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32,5 Prozent mehr antisemitische Fälle gemeldet als 2023

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IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele und Präsident Oskar Deutsch
©APA, GEORG HOCHMUTH
Die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) hat im Jahr 2024 deutlich mehr antisemitische Vorfälle registriert als im Jahr zuvor. Laut dem am Mittwoch veröffentlichten Jahresbericht der Antisemitismus-Meldestelle der IKG Wien wurden im Vorjahr 1.520 antisemitische Vorfälle in Österreich registriert. Gegenüber 2023, das bisher das Rekordjahr markierte (1.147 Meldungen), bedeutet das eine Zunahme um 32,5 Prozent.

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Nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel sei eine "regelrechte Welle an Antisemitismus hereingebrochen", sagte IKG-Präsident Oskar Deutsch bei der Vorstellung des Berichtes. Es sei eine "neue Realität", die aus "Sorgen und Angst, Polizeipräsenz und massiven Sicherheitsbedenken besteht". Zu den 1.520 Meldungen im Jahr 2024 sagte der Präsident, er wolle nicht wissen, welche antisemitischen Vorfälle nicht gemeldet wurden - "da ist noch eine sehr viel höhere Zahl sicher".

"Es ist unser aller Aufgabe (...) gegen dieses Krebsgeschwür Antisemitismus anzukämpfen. Es geht nicht um die Zahlen, es geht um die Menschen", sagte Deutsch. Als Beispiel brachte er etwa Kinder, die aufgrund ihrer Kleidung als Juden erkannt und von Jugendlichen körperlich attackiert wurden - oder Attacken auf einen Vater mit zwei Kindern nach dem Verlassen der Synagoge in Wien nach dem Abendgebet. Auch berichtete Deutsch von einem Kind, das wegen Anpöbelungen am Schulweg nicht mehr in die Schule gehen will. "Wir werden uns nie daran gewöhnen", sagte er zu derartigen Vorfällen.

Von den 1.520 im Bericht (abrufbar unter https://go.apa.at/OtB4bYGf) gemeldeten Vorfällen waren 24 physische Angriffe (2023: 18), 38 Bedrohungen (2023: 18), darüber hinaus gab es 216 Fälle von Sachbeschädigung (2023: 149), 616 Fälle von Massenzuschriften (2023: 536) und 626 Fälle von verletzendem Verhalten (2023: 426). Seit Einrichtung der Meldestelle sind die Fälle deutlich gestiegen. Im ersten Jahr 2009 waren es noch 200 gemeldete Vorfälle, 2015 stieg die Zahl mit 465 erstmals auf über 400 und blieb bis 2020 auf unter 600. 2021 wurden 965 Fälle verzeichnet, 2022 derer 719, bevor die Zahlen infolge des Hamas-Angriffs dann in die Höhe schossen.

Betrachtet man den ideologischen Hintergrund der Angriffe, so waren 30,8 Prozent (468 Fälle) nicht zuordenbar. 29,8 Prozent (453 Fälle) hatten einen muslimischen Hintergrund, 24,7 Prozent (376) einen linken und 14,7 Prozent (223) einen rechten Hintergrund.

Den Opfern sei es "völlig egal, ob der Angreifer ein Nazi oder ein Islamist ist. Ob das mehr von der einen oder der anderen Seite kommt, ist völlig egal", sah Präsident Deutsch alle Seiten gefordert, gegen derartige Vorfälle vorzugehen. Er gehe nicht mehr davon aus, dass man Antisemitismus komplett beseitigen könne, sagte er. "Aber wir müssen ihn auf ein bisschen erträgliches Maß reduzieren."

Jüdisches Leben werde aber nicht aus der Öffentlichkeit verschwinden, "im Gegenteil", gab sich Deutsch kämpferisch. Es sei die Aufgabe, "gerade in einer herausfordernden Zeit, noch mehr Präsenz zu zeigen". "Wir werden uns nicht von Antisemiten, egal von welcher Seite, unser jüdisches Leben in Wien bzw. in Österreich irgendwie vergraulen lassen. Wir sind Österreicher, wir leben gerne hier, wir wollen auch voll unser jüdisches Leben hier ausleben." Die Schulen und Synagogen müssten gesichert werden, das koste auch viel Geld, betonte er, seitens der Exekutive würden an Orten, wo es viele Gemeindemitglieder gibt, vermehrt Streifendienst gefahren. "Wir lassen uns von niemandem einschüchtern."

IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele sagte, erschreckend sei vor allem die "Verrohung" und die physischen Übergriffe, "die immer mehr werden" - und aus dem Kontext, "dass Täter und Täterinnen immer jünger werden und dass die Opfer immer jünger werden"

Der für den Kampf gegen Antisemitismus zuständige Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Alexander Pröll (ÖVP), kündigte angesichts der Zahlen einen neuen Maßnahmenplan an. "Die Ergebnisse dieses Berichts sind ein dringender Weckruf. Besonders der Anstieg antisemitischer Vorfälle in Zusammenhang mit Israel ist alarmierend", so Pröll in einem der APA vorliegenden Statement. Es sei "inakzeptabel, dass sich immer mehr Menschen in Österreich durch die Politik Israels zu Antisemitismus legitimiert fühlen". Die Position der Bundesregierung sei klar: "Die jüdischen Gemeinden haben in uns einen verlässlichen Partner", so Pröll. "Eine entsprechende Adaptierung der Nationalen Strategie ist dringend notwendig" so Pröll. Noch heuer soll daher ein neuer Maßnahmenplan präsentiert werden. Antisemitismus in jeder Form sei eine Gefahr für die Gesellschaft. "Wir werden gegen diese besorgniserregenden Entwicklungen konsequent vorgehen", betonte Pröll.

Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) erklärte in einem schriftlichen Statement, der muslimische Antisemitismus habe "den rechten Antisemitismus überholt und ist mit 30 Prozent die häufigste Form des Antisemitismus. "Ich erwarte mir an dieser Stelle nicht nur ein klares Bekenntnis von allen Parteien, sondern auch ein Bekenntnis von den Musliminnen und Muslimen, von den Glaubensgemeinschaften, von linken und rechten Vereinen und Organisationen, dass Antisemitismus in diesem Land keinen Platz hat", erklärte sie. Sie erwarte sich aber auch "entsprechende Taten".

Seitens der SPÖ zeigte sich die Sprecherin für Erinnerungskultur Sabine Schatz angesichts der Zahlen "tief betroffen". Darin sehe sie einen "klaren Handlungsauftrag": "Wir werden Antisemitismus entschlossen entgegentreten. Der Schutz und die Sicherheit der jüdischen Gemeinde und von jüdischen Einrichtungen haben dabei Priorität", sagte sie in einer Aussendung. Sie freue sich, dass sich die Bundesregierung klar zur Förderung von jüdischem Leben in Österreich und zum Kampf gegen Antisemitismus bekenne. Nun müsse weiter an der Umsetzung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus gearbeitet werden. "Wir werden aber auch dort nachschärfen, wo es nötig ist, um Antisemitismus nachhaltig zu bekämpfen."

Der Grüne Rechtsextremismus-Sprecher Lukas Hammer erklärte in einer Aussendung, antisemitische Einstellungen seien "keineswegs nur an den 'Rändern' der Gesellschaft zu verorten, sondern ziehen sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche". Deshalb müsse auch der Kampf gegen Antisemitismus ein umfassender und gesellschaftspolitischer Auftrag sein. "Antisemitismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben - ganz egal, von welcher Seite er kommt", so Hammer. Es brauche dringend gezielte Maßnahmen - "in Bildung, Prävention und Deradikalisierung". Dazu müsse der Nationale Aktionsplan gegen Antisemitismus "dringend novelliert und angepasst" werden.

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