Der Spitzenkandidat der ÖVP für die Wien-Wahl, Karl Mahrer, will nach der Wahl mit der sicheren Siegerin SPÖ koalieren und wirbt für eine „bürgerliche Handschrift“. Die „linke Mehrheit“ sei schuld an den Problemen der Stadt, meint er. Laut Umfragen bleibt diese dennoch stabil, und die ÖVP wird gegenüber der Wahl von 2020 massive Verluste erleiden.
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Die WKStA hat gegen Sie in der Causa Wienwert Anklage erhoben. Haben Sie überlegt, ob es unter diesen Umständen klug ist, Spitzenkandidat der ÖVP zu sein?
Dieses Verfahren läuft gegen meine Frau bereits seit sechs Jahren. Ich wurde einbezogen, als ich Landesparteiobmann der ÖVP geworden bin. Nach meiner Einvernahme wird ein unabhängiges Gericht entscheiden. Ich bin überzeugt, dass dieses Gericht feststellen wird, dass meine Gattin und ich völlig schuldlos sind. Ich bitte nur um das, was für alle gilt: die Unschuldsvermutung.
Dennoch könnten Sie zu einer Belastung im Wahlkampf werden.
Ich habe ein reines Gewissen. Ich sehe auch bei den Menschen, die mir begegnen, dass diese sehr wohl unterscheiden können zwischen einer Anklage oder der Entscheidung eines Gerichts.
Handlungsbedarf für sich sehen Sie erst bei einer Verurteilung?
Ja. Aber das ist, wie gesagt, kein Thema.
Die WKStA hat offenbar genug Substrat für eine Anklage gesehen.
Die WKStA hat des Öfteren Annahmen und trifft aufgrund dieser dann Entscheidungen. Das ist in einem Rechtsstaat zu akzeptieren.
„Annahme“ klingt nach dem Vorwurf der Voreingenommenheit.
Annahme heißt Erkenntnisse, Meinungen, Ansichten. Die legt die WKStA auf den Tisch. Das sehe ich emotionslos.
Warum kommt die ÖVP in Wien seit Jahren nicht vom Fleck?
Wien hat in den letzten Jahrzehnten immer eine stabile linke Mehrheit gehabt. Es gab immer eine Regierung der SPÖ – entweder allein oder mit Grünen oder Neos, die in Wien eine sehr linke Politik machen. Die sind ja in der Koalition kaum sichtbar, wirken wie ein Anhängsel oder eine Vorfeldorganisation der SPÖ. Gleichzeitig sehen wir, dass Wien in den letzten 20, 25 Jahren eine Entwicklung genommen hat, wo wir sagen müssen, es gibt Probleme – andere nennen es vielleicht Herausforderungen.
Wieder andere sagen vielleicht: Wien funktioniert im Großen und Ganzen, und die Stadt wird unter die „lebenswertesten“ Europas gewählt.
Wien ist eine wunderschöne Stadt, ich bin hier geboren und aufgewachsen, kenne fast jede Straße. Aber man muss sagen: Wenn wir so weitermachen, wird Wien gegen die Wand fahren. Jeder zweite Volksschüler kann nicht Deutsch, obwohl 80 Prozent in den Kindergarten gegangen sind. Es gibt lange Wartezeiten in Ambulanzen oder auf Operationen. Das Sozialsystem ist überfordert, insbesondere durch abgelehnte Asylwerber, weil wir ihnen das Dreifache von dem bezahlen, was sie in anderen Bundesländern bekommen, was zu einer Sogwirkung führt. Es gibt ungelöste Probleme im Integrations- und Sicherheitsbereich: Jugendkriminalität, Bandenkriminalität, selbsternannte Friedensrichter, die in ihren Communitys Recht sprechen. Das führt dazu, dass viele Menschen sagen: „Ich habe Angst um Wien.“ Für diese Probleme tragen die Linksparteien die Verantwortung. Sie haben es in ihrer DNA, zu sagen: „Es gibt kein Problem, wenn wir nicht darüber reden und es zudecken.“ Und wenn das Problem dann wirklich unübersehbar ist, dann ist wer anderer schuld.
Ludwig sollte nicht überlegen, welcher Partner es am billigsten gibt, sondern was Wien am meisten dient


SPÖ, Grüne und Neos haben in Wien laut Umfragen dennoch die Mehrheit, während die ÖVP rund um die zehn Prozent liegt. Nur die FPÖ legt zu.
Umfragen zeigen aber auch, dass die Wienerinnen und Wiener wollen, dass sie etwas ändert. Und wenn wir über die FPÖ reden: Sie kann Probleme sehr gut thematisieren – das schon. Aber sie will die Probleme nicht lösen, weil sie von ihnen lebt. Sie wird sie auch realpolitisch nicht lösen können, weil sie in dieser Stadt nicht in die Regierung kommt. Wenn jemand in dieser Stadt also Probleme gelöst haben will, ist das Angebot klar. Die FPÖ zu wählen, ist eine verlorene Stimme. SPÖ, Grüne und Neos zu wählen, ist ein Fortschreiben der Situation. Wer Wien verbessern will, muss daher die ÖVP wählen. Wir stellen Wien nicht auf den Kopf, aber wir möchten die Stadt dort verändern, wo sie Änderungen braucht, damit wir nicht in fünf Jahren schockiert vor einer Situation stehen, wie wir sie in anderen Metropolen sehen.
Dennoch kommt die ÖVP nicht vom Fleck: Was ist falsch an ihrem Angebot oder Wahlkampf?
Gar nichts. Ich bin überzeugt, dass die Menschen Veränderungen wollen. Die Frage ist nur, wem sie Veränderungen zuschreiben. Eine bürgerliche Handschrift in einer Koalition würde der Stadt aber guttun. Wir sehen ja auch auf Bundesebene: Probleme kann man nur in der politischen Mitte lösen. Dazu gehören die ÖVP und Teile der SPÖ. Wenn wir die Probleme nicht in der Mitte lösen, werden wir sehen, dass immer mehr Menschen in Richtung extremer Parteien gehen.
Die ÖVP wäre im Bund beinahe ein rechtes Bündnis eingegangen. Erleichtert, dass das gescheitert ist?
Ich kenne Herbert Kickl persönlich. Ich akzeptiere die FPÖ als demokratisch legitimierte Partei, achte ihre Wählerinnen und Wähler. Aber ich sage, Kickl ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko. Aber als am 5. Jänner zuerst die Neos und dann die SPÖ aufgestanden sind …
Die ÖVP ist aufgestanden.
Ja, aber wenn Sie es genau beobachtet haben, wer am Freitagnachmittag aufstehen wollte und nur vom SPÖ-Präsidium zurückgehalten wurde …
… dann hat dennoch die ÖVP die Verhandlungen abgebrochen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Herr Bundespräsident hat dann nur eine Wahl gehabt: den Chef der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Ich glaube, er war nicht besonders amused darüber. Kickl ist jedenfalls an diesem Auftrag gescheitert.
Waren Sie überrascht? Ich hätte gedacht, dass er besser vorbereitet ist.
Ich hätte mir in Kenntnis seiner Person erwartet, dass er für dieses historische Ziel eine Veränderung seiner Person und seiner Inhalte auf sich nimmt. Aber wenn man sieht, dass er ernsthaft EU-Fahnen von den öffentlichen Gebäuden entfernen will – das ist ja unerträglich. Wenn wir verhindern wollen, dass Extreme in diesem Land die Überhand gewinnen, müssen wir in der politischen Mitte klare Lösungen finden. Etwa durch unseren Deutschförderplan im Kindesalter oder den Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Wien. 20 Prozent der 15- bis 24-Jährigen sind hier arbeitslos. Das ist eine Tragödie für die Familien und schlecht für den Wirtschaftsstandort. Es ist auch eine Sicherheitsfrage: Wer keine Bildung und keinen Job hat, dem fehlen Tagesstruktur, Perspektive und Wertschätzung. Junge Menschen ohne Hoffnung gleiten leicht in Kriminalität oder Extremismus ab. Diese Entwicklung müssen wir stoppen. Andernfalls würden uns auch 15.000 Polizisten in Wien nicht helfen. Wichtig in dieser Hinsicht ist Integration von Menschen, die zu uns kommen, aber in einem völlig anderem Wertesystem sozialisiert sind. Die können ja nichts dafür, sie sind oft aufgewachsen in Systemen, wo Gleichberechtigung oder Demokratie Fremdworte sind, Argumente mit Messern ausgetragen werden oder Antisemitismus an der Tagesordnung ist. Wenn sie herkommen, müssen wir sie von unseren Werten überzeugen oder mit Konsequenzen belegen, wenn sie der Forderung nach Integration nicht nachkommen.
Sie fordern in diesem Zusammenhang eine Kürzung der Mindestsicherung für Asylwerber. Ist das eine Koalitionsbedingung, wenn Sie mit der SPÖ verhandeln?
Es geht darum, die Sozialleistungen der abgelehnten Asylwerber an die Bundesländer rund um Wien anzupassen. Ich vermeide das Wort Bedingung bei Verhandlungen. Aber ich glaube, die SPÖ wäre gut beraten, sich das zu überlegen, denn sonst laufen ihre die Menschen davon und wählen Extreme.
Michael Ludwig kann nach der Wahl zwischen ÖVP, Grünen und Neos wählen. Warum sollte er sich für Sie entscheiden?
Weil er eine Koalition der Vernunft bilden sollte. Er sollte nicht überlegen, welcher Partner es am billigsten gibt, sondern was Wien am meisten dient.
Karl Mahrer, 70,
war Polizist und später Landespolizeikommandant in Wien. Von 2017 bis 2021 war er Nationalratsabgeordneter der ÖVP. 2021 wurde er nach dem Rücktritt von Gernot Blümel Landesparteiobmann der Wiener ÖVP. Er ist zudem nicht amtsführender Stadtrat.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/25 erschienen.