Österreichische Unternehmen haben das Zeug zur Weltmacht im All. Doch wenn die Regierung das Budget für die Europäische Raumfahrtorganisation ESA nicht erhöht, ist dieses Know-how im Hochtechnologiebereich gefährdet.
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Dienstag dieser Woche wurde ein neues Kapitel unserer Geschichte aufgeschlagen. Oder - vielleicht treffender: Wir blättern zurück zum allerersten. Das James Webb Space Telescope sendet die ersten Bilder. Das gemeinsame Projekt der Weltraumagenturen der USA, Europas und Kanadas (NASA, ESA und CSA) kreist auf einer Umlaufbahn etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Mit den dort gewonnenen Informationen wollen Forscher endlich mehr über den Ursprung des Universums, über die Zeit kurz nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren, herausfinden. Zehn Milliarden Dollar kostete das Flugobjekt im Dienst der Wissenschaft.
Mit an Bord ist auch Technik aus Österreich: Das Wiener Unternehmen Beyond Gravity (vormals Ruag Space) lieferte Bestandteile des "Superauges", eines der Messinstrumente des Teleskops, sowie die Thermalisolation einer Antenne. Und auch in den Ariane-Raketen der ESA, eine von ihnen hat das Teleskop ins All gebracht, finden sich Teile, die hierzulande entwickelt und produziert wurden. Rund 200 Unternehmen und wissenschaftliche Institutionen mit 1.500 Beschäftigten sind in Österreich im Weltraum- Business tätig, erklärte die zuständige Ministerin, Leonore Gewessler, vorige Woche zum 35-Jahr-Jubiläum der Mitgliedschaft bei der ESA. Rund 140 Millionen Euro Umsatz würden pro Jahr in diesem Bereich gemacht. ESA-Chef Josef Aschbacher, ein Österreicher, sprach von "einzigartiger Exzellenz"."Österreich ist eine Weltraummacht und hat viel aufgebaut."
Mahnung aus der Industrie
Klingt nach uneingeschränkter Feierstimmung. In den beteiligten Unternehmen ist diese allerdings getrübt. Dieter Grebner ist CEO von Peak Technology und stellt in Oberösterreich u. a. Hitzeschutzschilde für die europäische Trägerrakete Vega her. Zudem ist er Präsident von Austrospace, einer Vereinigung von österreichischen Firmen und Institutionen, die im Weltraum-Bereich aktiv sind. Österreich stehe, gemessen an seiner Größe, "überdimensional gut da", sagt er. Aber: Österreich hat in den vergangenen Jahren das Budget für diese Aktivitäten zurückgefahren. 70 Millionen Euro pro Jahr sind in Gewesslers Ministerium für diesen Bereich veranschlagt. Rund 52 Millionen davon als Beiträge für die ESA.
Alle drei Jahre treffen sich die zuständigen europäischen Ministerinnen und Minister, um den finanziellen Rahmen der Europäischen Weltraumorganisation neu festzulegen. Das ESA-Budget besteht aus einem Pflichtbeitrag, den jedes Mitgliedsland basierend auf seinem Bruttoinlandsprodukt leistet -für Österreich sind das 2,12 Prozent. Zusätzlich gibt es Wahlprogramme, bei denen die Länder entscheiden können, bis zu welcher Höhe sie mitzahlen. Das letzte Mal fand die Ministertagung 2019 statt. In Österreich war zu diesem Zeitpunkt die Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein im Amt. Verwalten, aber nicht aktiv Entscheidungen künftiger Regierungen vorwegnehmen, lautete deren Credo. "Es kam damals zu einer Reduktion des österreichischen ESA-Budgets um etwa 40 Prozent, das hat sich auf den gesamten Sektor dramatisch ausgewirkt", sagt Grebner.
Diesen Herbst wird wieder verhandelt. Und diesmal soll das Budget für die Wahlprogramme zumindest wieder auf das Niveau von 2016 kommen, wünschen sich die Unternehmen. Damals wurden Beiträge Österreichs in Höhe von 1,73 Prozent zugesagt, 2019 waren es eben nur noch 1,01 Prozent. Aber eigentlich müsse noch mehr Geld fließen, um die in der Zwischenzeit erlittenen Wettbewerbsnachteile aufzuholen, erklärt Grebner. "Der europäische Schnitt liegt bei 2,2 Prozent, also weit über Österreich. Es haben uns sogar Länder wie Tschechien oder Rumänien überholt. Deutschland, Frankreich und Italien haben im Zuge der Pandemie die Budgets massiv aufgestockt und in diese Zukunftstechnologien investiert. Um die Inflation ausgleichen zu können und im internationalen Wettbewerb wieder mithalten zu können, brauchen wir eine Zeichnung von mindestens 1,9 Prozent oder gesamt 300 Millionen für drei Jahre." Von diesen 300 Millionen würden 100 auf den "Pflichtteil" (Verwaltung und bestimmte Projekte) entfallen, 200 auf Wahlprogramme der ESA, an denen Länder teilnehmen können, aber nicht müssen.
Geld-zurück-Garantie
"Bei den Wahlprogrammen haben wir eine dreijährige Durststrecke hinter uns, in der uns Aufträge verloren gegangen sind, weil wir an vielen Programmen nicht teilnehmen konnten", kritisiert Grebner. Denn selbst wenn ein Unternehmen in seinem Bereich das beste wäre, kann es nur an Aufträge kommen, wenn der Staat genug zum ESA-Budget beigetragen hat. Also: Zahlt Österreich, so wie in den vergangenen Jahren, rund 33 Millionen in die Wahlprogramme ein, können heimische Firmen Projekte im selben Ausmaß ergattern. "Wenn das Budget nicht da ist, kann man das beste Produkt haben, aber dennoch nicht im Wettbewerb mitspielen", sagt Grebner. Daher: "Der Herzschlag für die österreichische Raumfahrtindustrie ist dieses Budget."
Was laut dem Branchenvertreter auch den Finanzminister überzeugen müsste: Jeder Euro ESA-Budget generiere in Österreich eine Wirtschaftsleistung von drei bis fünf Euro und entsprechende Steuereinnahmen. Zudem sei die Raumfahrttechnologie verglichen mit anderen Wirtschaftsbereichen krisenfest. "Wir haben einen Krieg in Europa. Wir haben Probleme bei der Gasversorgung. Die Wirtschaftsprognosen laufen darauf hinaus, dass wir in Österreich gegen Ende des Jahres einen massiven Einbruch erleiden könnten. Die Raumfahrtbranche ist von lokalen Gegebenheiten hingegen unberührt, weil das ein wirklich globaler Markt ist, mit einer jährlichen Wachstumsrate von acht bis zehn Prozent", so der Austrospace-Präsident.
Er vermisse, sagt Grebner, in Österreich "ein Bekenntnis zur Hochtechnologie. Dass wir uns nicht nur auf der Schönheit des Landes ausruhen und auf den Tourismus setzen." Teil dieser Hochtechnologie sei eben die Raumfahrt. "Sogar Luxemburg hat es in den vergangenen Jahren geschafft, eine Raumfahrtnation zu werden. Wir hätten die Firmen dazu. Das Know-how ist da, die Motivation ist da." Fehle, so wie in den vergangenen Jahren, eine längerfristige Strategie mit entsprechenden finanziellen Bekenntnissen, mache das auch länderübergreifende Kooperationen schwierig. "Man diskutiert potenzielle Aufträge, weiß aber nicht, ob sie finanziert werden. Dadurch wird auch unser Standing bei anderen Nationen beschädigt. Da heißt es dann: Wer weiß, ob Österreich mitgeht."
Was will Österreich im All?
Für Grebner gibt es allerdings auch Grund für Optimismus: "Ich glaube, dass Ministerin Gewessler großes Interesse an der Raumfahrt hat. Ohne Raumfahrt gäbe es keine Erdbeobachtung und keine neuen Erkenntnisse zur Klimaveränderung." Tatsächlich hat diese das Verhandlungsergebnis der Übergangsregierung nachträglich mit sechs Millionen Euro aufgefettet. Zudem hat die grüne Ministerin im Vorjahr die "Weltraumstrategie 2030+" vorgelegt, die vor allem auf Nachhaltigkeit setzt. "Je besser wir die Welt verstehen, desto besser sind wir im Kampf gegen die Klimakrise", sagte Gewessler beim gemeinsamen Auftritt mit ESA-Chef Aschbacher. Die im Weltraum gewonnenen Daten könne man für den Klimaschutz, Katastrophenschutz und für einen besseren Umgang mit Mobilität nutzen. Schon jetzt sei Österreich federführend in der Beobachtung und Interpretation des Klimaund Umweltwandels, etwa durch die Aufbereitung der täglich 20 Terabyte Daten der Copernicus-Satelliten der ESA.
Saubere Raumfahrt
Doch wie passt dieses Bekenntnis zu den Bildern riesiger Raketen-Treibstofftanks, zu den Berichten über Weltraumschrott im Orbit? Laut Berechnungen der ESA befanden sich Ende 2021 36.500 Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, eine Million Teile in der Größe von einem bis zehn Zentimetern und 330 Millionen noch kleinere Stücke dieses Mülls im All. Für Grebner eines der großen Zukunftsthemen seiner Branche. "Ich sehe das aber nicht negativ, sondern als Chance für die europäische Raumfahrt." Und als Auftrag: "Wir können den Planeten für unsere Nachfolgegenerationen nicht wie einen Sauhaufen hinterlassen. Das macht man daheim nicht, und das macht man auch nicht mit einem Planeten oder im Weltall."
Emissionsfreie Antriebe, Wiederverwendbarkeit -lang habe die Branche "im Tiefschlaf geschlummert". Jetzt stünden die Vermeidung von Weltraummüll und das Säubern des Weltalls ganz oben auf der Tagesordnung. "Es gibt praktisch keine Satellitenentwicklung mehr, bei der es nicht auch darum geht, wie man die auch wieder aus dem Orbit holt. Wenn wir das nicht heute entwickeln, haben wir morgen keinen Auftrag." Ein Vorreiter dabei war übrigens Tesla- und SpaceX-Boss Elon Musk, der den großen Weltraumagenturen in puncto Schnelligkeit und Ideenreichtum durchaus überlegen war. "Er hat gezeigt, dass man es mit schnellen Entscheidungen und ausreichend finanziellen Mitteln zu wahnsinnig tollen Innovationen bringen kann. Er hat wiederverwendbare Trägerraketen, die 30 Mal und öfter gestartet und gelandet sind, mit einer Kosten-und Emissionsreduktion. Das war früher unvorstellbar. Der Druck auf die institutionellen, nationalen Raumfahrtprogramme ist groß, um hier wettbewerbsfähig zu bleiben."
Wünsche des ESA-Chefs
ESA-Chef Josef Aschbacher wünscht sich von Österreich eine spürbare Budgeterhöhung bei den Wahlprogrammen Richtung 2,1 Prozent. Das sei ein "Idealwert", der freilich nicht über Nacht zu erreichen sei. Gewessler will den Beitrag jedenfalls erhöhen. Derzeit gebe es Gespräche mit den Unternehmen und Institutionen, sagt sie, danach werde es in Österreich Budgetgespräche geben, "und ich hoffe, gestärkt zur Ministerkonferenz zu fahren"."Österreich kann es sich fast nicht leisten, nicht zu investieren", wirbt Aschbacher für das ESA-Budget, für das er im Herbst eine Erhöhung auf 18,7 Milliarden Euro erreichen will. Er vergleicht das europäische Streben ins All mit den Entdeckungsfahrten des Christoph Kolumbus im Jahr 1492, die Europa zum geopolitischen Zentrum gemacht hätten. In Zukunft werde es aber auch darum gehen, Bodenschätze etwa auf dem Mond zu gewinnen. "Das wird passieren." Die Frage werde nur sein: "Will sich Europa daran beteiligen? Der Weltraum und auch der Mond werden der nächste Wirtschaftsraum werden, damit muss man in größeren Dimensionen denken."
Auf die größere Dimension verweist auch Dieter Grebner, wenn es um die Faszination Weltall geht. Ein Ausflug dorthin würde einiges zurechtrücken: "Von außen auf diesen Erdball zu sehen würde viele Probleme auf der Erde lösen. Weil wir sehen, wie klein wir sind, dass es keine Grenzen gibt und man sich oft über Dinge aufregt, die völlig unnötig sind. Das wäre friedensstiftend und bewusstseinserweiternd."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 28-29/2022 erschienen.