News Logo
ABO

Richard Straub: „Wir brauchen entscheidungsfähige Politiker“

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

©Matt Observe/News
  1. home
  2. Aktuell
  3. News

Was müssen Manager im 21. Jahrhundert können? Und was kann die Politik von modernem Management lernen? Der Präsident des Global Peter Drucker Forum, Richard Straub, plädiert im Interview für klarere Entscheidungsstrukturen, aber auch den Mut, Ziele zu definieren, den Weg dorthin jedoch offen zu halten. Und er fordert ein Umdenken bei der Rekrutierung von politischem Personal

Rasant voranschreitende technologische Entwicklungen des 21. Jahrhunderts, wie etwa die künstliche Intelligenz, die globale Vernetzung der Wirtschaft, die vielen Krisen: Wer heute führen will, sei es ein Unternehmen, eine Organisation oder eine Regierung ist vor neue Herausforderungen gestellt. Diesen widmet sich das Drucker Forum, das heuer zum 16. Mal in Wien stattfindet. Das Überthema der nächsten Jahre lautet: „The Next Management“, heuer wird dabei der Fokus auf „Wissensarbeit“ gelegt. Der Namensgeber des Forums, Peter Drucker, hat es so formuliert: Der wichtigste Beitrag des Managements im 20. Jahrhundert sei die Steigerung der Produktivität des manuellen Arbeiters gewesen. Der wichtigste Beitrag, den das Management im 21. Jahrhundert leisten müsse, sei die Steigerung der Produktivität des Wissensverarbeiters. Der Gründer des Forums, Richard Straub, meint zudem: Ohne Leadership als „soziale Technik“ scheitern Unternehmen und Organisationen, egal wie weit die Technik fortgeschritten ist. Was mangelndes Leader­ship in Wirtschaft und Politik bewirkt, erklärt er im Interview.

Das Drucker Forum widmet sich dem Thema Next Management. Dieses fußt darauf, Hierarchien aufzuweichen und die Eigenverantwortung zu stärken. In der Politik sehen wir hingegen eine Tendenz zum Nanny-Staat, bei Wahlen werden Parteien gestärkt, die autoritär argumentieren. Passen modernes Management und Politik zusammen?

In Unternehmen haben Sie meist relativ klare Entscheidungsstrukturen und starke Führungskräfte, die die Richtung vorgeben. Was aber bottom-up läuft, ist die Mobilisierung der Kreativität, des Inputs des Einzelnen. Und ohne autoritären Tendenzen in der Politik das Wort reden zu wollen –, Sie brauchen auch hier Entscheidungsfähigkeit. Man braucht Leute, die nicht für jede Entscheidung die Zustimmung des Volkes suchen. Das wäre ja Populismus. Aber Politiker sollen nicht ständig von Hunderten nicht gewählten Mit-Entscheidern beeinflusst werden. Man wählt ja demokratisch jemanden, der uns repräsentieren und eben entscheiden soll.

Blurred image background
 © Matt Observe/News

„Die Politik hat die größten Probleme darin, die Brücke von der Idee oder Policy zur Praxis zu schlagen“

Also jemanden, der Leadership zeigt?

Ja, aber auch Managementfähigkeiten. Man muss ja Dinge auch zum Laufen bringen. Die Politik hat die größten Probleme darin, die Brücke von der Idee oder Policy zur Praxis zu schlagen. Wir brauchen entscheidungsfähige Politiker, die aber auch in der Lage sind, die Kreativität und Mitwirkung von vielen zu mobilisieren. Politik kann ja nichts im Alleingang durchsetzen. Autokratische Strukturen in der Politik sind das Schlechteste für die Gesellschaft. Aber entscheidungsfähige Strukturen, die braucht es. Und die fehlen teilweise.

Weil zu viele Einzelgruppen ihre Interessen durchsetzen wollen?

Weil Gruppen ein Mitspracherecht beanspruchen, die ihre Partikularinteressen vorrangig durchsetzen wollen. Und die, die eigentlich die Wähler repräsentieren, sind dann nicht mehr in der Lage, ihre Funktion auszufüllen.

Bedeutet Leadership nicht auch, den Menschen zu sagen, wenn unangenehme Entscheidungen, etwa über ein Sparpaket, bevorstehen. Viele Politiker drücken sich – vor allem vor Wahlen – vor klaren Worten.

In gut geführten Organisationen und Institutionen hat man ein klares Narrativ, das den Leuten Sinn gibt und das sie verstehen. Eine der großen Aufgaben der Politik ist zu erklären, in welche Richtung wir gehen. Man muss den Leuten ein Bild geben, wie die Zukunft ist.

Aber auch sagen, wenn Zumutungen auf sie zukommen?

In einem gut geführten Unternehmen ist das der Fall. In der Politik haben wir da sicher ein Problem. Dort funktioniert das nur in Extremsituationen und wir sind nicht in einer Extremsituation. Wir sind aber schon am Rande einer solchen. Offenheit gehört zum Leadership, ist aber derzeit im politischen Alltag nicht gegeben.

Wie wichtig ist die Planbarkeit und Haltbarkeit von Entscheidungen in Politik und Wirtschaft? Also, dass man nicht Beschlossenes umstößt, weil Wähler oder Wirtschaft unzufrieden sind.

Im Management gibt es die eine Strömung, die sagt, man legt etwas fest und das zieht man durch. Auf der anderen Seite steht das Konzept der lernenden Organisation. Man überlegt sich etwas und schaut dann in der Praxis, wie es funktioniert, und ob man Anpassungen vornehmen muss. Das soll aber nicht heißen, dass man Dinge sofort über den Haufen wirft, sondern eben prüft, was man in einem komplexen Umfeld wirklich erreichen kann. In der Praxis heißt es, bevor man eine große Entscheidung umsetzt, also oft: testen, lernen, noch einmal probieren, lernen, anpassen.

Das Schlimmste ist, wenn man Leute in Positionen bringt, in denen sie nicht erfolgreich sein können.

Einem Politiker, der Entscheidungen laufend anpasst oder es anders probiert, würde man vorwerfen, wankelmütig zu sein oder Steuergeld zu verschwenden.

Wichtig ist, dass man zunächst einmal ein Ziel definiert, das man erreichen will. Doch oft kann man in einer komplexen Situation nicht gleich abschätzen, ob es funktioniert. Es könnte auch in der Politik ein akzeptierter Weg sein, dass man sagt: Wir legen die großen Ziele fest, aber halten uns die Optionen offen, wie wir sie erreichen. Natürlich kann es auch passieren, dass man die Ziele nicht erreicht. Dann sollte man aber wissen, was die Alternative ist, bei der man nicht alles, was schon getan wurde, über Bord werfen muss.

Das hat aber auch etwas mit Fehlerkultur zu tun. Kurskorrektur wird in unserer Kultur eher als Fehler gesehen.

Exakt. In der Tagespolitik gibt es natürlich Fehler, die fatal sein können und von denen man nicht unmittelbar lernen kann. Aber es gibt auch Situationen, bei denen man laufend lernen kann, bevor irgendeine große Katastrophe passiert und eine existenzielle Fehlentscheidung getroffen wird. Aber immer muss man zuerst die Klarheit haben, wo man hin will. Und dann braucht man Flexibilität, Freiräume in der Umsetzung. Da sind wir wieder bei unserem Jahresthema: The next knowledge work. Wissensarbeiter, die tief in ihrem Fach drinnen sind, wissen besser als Manager, wie man etwas umsetzen kann. Es geht also um Eigenverantwortung. Nicht in dem Sinn, dass jeder macht, was er will, sondern der Freiheit, den richtigen Weg zum gemeinsamen Ziel zu suchen.

Ab wann wird Eigenverantwortung zur Überforderung?

Wenn man den Leuten nicht die richtigen Mittel zur Hand gibt. Oder wenn man Leute nicht in den richtigen Job setzt. Das sind Managementaufgaben im Allgemeinen, von der Politik gar nicht zu reden. Wenn Sie jemanden in einen verantwortungsvollen Job setzen, wollen Sie wissen: Hat er oder sie die richtigen Voraussetzungen? Gibt es Beispiele aus der Vergangenheit, dass er das wirklich kann? Das Schlimmste ist, wenn man Leute in Positionen bringt, in denen sie nicht erfolgreich sein können. Das hängt nicht nur von ihrer Erfahrung, sondern auch von der Persönlichkeit ab. Wenn eine Person nicht stressresistent ist, ist sie in einem stressigen Job falsch, selbst wenn sie fachlich gut ist. Die Kunst ist, Leute dorthin zu bringen, wo ihre Stärken sind. Das ist fast die wichtigste Aufgabe eines Managers.

Wenn das Drucker Forum in der Hofburg stattfindet, wird ein paar hundert Meter weiter über die neue Regierung verhandelt. Sollten die Kriterien, wie man Menschen in die richtigen Jobs setzt, nicht auch dort gelten?

Next Management ist ein gesellschaftliches Thema. Es geht darum, dass man eine Kultur schafft, in der es wichtig ist, nicht nur ein Unternehmen oder eine Institution richtig zu führen, sondern dass die Gesellschaft insgesamt funktionieren muss. Und wir sehen ja, wie schnell man an die Grenzen einer funktionierenden, heißt: wertschöpfenden und integrativen Gesellschaft kommt. Es geht um eine Führungskultur, die sich in der Wirtschaft bewährt hat und an die Politik angepasst werden kann. Wir müssen auch beginnen, die Diskussion darüber zu führen, dass es nicht nur um Politiker gehen darf, die in der Öffentlichkeit gut ankommen und einen Schmäh haben. Sondern um die Frage: Sind sie geeignet für den Job? Was wird erwartet? Es wäre schon gut, wenn es im öffentlichen Bereich ein Talent-Management-System gäbe. Ich hoffe, dass sich die Politik mehr und mehr für diese Themen zu interessieren beginnt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 42/2024 erschienen.

Politik Inland

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER