Der Arm des Premierministers seiner Majestät reicht auch nicht mehr so weit wie früher. Im rumänischen Bergland zum Beispiel kümmert sich die Globalisierung recht wenig um Sir Keir Starmer. Da gehen die Uhren aber auch sonst noch etwas anders.
Mitten im Banater Bergland, einem eher abgelegeneren Teil Rumäniens, ereilte mich vor wenigen Tagen die Nachricht, dass der Premierminister seiner Majestät, Sir Keir Starmer, die Globalisierung für beendet erklärt habe, und zwar mit Anlauf: Starmer hatte bereits im Vorfeld seines Besuchs beim Autohersteller Jaguar Land Rover in Coventry angekündigt, dass er bei dieser vorherragenden Gelegenheit das Globalisierungslicht abdrehen wolle. Als ich das in der Einschicht des rumänischen Bergstädtchens Resita (Reschitz) las, wurde mir erstens klar, dass der lange Arm des Premierministers seiner Majestät wohl auch nicht mehr ganz so weit reicht wie zu Zeiten der seligen Königin Victoria – wie hätte ich in den rumänischen Bergen vom Ende der Globalisierung erfahren sollen, wäre sie tatsächlich beendet worden?
Zugleich erinnerte mich die Berichterstattung an meine Lieblingsszene in dem großartigen Film „Wag the Dog“ (Pflicht für Trumpisten und solche, die es noch werden wollen). Da geht es darum, dass der Präsident über einen Berater (Robert De Niro) einen Regisseur (Dustin Hoffman) dazu bringt, ihm allerlei Fake-News zu produzieren, die ihm dabei helfen sollen, einen Sex-Skandal zu vertuschen, vor allem wird ein Krieg gegen Albanien inszeniert. Als der Präsidentenberater dem Regisseur erklärt, dass der Präsident den Krieg gegen Albanien soeben beendet habe, hüpft der kleine Hoffman herum wie das Rumpelstilzchen und schreit schrill: „Das kann er nicht, das kann er nicht, er hat ihn nie begonnen!“ Worauf der Spindoktor ungerührt antwortet: „Eine umso größere Leistung.“
Vorsicht
Es ist immer Vorsicht angebracht, wenn man in Versuchung gerät, die laufenden Ereignisse abschließend zu bewerten, bevor sie abgeschlossen sind (das sind sie nämlich nie) und ihnen ad hoc einen Platz in der Menschheitsgeschichte zuzuweisen. Wahr ist, dass der Neo-Protektionismus der Trump-Administrationen einen weiteren Beitrag zur ökonomischen Deglobalisierung leistet, aber bei Weitem nicht den einzigen: Der markanteste Einschnitt war zuletzt vermutlich die Pandemie, denn sie hat den globalen Personen- und Warenverkehr tatsächlich eingeschränkt und in Teilen zum vollständigen Erliegen gebracht. Dazu kommt, dass manche Aspekte der Globalisierung einfach unumkehrbar sind, das betrifft vor allem die Kommunikation.
Nicht einmal das ist wirklich neu: Die Globalisierung war vor etwas mehr als 100 Jahren schon einmal mindestens so weit fortgeschritten wie heute (damals brauchte man nicht einmal einen Reisepass, konnte allerdings auch in kein Sozialsystem einwandern), auch das Internet war schon da, man nennt es rückblickend das „viktorianische Internet“: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden mehrere Transatlantikkabel verlegt (das erste dauerhaft funktionierende Telegrafenkabel installierten übrigens die deutschen Gebrüder Siemens – Deutschland als Infrastruktur-Pionier, das kann sich heute auch kaum noch jemand vorstellen). Die Telegrafie brachte das Kunststück zustande, Nachrichten annähernd in Echtzeit von den Vereinigten Staaten nach Europa zu bringen, und daran hat auch alles, was danach passierte, nämlich die brutalste Form der Globalisierung namens Krieg, nichts geändert.
Es gibt, Ironie der Geschichte, niemals eine radikalere Form der Deglobalisierung als einen globalen Krieg
Es gibt, Ironie der Geschichte, niemals eine radikalere Form der Deglobalisierung als einen globalen Krieg, zumindest was die nicht den Krieg betreffende Mobilität von Menschen und Gütern betrifft. Nur die Globalisierung der Information scheint unumkehrbar zu sein, und ob das eine gute Nachricht ist, kann man möglicherweise auch noch nicht abschließend bewerten.
Was mir in den Banater Bergen ebenfalls bewusst geworden ist: Die Beschreibung des Weltgeschehens ist etwas, das die Bewohner großer Städte für die Bewohner großer Städte machen. Dass sich in den Mantelfalten der Zeitgeschichte Regionen verbergen, in denen trotz ihrer Einbindung in das globale Netz der Kommunikation andere Zeitverhältnisse dominieren, gerät dabei vollkommen aus dem Blick. Im Banat und in Siebenbürgen leben die deutschsprachigen Nachfahren von Siedlern, die in einer ersten Welle noch im Mittelalter nach Südosten aufbrachen und in einer zweiten Welle von Maria Theresia angesiedelt wurden. Die Siebenbürger Sachsen und die Banater Schwaben haben die Jahrhunderte überdauert, sie sind das Ergebnis früher Formen der Globalisierung (die immer auch Kolonisierung gewesen ist und bleiben wird), aber sie haben sich auch dann nicht ausschließlich in die Opferrolle fallen lassen, als sie, etwa nach dem Zweiten Weltkrieg, Opfer von Vergeltung und Vertreibung wurden. Ihre Zuflucht und Burg war die Sprache, die sie über Jahrhunderte in der Fremde pflegten.
Herta Müller, die Literatur-Nobelpreisträgerin des Jahres 2009, ist das berühmteste Beispiel innerhalb einer beeindruckend breiten Bewegung der Selbstbehauptung durch Sprachbehauptung. An der Peripherie der Globalisierung gehen die Uhren noch immer ein wenig anders als in ihren gleichgeschalteten Zentren. Man möchte den Hauptstadthektikern, die sich in der Endgültigkeit ihrer Weltbeschreibung ständig neu überbieten, gern regelmäßige Reisen in die Balkanberge empfehlen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/2025 erschienen.