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Weise oder wirr

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Renate Kromp

©Ian Ehm/News
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Sehr spät, aber doch hat US-Präsident Joe Biden erkannt, dass es Zeit ist, zu gehen. Das Drama um den Spitzenmann der Demokraten zeigt – altersunabhängig –, wie schwierig es ist, den richtigen Moment für einen gesichtswahrenden Abgang zu erkennen.

Wenn Joe Biden irgendwann auf seine politische Karriere zurückblickt, wird er vermutlich nicht allzu viel an sich auszusetzen haben. Als 29-jähriger Lokalpolitiker wird er in den US-Senat gewählt, wo er mehr als 30 Jahre lang wirkt und sich als Außenpolitiker profiliert. Er ist zwei Amtszeiten lang Vizepräsident der Vereinigten Staaten im Schatten des Charismatikers Barack Obama. 2020 nimmt er es mit dem amtierenden Raubein im Weißen Haus, Donald Trump, auf. Er besiegt ihn bei der Präsidentschaftswahl und holt die USA in den Kreis der unzweifelhaft gefestigten Demokratien zurück. Seither macht er in mannigfaltigen Weltkrisen keine schlechte Figur. Zudem hat Biden vorgezeigt, dass ihn persönliche Krisen – der Tod seiner Frau und seiner kleinen Tochter bei einem Unfall, der Krebstod seines Sohnes – zwar wanken, aber seine Ziele nicht aus den Augen verlieren lassen. Eigentlich eine beispiellose Politikerbiografie.

Blickt die Welt auf Joe Bidens Karriere zurück, wird der Blick zunächst verstellt durch das Drama seiner letzten Wochen als Spitzenkandidat der Demokraten für die Wahl im November. Weil der heute 81-Jährige bei Auftritten öfter peinliche Versprecher und beunruhigende Aussetzer lieferte, stand er längst unter Beobachtung. Dann verpatzte er auch noch das erste TV-Duell mit Trump. In seiner Partei brach Panik aus. Immer mehr Demokraten winkten ihrem Präsidenten öffentlich mit der seidenen Schnur. Schließlich gab er auf. Ein beispielloser Akt.

Dabei ging es weniger um die Frage, ob Biden seinem Amt gewachsen ist. Bisher war er es. Sondern um den äußeren Anschein in einem politischen System, in dem das Bild, der Videoclip, die Einlassungen in sozialen

Medien mehr zählen als richtige oder falsche Entscheidungen auf lange Sicht. Sollte Biden bei seinem Rückblick zur Selbstbezichtigung neigen, wird er sich vielleicht vorwerfen, den richtigen, weil früheren Zeitpunkt für den Rückzug verpasst zu haben.

Signale für das Ende

Wie erkennt man den richtigen Moment, zu gehen? Es gibt Warnsignale, die man an der Spitze wahrnehmen muss – unabhängig vom Alter. "Wenn sich Leute nur mehr mit Jasagern umgeben und nicht mehr daran interessiert sind, sich konstruktiv-kritisches Feedback anzuhören, ist das ein fatales Signal", beschrieb es Coach und Autorin Regina Jankowitsch ("Tretet zurück! Das Ende der Aussitzer und Sesselkleber") in diesem Magazin.

Ein US-Politiker, der sich mit Jasagern umgibt? Klingt nach Donald Trump. Er ist nur wenig jünger als Biden. Lauthals klagt er darüber, dass dessen Rückzug für ihn, Trump, teuer werde, weil er nun seine Wahlkampfstrategie ändern müsse. Weise oder wirr? In Trumps Fall gehen die Meinungen zwischen seinen Fans und seinen Kritikern sehr weit auseinander. Möglicherweise dreht sich die Altersdebatte bald um ihn.

Schwer zu sagen, womit man im sehr aufgeheizten Wahlkampfklima in den USA heute beim gemäßigten Publikum punkten kann. Man ist geneigt, sich von einer möglichen demokratischen Spitzenkandidatin Kamala Harris vor allem eines zu erwarten: in möglichst allem und jedem das genaue Gegenteil von Donald Trump zu verkörpern. Sollten die Demokraten gewinnen, wird Trump selbst dann den Moment für den gesichtswahrenden Abgang erkennen? Das Gegenteil hat er schon einmal bewiesen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: kromp.renate@news.at

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