Wiederholt sich die Geschichte? Ist Björn Höcke die Parodie von Adolf Hitler und wird sich der Bundesparteiobmann der FPÖ von einem Drittel der Nationalratsabgeordneten zum Kaiser von Österreich krönen lassen? Fragen, die den Rechtshegelianer Herbert Kickl und den Marxisten Andreas Babler unbedingt interessieren sollten.
Wer die wilden Tage rund um die Jahrtausendwende 1999/2000 – die Bildung der ersten schwarz-blauen Koalition, in der Jörg Haider unter Verzicht auf ein Regierungsamt den drittplatzierten ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel zum Kanzler machte – , als aktiver Beobachter des politischen Geschehens miterlebt hat, fühlt sich dieser Tage ein bisschen an den Film "Groundhog Day" ("Und täglich grüßt das Murmeltier") mit dem wunderbaren Bill Murray und der bezaubernden Andie McDowell erinnert: Willkommen in der Zeitfalle.
Rechtshegelianer wie Herbert Kickl und Marxisten wie Andreas Babler mögen sich eher an den "18. Brumaire des Louis Bonaparte" erinnert fühlen, den Karl Marx mit dem berühmten Satz begonnen hat: "Hegel bemerkt irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce." Zu Hegels Satz und Marx’ Zusatz gibt es viele Auslegungsvarianten, für die aktuelle Lage in Österreich und Deutschland ist vermutlich der Gegenstand der Analyse mindestens ebenso interessant.
Volkspräsident
Geschildert wird, wie Louis Napoleon, der Neffe des großen Napoleon, der schon zuvor versucht hatte, sich an die Macht zu putschen, nach der Februarrevolution 1848 nach Frankreich zurückkehrte, sich einer Volkswahl stellte, Präsident – Volkspräsident! – wurde und danach sukzessive versuchte, durch Einschränkungen des Wahlrechts und andere Manöver die ganze Macht an sich zu bringen. Am 2. Dezember 1851 entschließt er sich, nachdem der Versuch, seine Amtszeit auf zehn Jahre zu verlängern, an der nicht erreichten Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung gescheitert ist, zum Staatsstreich. Als Diktator lässt er sich die von der Nationalversammlung verweigerte zehnjährige Amtszeit durch ein Plebiszit – Volksabstimmung! – bestätigen.
Ungefähr das, was zwischen 1848 und 1852 (da verlieh der Senat Louis Bonaparte den Kaisertitel) geschah, befürchten die Kräfte, die derzeit an der "Brandmauer" gegen rechts, also gegen die FPÖ von Herbert Kickl arbeiten, auch für Österreich: Dass sich da jemand auf demokratischem Weg an die Macht schleicht, um dann unter Mithilfe eines manipulierten Volks sukzessive die Demokratie, die ihn an die Macht gebracht hat, abzubauen.
Zunächst, so die Vorstellung, würde es in Richtung einer illiberalen Demokratie wie in Viktor Orbáns Ungarn gehen, dann weiter zu einem autoritären Staat mit demokratischem Anschein und am Ende vielleicht in eine lupenreine Diktatur mit Fahndungslisten, mit Nach-oben-Treten und allem Drum und Dran. Der Kaisertitel wäre in Österreich, anders als etwa in Italien oder Polen, für Demokratieabschaffer auch noch im Rahmen des historisch Anschlussfähigen, aber so weit geht man derzeit in den Angstprognosen noch nicht.
Weniger zimperliche Gemüter weisen mit Blick auf den Thüringer AfD-Wahlsieger Björn Höcke darauf hin, dass auch Hitler 1933 mit demokratischen Mitteln an die Macht gekommen sei.
Negativdefinition
Aktivisten und Medienleute haben sich, stärker in Deutschland, aber zunehmend auch in Österreich angewöhnt, die AfD und die FPÖ über den Weg der Negativdefinition als undemokratische Parteien zu bezeichnen: Man spricht von den demokratischen Parteien und meint die AfD und die FPÖ ausdrücklich nicht mit. Was eine demokratische Partei von einer nichtdemokratischen Partei unterschiedet, kann aber niemand sagen, was kein Wunder ist, weil der Begriff an sich sinnlos ist. So wie es keine demokratischen Werte gibt, gibt es auch keine demokratischen Parteien. Die Demokratie ist ein Verfahren, und an diesem Verfahren nimmt teil, wer die verfassungsmäßigen und gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt.
Ist es dann umgekehrt undemokratisch, den Ausschluss von Parteien, deren Inhalte man ablehnt, von der Regierungsverantwortung zu fordern? Natürlich nicht, niemand kann eine Partei zwingen, mit einer anderen, deren Inhalte sie ablehnt, eine Koalition einzugehen oder gemeinsam Gesetze zu beschließen. Es ist nur problematisch, den Begriff „demokratisch“ zu einem polemisch-politischen Kampfbegriff zu verkürzen und damit zu entwerten.
Glaubt wirklich jemand, dass die FPÖ den Plan hat, die Demokratie in Österreich auszuhebeln? Glaubt jemand, dass es ihr mit weniger als einem Drittel der Abgeordneten, ob mit oder ohne Regierungsbeteiligung, gelingen könnte, die Demokratie einzuschränken oder sogar die Menschenrechte außer Kraft zu setzen? Glaubt jemand ernsthaft, dass die ÖVP oder eine andere Partei bereit wäre, einen solchen Weg mitzugehen? Glaubt man, dass sich die Zweidrittelmehrheit im Nationalrat, die notwendig wäre, um die österreichische Spielart des repräsentativen parlamentarischen Systems auszuhebeln, dabei umgehen ließe?
Wenn ja, wäre das die ultimative Misstrauenskundgebung auch sich selbst gegenüber. Wenn nein, warum schürt man Ängste, wo man doch angeblich die Angstmacher bekämpfen will? Es gibt gute Gründe, Inhalte, Ton und Habitus der FPÖ abzulehnen.
Es gibt gute Gründe, mit ihre keine Regierung bilden zu wollen. Man könnte das ruhig und klar diskutieren und argumentieren. Aber die Abkürzung über persönliche Dämonisierung und das Fake-Label "undemokratisch" zeugt von einer Denkfaulheit, die man auch nicht unbedingt an der Macht sehen möchte.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 37/2024 erschienen.