Schon bald könnte es in fünf Bundesländern eine Regierungszusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ geben. Karl Nehammer würde dadurch im Koalitionspoker in Wien gestärkt werden
ANALYSE DER WOCHE
Nach der jüngsten Nationalratswahl ist mit langwierigen Koalitionsverhandlungen zu rechnen. Noch vor einem Abschluss auf Bundesebene könnte es einen solchen unabhängig davon in zwei Ländern geben. Mit dem Ergebnis, dass es nach Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg auch dort, nämlich in Vorarlberg und in der Steiermark, zu einer Zusammenarbeit zwischen ÖVP und FPÖ kommt. In einer Mehrheit der Länder wäre das dann der Fall: in fünf von neun.
In Vorarlberg wird am 13. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Derzeit regiert die ÖVP von Landeshauptmann Markus Wallner mit den Grünen. Konflikte um Straßenbauprojekte haben jedoch zu einer Entfremdung geführt. Als einzig sichere Zwei-Parteien-Konstellation, die weiterhin über mehr als 50 Prozent der Mandate verfügen wird, gilt Türkis-Blau. Inhaltliche Übereistimmungen sind groß, Wallner schließt nichts aus. Allemal vor Weihnachten dürften Nägel mit Köpfen gemacht werden.
Am 24. November wird auch in der Steiermark gewählt. Hier muss die ÖVP mit Landeshauptmann Christopher Drexler an der Spitze froh sein, wenn sie vor der FPÖ bleibt. Bei der Nationalratswahl ist sie zum Teil weit hinter diese zurückgefallen. Die „Kleine Zeitung“ schreibt über Drexler, dass er, der an sich ein „Großkoalitionär“ ist, bereits mit Freiheitlichen-Obmann Mario Kunasek als Partner liebäugle.
Diese Entwicklungen sind dazu angetan, (Noch-)Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Koalitionspoker in Wien zu stärken: Mit jedem türkis-blauen Pakt wächst die Chance, Kickl in den eigenen Reihen zu schwächen und dafür zu sorgen, dass auch auf Bundesebene eine Option daraus wird. Nehammer könnte unterstreichen, dass seine Partei sehr gut kann mit der FPÖ und dass sich diese nur dort um einen Zugang zu Macht bringe, wo sie mit Kickl antrete.
FAKTUM DER WOCHE
Kickl hat Entscheidendes gezielt angesprochen
Fast jeder zweite Österreicher hat das Gefühl, dass sich der Lebensstandard
in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert hat. Das hat zum
freiheitlichen Wahlerfolg beigetragen
Wenn FPÖ-Chef Herbert Kickl etwas sagt, kann man davon ausgehen, dass er sich das sehr gut überlegt hat. Dass es unabhängig davon, ob man es teilt oder nicht, Stimmungslagen entspricht, die in der Bevölkerung existieren. So war das auch zwei Tage vor der Nationalratswahl: In einem Video, das seine Partei veröffentlichte, sprach er Wählerinnen und Wähler persönlich an. Er forderte sie auf, sich zu fragen, ob es ihnen heute besser gehe als vor fünf Jahren; und ob sie sich gleich viel leisten könnten wie damals. Sollte dies der Fall sein, sei Karl Nehammer (ÖVP) der Richtige für sie. Wenn nicht, sei er es. Themen wie Corona und Asyl erwähnte er ebenfalls, aber erst an dritter oder vierter Stelle. Er wusste, worauf es letzten Endes ankommt: Auf das, was eine Masse unmittelbar bewegt.
Es ist ein zentrales Problem in einer Phase multipler Krisen: 44 Prozent der Österreicher haben das Gefühl, dass sich ihr Lebensstandard in den vergangenen fünf Jahren verschlechtert hat. Bei Männern und Frauen, die sich selbst der Arbeiterschicht zuordnen, handelt es sich gar um 77 Prozent, bei jenen, die sich in der unteren Mittelschicht sehen, um 53. Insgesamt 32 Prozent befürchten außerdem, dass es auch in den kommenden fünf Jahren bergab gehen wird. Das hat eine Eurobarometer-Erhebung im Frühling ergeben.
Regierende können unter diesen Umständen schwer gewinnen. Besonders, wenn sie wie Türkise für Wohlstand vor allem auch in der Mitte der Gesellschaft stehen und dort eben Verluste geortet werden. Aber Sozialdemokraten aus der Opposition heraus? Es gehört zum Alarmierenden für sie, dass sie trotz dieser Stimmungslage unter Arbeitern zum Beispiel nur noch 20 Prozent halten, während Kickl für die FPÖ bei dieser Nationalratswahl 50 Prozent holte in dieser Gruppe.