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Judith Pühringer: „Rot braucht Grün, damit etwas weitergeht“

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Judith Pühringer

©Bild: Matt Observe
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Die grüne Spitzenkandidatin Judith Pühringer will ihre Partei zurück in die Wiener Stadtregierung führen. Im Interview vor der Wien-Wahl erklärt sie, warum Klimapolitik auch Sozial- und Sicherheitspolitik ist, warum Autos weg von der Straße müssen und wie die Grünen Bildung besser machen wollen.

Der Trend bei Wahlen spricht gegen die Grünen. Wie erstrebenswert ist es, Spitzenkandidatin zu sein?

Es ist sehr schön, grüne Spitzenkandidatin zu sein. Aber klar: Wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Die Menschen sind mit Sorgen aller Art beschäftigt: Kann ich mir meine Wohnung noch leisten? Bekomme ich einen Termin beim Arzt? Ist die Volksschule ums Eck wirklich die beste für mein Kind? Es liegt einiges im Argen. Insofern tritt das Klimathema scheinbar in den Hintergrund. Aber ich bin überzeugt, dass alle Menschen wissen, dass wir unbedingt handeln müssen. Die Klimafrage ist die größte soziale Frage unserer Zeit. Sie ist auch eine Sicherheitsfrage. Das gilt insbesondere für Menschen, die keine Möglichkeit haben, sich abzukühlen, keine Klimaanlage, keinen Balkon, kein Haus am Land haben. Daher brauchen wir mehr Bäume, müssen die Stadt entsiegeln. Das fordern wir nicht, weil wir es schöner finden, sondern um die Menschen vor Hitze zu schützen.

Ohne zynisch sein zu wollen: Die Grünen hätten sich bei einem Wahlkampf nach einem heißen Sommer leichter getan.

Wir merken auch jetzt, dass der Frühling zu warm ist und der Winter viel zu trocken war. Jeder erinnert sich an den letzten Hitzesommer und das Hochwasser danach. Die Starkwetterereignisse hängen ja zusammen und haben zerstörerische Folgen. Genau deshalb dürfen wir nicht aufhören, für den Klimaschutz einzutreten. Wir Grüne haben in den letzten Jahren gezeigt, dass viel weitergeht, wenn wir in der Regierung sind. Die CO2-Emissionen sind rückläufig. Es gibt einen Boom bei erneuerbaren Energien. Auf das Klimaticket will niemand mehr verzichten. Man hat gesehen, wie schnell man wesentliche Schritte setzen kann, wenn es ein großes Ministerium für Klimaschutz gibt. Dieses wurde nun zerschlagen. Wenn die Grünen nicht am Tisch sitzen, kommt der Klimaschutz total unter die Räder.

Die Grünen haben aber auch den Ruf, mühsam zu sein. Die ÖVP im Bund und die SPÖ in Wien wollten nicht mehr mit ihnen regieren.

Wir wollen regieren und wir sind konsequent in dem, was wir fordern. Wir haben in der Regierung die notwendige Kurskorrektur mit viel Einsatz vorgenommen. Wenn wir die Klimaziele, die wir uns bis 2030 vorgenommen haben, erreichen wollen, müssen wir die großen Themen mutig anpacken. Genau dafür stehen die Grünen. Die jetzige Bundesregierung ist die letzte, die es in der Hand hat, wesentliche Maßnahmen zu setzen, damit diese Ziele noch erreicht werden können. Deshalb machen wir Druck. Die ÖVP hat sich vor der Nationalratswahl dagegen entschieden, weiter mit uns zu koalieren. Bei der SPÖ finde ich es sehr schade, weil wir mit ihr große Übereinstimmungen hätten, etwa bei Themen wie Kinderarmut oder Millionärssteuern. Schade, dass die SPÖ nicht darauf bestanden hat, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Man sieht ja auch in Wien, dass die SPÖ bei Klimathemen zu wenig Mut hat.

Die SPÖ verweist auf ein gutes Öffi-Netz, Radwege, Baumpflanzungen im öffentlichen Raum. Reicht nicht?

Nein, reicht nicht. Die großen Themen werden nicht angegangen. Zum Beispiel der Gürtel. Wir Grüne haben Pläne vorgelegt, wie man den Gürtel umbauen und die 100.000 Menschen, die da wohnen, entlasten könnte. Mehr Bäume, mehr Platz für sicheres Radfahren und damit sich Menschen treffen können. Wir müssen das Verkehrsthema angehen, sonst werden wir die Ziele nie erreichen. Die SPÖ wagt nur kleine Veränderungen, bis sie endlich da ankommt, wie man es von Anfang machen hätte sollen. Beispiel: die große U-Bahn-Baustelle an der Zweierlinie. Da wollen wir jetzt schon über die Pläne danach reden, damit diese Straße nicht genauso voll ist wie vorher. Das befürchten wir. Auch hier könnte man die Straße so gestalten, dass sich Fußgänger und Radfahrer gut im öffentlichen Raum bewegen können.

Niemand soll in Wien eine Waffe tragen. Darauf kann man sich in der Sekunde einigen

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 © Bild: Matt Observe

Warum passiert das nicht?

Gelegenheiten beim Schopf zu packen, braucht Mut. Mutig ist Wien am schönsten. Gerade jetzt gäbe es durch U-Bahnbaustellen viele Möglichkeiten. Alle Menschen wünschen sich, wenn sie vor die Haustür treten – egal ob sie zu Fuß gehen oder mit dem Auto fahren –, dass es ruhiger und grüner wird, dass man sich abkühlen kann. Deshalb legen wir mutige Planungen vor. Wir haben nur begrenzt Zeit zur Umsetzung. Wir müssen schneller klimaneutral werden.

Wien ist eine Autofahrer-Stadt. Kaum etwas ärgert die Wiener mehr, als wenn sie nicht freie Fahrt haben.

Ja, Wien wurde als Stadt für Autos geplant. Unser Wunsch ist es, dass es wieder eine Stadt für Menschen wird. Ich gehe jeden Tag mit meiner Tochter in die Schule. Mit Schultasche können wir nicht nebeneinander auf dem Gehsteig gehen, weil kein Platz ist. Es gibt aber zwei Spuren parkender Autos, die da die ganze Woche stehen und gar nicht benutzt werden. Daher: Autos weg von der Oberfläche, denn die gehört uns allen. Es geht nicht darum, mit Verboten zu arbeiten, sondern mit attraktiven Angeboten, z. B. für Carsharing. Mich macht hoffnungsfroh, dass die nächste Generation schon viel weniger Autos besitzt.

Bislang werden Fußgängerinnen im öffentlichen Raum wenig mitgedacht. Sie schmoren minutenlang in der prallen Sonne bei Fußgängerampeln, weil der Autoverkehr fließen muss.

Das kann ich total unterstreichen. Wir müssten uns bei der Stadtplanung an den Menschen orientieren, die zu Fuß gehen. Jeder geht irgendwann zu Fuß. Die Stadt würde so menschengerechter und vor allem kindgerechter.

Sie haben das Klimathema als Sicherheitsthema bezeichnet. Im Wahlkampf wird Sicherheit unter einem anderen Blickwinkel diskutiert: Jugendkriminalität, Integration etc. ÖVP-Spitzenkandidat Karl Mahrer sagt, linke Parteien wollen das Thema zudecken.

Wir wollen gar nichts zudecken, denn damit löst man keine Probleme. Sicherheit ist ein Grundbedürfnis. Mein Anliegen ist, dass sich alle Menschen in Wien sicher fühlen. Wenn es Orte gibt, wo sich Menschen unsicher fühlen, muss man Maßnahmen setzen. Das können mehr Polizistinnen und Polizisten sein. Ich bin ein großer Fan von Grätzelpolizisten, die den Ort gut kennen, mit den Menschen dort sprechen. Das ist besser, als wenn ein Polizeiauto einmal um den Platz kreist. Der zweite Punkt ist Straßensozialarbeit. Wie moderiert man einen öffentlichen Raum bei Tag und bei Nacht, bevor Konflikte eskalieren und irgendwer zum Messer greift? Und das Dritte ist: Waffenverbot. Niemand soll in Wien eine Waffe tragen. Darauf kann man sich in der Sekunde einigen.

Man muss den Neos den Vorwurf machen, dass sie da in Wien völlig ausgelassen haben.

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 © Matt Observe/News

Es gibt schon verlorene Orte in Wien: zum Beispiel den Reumannplatz.

Wenn man von verlorenen Orten spricht, ist immer auch die Frage: Welche Menschen verlieren wir da auch? Was ist mit den Jugendlichen, die dort sind? Wie geht es denen? Da landen wir bei grundsätzlichen Fragen von Bildung, Arbeitsmarktintegration und Chancen. Damit sind wir bei den NEET-Jugendlichen, die weder in der Schule noch in Beschäftigung oder irgendeiner Art von Maßnahme sind. An der hohen Jugendarbeitslosigkeit sehen wir, dass Sicherheit nicht nur eine Frage der Polizei ist.

Womit wir bei der Bildung sind und der Tatsache, dass Eltern alles tun, um zu verhindern, dass ihr Kind in einer Wiener Mittelschule landet, weil es dann schlechte Chancen hat.

Man muss den Neos den Vorwurf machen, dass sie da in Wien völlig ausgelassen haben. Wo beginnen Integration und Spracherwerb? Wo beginnt eine Deutschförderung, die Kindern alle Chancen gibt? Das muss im Kindergarten sein. Wir haben fünf Jahre lang von Christoph Wiederkehr gehört, dass dafür der Bund sorgen muss. Für die Elementarpädagogik war er in Wien zuständig. Wie kann es sein, dass 50 Prozent der Erstklässler nicht ausreichend deutsch sprechen, von denen 80 Prozent in den Kindergarten gegangen sind?

Was muss passieren?

Ich habe einmal in einem Kindergarten hospitiert. Die Leiterin hat in der Früh gesagt, super, dass Sie da sind, mir ist gerade eine Assistentin ausgefallen. Schon bin ich in der Gruppe gestanden und um 17 Uhr wieder rausgekippt. Ich habe gemerkt, was das für eine schöne, unglaublich intensive Arbeit ist. Es gibt immer Kinder, wo man sieht, die bräuchten jetzt mehr. Ich habe die Pädagoginnen gefragt, was sie brauchen. Sie haben gesagt: „Wir wollen einfach nur unsere Arbeit gut machen. Das können wir aber nicht, weil wir Dinge machen, die auch jemand anderer machen könnte: Essen herrichten und so weiter.“ Insofern ist klar, was wir brauchen: kleinere Gruppen, mehr Personal, bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung. Wir müssen sagen: Die allerbesten Leute werden Elementarpädagoginnen, mit den allerbesten Arbeitsbedingungen.

Als Bildungsminister verspricht Wiederkehr nun Verbesserungen.

Das finde ich einigermaßen absurd. Er war jetzt fünf Jahre zuständig und hätte zeigen können, wie es geht. Ich finde diese Bilanz in Wien desaströs. Außerdem braucht es viel mehr als ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Man muss sich auch die Volksschulen ansehen. In manchen Bezirken gibt es Schulen mit 99 Prozent Kindern, die nicht Deutsch als Erstsprache haben, und andere, wo alle Kinder mit Deutsch als Erstsprache hingehen. Die Eltern sprechen sich ab. Wir haben unsere Tochter bewusst in die Schule mit den Kindern nicht deutscher Erstsprache geschickt. Es waren grandiose vier Jahre mit den engagiertesten Lehrerinnen. Gleichzeitig wartet diese Schule seit sieben Jahren auf eine Schulsozialarbeiterin und bekommt sie nicht. Wir sagen: Es braucht eine bessere Durchmischung, damit alle voneinander lernen können. Das nächste ist die Nachmittagsbetreuung. Den Hortplatz bekommt man, wenn beide Eltern voll berufstätig sind. Also bekommen ihn oft Kinder nicht, die von einer Nachmittagsbetreuung, wo jemand mit ihnen die Hausübung macht, profitieren würden.

Wien zahlt eine höhere Mindestsicherung als andere Bundesländer. Auch ein Wahlkampfthema.

Kein Mensch soll in Armut leben müssen. Wir leben in einer reichen Stadt. Der Anteil der Sozialhilfe am Sozialbudget ist relativ niedrig. Ich komme aus der Armutskonferenz und weiß, was es bedeutet, in Armut leben zu müssen, was es für Kinder bedeutet, mit sozialer Ausgrenzung zu leben. Die Mindestsicherung sichert das Mindeste für ein menschenwürdiges Leben. Ich fände gut, wenn sie österreichweit einheitlich gestaltet, transparent und einfacher wird. Ich bin auch dafür, dass die Sozialhilfe für arbeitsfähige Menschen zum AMS wandert. Und ich finde es gut, wenn wir über eine Kindergrundsicherung sprechen.

Bürgermeister Ludwig wird sich nach der Wahl aussuchen können, mit wem er regiert. Warum sollte er sich für die Grünen entscheiden?

Wir sind die klimasoziale Stadtpartei. Ich bin überzeugt Rot braucht Grün, damit etwas weitergeht. Ludwig hat es in der Hand: Geht es mit der ÖVP zurück in eine Betonvergangenheit? Gibt es weiterhin Stillstand mit den Neos? Oder geht es mit uns in ein gutes Wien von morgen, wo die Stadt grüner und das Leben für alle Menschen leichter wird?

Vielleicht will er aber auch nur einen einfachen Partner.

Die Wienerinnen und Wiener haben es sich verdient, dass wir es uns nicht einfach machen, weil die Herausforderungen nicht einfach sind und man um die allerbesten Lösungen ringen muss.

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