Nach der Nationalratswahl galt SPÖ-Chef Andreas Babler als angezählt. Erst recht nach dem Scheitern der ersten Verhandlungen mit ÖVP und Neos. Parteiintern wird ohnehin stets am – 2023 nach heftigen Streitereien gekürten – Chef herumgemäkelt. Doch nun hat er bei den Koalitionsverhandlungen gepunktet und seine „Parteigranden“ bei der Personalauswahl zusammengestutzt.
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In seine bislang wohl erfolgreichste Rolle kann Andreas Babler nicht mehr schlüpfen: in jene des Unterschätzten. Als solcher rollte der damalige Traiskirchner Bürgermeister 2023 bei der SPÖ-internen Wahl zum Parteichef das Feld von hinten auf. Er saß Ablösedebatten aus, die bald nach seiner Wahl schwelten und nach der Wahlschlappe im Herbst und dem Scheitern der ersten schwarz-rot-pinken Verhandlungen Anfang Jänner unüberhörbar waren.
Aber nun wird er als Siegertyp hofiert, der im zweiten Anlauf bei ÖVP und Neos sein Wunschprogramm zumindest teilweise durchgesetzt hat und innerhalb der SPÖ seine Personalwünsche. Als Babler am Montag in der Hofburg zur Angelobung bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen antritt, ist er von einer Regierungsmannschaft umgeben, in der er enge Vertraute platziert hat. Jene „Parteigranden“, die ihre Kandidaten durchbringen wollten, ließ Babler auflaufen. Jeder von ihnen bekam zwar etwas, nur eben nicht das, was er wollte.
Rote Themen im Programm
Politikexperte Thomas Hofer konzediert dem SPÖ-Vorsitzenden auf mehreren Ebenen Geschick. Zum einen was das eigentliche Regierungsprogramm betrifft: Babler hat zwar bei den Verhandlungen Reizthemen wie Vermögenssteuern und die 32-Stunden-Woche ausgespart, im zweiten Anlauf aber eine Idee durchgesetzt, die ursprünglich für ÖVP und Neos ein No-Go war: eine Bankenabgabe.
Was er noch auf der Habenseite stehen hat: ein eigenes Wohnungsressort, das es so bisher nicht in der Regierung gegeben hat und mit dem er in einem roten Kernthema punkten will. Im Regierungsprogramm findet sich dazu schon eine Mietpreisbremse. In Sachen Pensionen gibt es vorerst keine Erhöhung des gesetzlichen Antrittsalters, sondern „nur“ eine Verschärfung der Regelungen bei der Korridorpension. Und beim Kernanliegen der Wirtschaft, der Senkung der Lohnnebenkosten, die von SPÖ und Gewerkschaften kritisch gesehen wird, wurde auf die Bremse gedrückt. Frühestens 2027 könnte die Finanzierung des Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) nicht mehr über die Lohnzettel, sondern aus dem Budget erfolgen – aber nur, wenn dieses bis dahin weniger Sorgen bereitet.
„Die Wirtschaftsparteien ÖVP und Neos stehen nach diesen Verhandlungen eher nackt da“, lautet der Befund von Thomas Hofer. Das zeige sich in der Ressortverteilung. Die ÖVP hat ein abgespecktes Wirtschaftsministerium behalten, in das mit Wolfgang Hattmannsdorfer ein Newcomer in der Bundespolitik einzieht. Dazu kommt mit Elisabeth Zehetner eine Staatssekretärin für Energieangelegenheiten. Sie war zuvor bei einem von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung unterstützten Thinktank tätig, der Klimapolitik im Sinne der beiden Interessenvertretungen diskutiert.
Den Neos blieb in der neuen Regierung, neben dem Außenministerium für Beate Meinl-Reisinger, ein Unterrichtsministerium für Christoph Wiederkehr. Die Wissenschaft geriet zur Verschubmasse, bei der prompt die SPÖ zugeschlagen hat. Sepp Schellhorn ist als Staatssekretär für Deregulierung das pinke Signal an die Wirtschaft. Doch in seinem Wirken ist er auf das Wohlwollen der Ministerinnen und Minister von ÖVP und SPÖ angewiesen. „Ich warte schon auf seinen ersten Aufschrei, wenn er bei denen keinen Termin bekommt“, sagt Hofer.
Dafür hat die SPÖ zwei erfahrene Schwergewichte für Wirtschaft und Finanzen im Team: den bisherigen Wiener Stadtrat Peter Hanke im Infrastrukturministerium und den angesehenen Wirtschaftswissenschaftler Markus Marterbauer im Finanzministerium.


Wirtschaftsforscher Markus Marterbauer ist neuer Finanzminister.
© APA/AK WIEN/MARKUS ZAHRADNIK

Der frühere Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke ist neuer Infrastrukturminister.
© Bild: Matt ObserveAngesehen und umstritten
„Markus Marterbauer ist ein Erfolg für Babler. Aber er ist eine Provokation für die ÖVP und es gibt auch erhebliches Konfliktpotenzial mit den Neos“, sagt Hofer. ÖVP-intern wird Bundeskanzler Christian Stocker angekreidet, dass er kein Veto gegen den bisherigen Chefökonomen der Arbeiterkammer eingelegt hat. Bei so manchem Roten aus den Bundesländern wäre er damit sogar auf Verständnis gestoßen. Warum das so ist?
Marterbauer ist als Wirtschaftswissenschaftler unbestrittener Experte. Neben seiner Funktion bei der Arbeiterkammer war er zuletzt Vizepräsident des Fiskalrats, der über die österreichische Budgetpolitik wacht. Aber – und hier beginnen die möglichen Probleme mit ÖVP und Neos – Marterbauer gilt auch als Verfechter von vermögensbezogenen Steuern. In einem Interview mit dem sozialdemokratischen Magazin Kontrast von Mitte Februar kann man Marterbauers Meinung über die Wirtschaft und ihre Krise nachlesen: „Wir müssen wieder mehr eine Kultur entwickeln, wo es um den langfristigen Erhalt der Unternehmen geht und weniger um die Interessen der Eigentümerinnen und Eigentümer“, sagt er da und: „In der Öffentlichkeit wird darüber diskutiert, dass die Lohnkosten so hoch sind, aber dass die Ausschüttungsquoten (an die Eigentümer, Anm.) so enorm hoch waren, wird kaum debattiert.“
Marterbauer ortet ein „Problem des Kapitalismus. Denn der Kapitalismus hat sich so gewandelt, dass die Interessen von Eigentümerinnen und Eigentümern zu stark in den Vordergrund gerückt sind.“ Sein Fazit: „Unsere Aufgabe ist, darauf hinzuweisen, dass es bei Unternehmen um andere Dinge geht, als nur die Interessen von Eigentümerinnen und Eigentümern zu berücksichtigen.
Es geht um die Auseinandersetzung: In welchem Wirtschaftssystem wollen wir leben?“ Daher müsse man darüber nachdenken, Ausschüttungen höher zu besteuern.
Hätte Marterbauer dieses Interview schon als Finanzminister gegeben, würde der ÖVP-Wirtschaftsflügel lautstark hyperventilieren.
Schwache Länder-Achse
Wäre es nach dem Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig gegangen, hätte Marterbauer seinen neuen Arbeitsplatz nicht im ehemaligen Winterpalais des Prinzen Eugen in der Wiener Himmelpfortgasse. Er brachte seinen Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke als Finanzminister in Stellung, dessen Expertise in der SPÖ und bei den Koalitionspartnern unbestritten ist. Babler bot den Wienern – die sich beim Parteitag 2023 wahlentscheidend auf seine Seite geschlagen hatten – daraufhin das Infrastrukturministerium an. Hanke war das ganz recht. Ludwig stimmte zu. Und löste für Babler damit ein anderes Problem: Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, die von Wien entsandt im Koalitionsverhandlerteam saß, wollte den niederösterreichischen SPÖ-Chef Sven Hergovich im Amt des Infrastrukturministers sehen. Hergovich darbt derzeit (kraft Proporzregelung) als roter Landesrat in der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich. Er kennt die Materie, denn Bures war früher Infrastrukturministerin und er in ihrem Kabinett. Und er gilt als eine der „Zukunftshoffnungen“ der Partei – zumindest bei jenen, die mit Andreas Babler bisher eher keine Zukunft sahen.
Wer will schon seinen präsumtiven Nachfolger neben sich auf der Regierungsbank sitzen haben? Babler offenbar nicht. Michael Ludwig nahm ihm die Arbeit ab, den jungen Niederösterreicher auszubooten. Thomas Hofer: „Aus Wiener Sicht ist das Infrastrukturministerium ein Gewinn. Doch Ludwig hat damit auch eine sich anbahnende Achse zwischen seiner Landespartei und den Niederösterreichern zerstört.“
Die SPÖ Niederösterreich bekam den Posten eines Staatssekretärs angeboten. Hergovich verzichtete und schickte die bisherige Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig. Die ebenfalls Babler-kritischen Steirer, hier ist Doskozil-Freund Max Lercher Parteichef, wurden ebenfalls mit einem Staatssekretär angefüttert. Jörg Leichtfried ist im Innenministerium für die Nachrichtendienste zuständig. „Die Landesparteien wurden damit vorgeblich befriedet. Aber das ist bestenfalls ein Burgfriede, der nicht lange halten wird“, meint Thomas Hofer.
Weht der Regierung erst einmal Gegenwind entgegen, sackt die SPÖ in den Umfragen (noch weiter) ab, würden sich die roten Landesparteien – bis auf Kärnten allesamt mehr oder weniger offen Babler-Kritiker – bald zu Wort melden. Detail am Rande: Hans Peter Doskozil – bisher stets unter Generalverdacht, gegen die Bundesparteispitze zu meckern – konnte sich beim Schauspiel der vergangenen Tage nobel zurückhalten.


Michael Ludwig hat Babler bei der Wahl zum Parteichef unterstützt und ihn wieder an den Koalitionsverhandlungstisch gebracht. Im Tauziehen um den Finanzminister lenkte er ein. Bleibt gewichtiger Kritiker des Bundesparteichefs.


Hans Peter Doskozil war gegen Regierungsverhandlungen der SPÖ. In der Debatte um die Ministerposten hielt er sich nobel zurück. Das Auswahlrecht liege beim Parteichef, ließ er wissen. Hat mit Kritik an der Bundesparteiführung nie gespart.


Sven Hergovich gilt vielen als die Zukunftshoffnung der SPÖ. Seine Mentorin Doris Bures wollte ihn im Infrastrukturministerium sehen. Deren Wiener Parteifreund Michael Ludwig durchkreuzte diesen Plan. Hergovich wird wohl ein kritisches Auge auf den Vizekanzler haben.
Die Gunst des Augenblicks
Unangenehm wird es für Babler, sobald seine Kritiker an einem Strang ziehen und nicht, wie bei der Episode um das Finanzministerium, gegenläufige Interessen verfolgen. Eine Mehrheit in den Parteigremien hätte Babler schon nach der Nationalratswahl entmachten, die Ministerliste diktieren oder Bablers Vertraute in der Bundesgeschäftsführung abmontieren können. Doch man ließ es bleiben. Babler hat schließlich auch Fans. Zum Beispiel in Wien, und hier wird bald gewählt.
Aufgrund einer Statutenreform – auch hier haben rote Schwergewichte den Parteichef und sein Kalkül wohl unterschätzt – sitzt Babler fest im Sattel. Wer ihn weghaben will, müsste eine Mehrheit der Parteimitglieder gegen ihn mobilisieren. Dass sich hochrangige Parteifunktionäre untereinander ausmachen, wer der Chef wird, spielt es so nicht mehr. Um Babler zu wählen, sind viele Menschen neu in die SPÖ eingetreten. Die nehmen es ihrem Idol offenbar auch nicht übel, dass es seine Basis nicht über das Koalitionsabkommen mit ÖVP und Neos abstimmen ließ.
Kaum einer kennt die SPÖ so gut
Denkt man an Bablers unmittelbare Vorgänger – Pamela Rendi-Wagner und Christian Kern –, wird ein Unterschied augenscheinlich. Im Gegensatz zu ihnen kennt Babler die SPÖ wie seine Westentasche. Er ist mit 16 Jahren der Sozialistischen Jugend beigetreten, war deren Bundessekretär und später auch Vizepräsident der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend. Er hat dort Bündnisse geschmiedet, gelernt, wie man seine Interessen in einer Gruppe durchsetzt und wie man in einer Partei wie der SPÖ überlebt.
Wo Rendi-Wagner und Kern mehr oder weniger hilflos parteiinterner Dynamik ausgeliefert waren und sich ihre Seilschaften erst suchen mussten, als sie schon an der Spitze standen, weiß Babler, wie die SPÖ funktioniert. Dass er als Bürgermeister von Traiskirchen von mehr als 70 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurde, zeigt, dass er auch über Parteigrenzen Angebote machen kann. Wenn er will. Wenn er sich nicht von seinem eigenen Verhandlungsglück der letzten Wochen blenden lässt. „Er ist ein fähiger Taktiker“, sagt Strategieberater Thomas Hofer, „aber die Fallstricke für die nächsten Monate sind schon ausgelegt.“
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 10/2025.