Rückblick: Nach der Nationalratswahl wird der Freiheitliche Walter Rosenkranz zum Ersten Nationalratspräsidenten gewählt. Der ehemalige Volksanwalt wirkt seriös und verbindlich, doch sein Amtsantritt gestaltet sich turbulent
Es ist das Jahr der FPÖ. Und zugleich nicht. Zwar fährt die Freiheitliche Partei einen Wahlsieg nach dem anderen ein. Platz eins bei der EU- bei der Nationalrats- und bei der Steiermarkwahl, Platz zwei bei den Landtagswahlen in Vorarlberg. Zum ganz großen Triumph – zur Angelobung einer Bundesregierung unter Kanzler Herbert Kickl – kommt es aber nicht. Immerhin, im Oktober wird das formal zweithöchste Amt im Staat mit einem FPÖ-Politiker besetzt. Walter Rosenkranz folgt als Erster Nationalratspräsident auf Wolfgang Sobotka.
Bei seiner Antrittsrede gibt sich Rosenkranz versöhnlich. Er werde seine Macht nicht missbrauchen, verspricht er: „Unterstellungen, ich könnte zum Beispiel Sitzungen nicht einberufen und so die Demokratie behindern, entbehren jeder Grundlage. Solche Horrorszenarien sind bei mir unangebracht.“
Konfliktlinien
Doch schon wenige Tage später kommt es zum Eklat, als er Ungarns umstrittenenen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu einem Arbeitsgespräch trifft und dazu ausschließlich den freiheitlichen Parlamentsclub lädt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Überparteilichkeit, finden Kritiker aus den anderen Parteien. Und sie bemängeln die Symbolwirkung dieses Besuchs. Rosenkranz verteidigt sich: Das Treffen sei schon lange geplant gewesen, beim Ablauf habe er sich auf die zuständige Abteilung der Parlamentsdirektion verlassen.
Kurz darauf zeigen sich Konfliktlinien mit der Israelischen Kultusgemeinde (IKG): Oskar Deutsch, Präsident der jüdischen Gemeinde in Österreich, lädt den bekennenden Burschenschafter von der offiziellen Gedenkfeier zur Erinnerung an die Novemberprogrome aus. Rosenkranz will stattdessen einen Kranz beim Denkmal am Wiener Judenplatz niederlegen und wird von jüdischen Demonstrantinnen und Demonstranten daran gehindert. Er wolle sich niemandem aufzwingen, erklärt Rosenkranz dazu in Interviews. Und: „Das jüdische Leben in Österreich braucht sich vor mir absolut nicht zu fürchten.“
Walter Rosenkranz, studierter Jurist und ehemaliger Volksanwalt, der 2002 als blauer Präsidentschaftskandidat ins Rennen ging und dabei einen Achtungserfolg erreichte, gilt als seriöses, verbindliches Gesicht der FPÖ. Er wirkt ruhig und bedächtig, hebt sich von Krachmachern in der Partei ab. Und doch geben seine ersten Wochen im Amt einen Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, wenn sich Herbert Kickl eines Tages den Weg an die Spitze erkämpft hat: Es könnte ruppig werden.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 51+52/2024 erschienen.