenfalls - wenn ich an Podcasts oder auch die Wirtschaftsberichterstattung denke - in bestimmten Bereichen wachsen.

APA: Wäre eine FPÖ-geführte Bundesregierung in den nächsten Jahren auch eine Chance für den "Standard"? Ich denke an die "New York Times", die während Trumps erster Amtszeit massiven Leserzuwachs erfahren hat...

Riedmann: Für den "Standard" bieten sich momentan unglaubliche Chancen. Mich hält nachts allerdings wach, ob wir weiterhin die Möglichkeit haben, frei in diesem Land zu arbeiten. Ich habe in meiner Schublade einen Brief von Herbert Kickl. Darin schreibt er, dass er sich Sorgen macht, ob es weiterhin freie Medien in Österreich gibt. Entweder ist das Heuchelei gewesen oder tatsächlich ernst gemeint. Bis wir es wissen, behalte ich den Brief weiter auf. Aber ja, ich glaube, dass es für den "Standard" jetzt ein "New York Times"-Moment ist.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

Gerold Riedmann, Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung "Der Standard", am Donnerstag, 30. Jänner 2025, im Rahmen eines Interviews mit der APA-Austria Presse Agentur in Wien.

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