Sabine vermisst Leo, obwohl die Trennung über zwei Jahre zurückliegt. Leo ist indessen längst mit einer anderen glücklich. Warum tut Vermissen so weh? Und wann ist man endlich frei für was Neues.
Irgendwie absurd: Wenngleich Sabine in diversen Datingforen neue, durchaus auch leidenschaftliche Bekanntschaften schließt, bleibt ein Gefühl aufrecht: Sie vermisst ihren Ex Leo. Und Sabine kommt so gar nicht damit zurecht. Wie kann sie jemanden noch immer vermissen, der sich von ihr nach so vielen Jahren Ehe getrennt und eine andere Frau ihr vorgezogen hat? Mit Marion macht Leo nun die Urlaube, die Sabine immer versagt blieben. Und mit seiner Neuen ist er anscheinend auch im Liebesleben dort, wo er mit Sabine die letzten zehn Jahre nicht mehr war, wie man an glücklichen Kussfotos in den sozialen Medien sieht. Im Bett war bei Sabine und Leo schon lang der Ofen aus. Man lebte geschwisterlich und wortkarg nebeneinander her. Warum fällt es manchmal so schwer, Beziehungen gehen zu lassen, die längst vorbei sind, und bereit zu sein für eine neue Liebe?
1. Geborgenheit im Schlechten. Beginnen wir gleich mit einem Paradoxon. Wir fühlen uns oft tatsächlich in toxischen Beziehungen gar nicht so unwohl. Denn sie sind uns vertraut. Eher scheuen wir das Neue und kommen schon zum nächsten Punkt.
2. Angst vor Neuem. Neues birgt Gefahr, erscheint unberechenbar, könnte uns in anstrengende Situationen versetzen. Kennen Sie das: Man möchte schon ewig an ein anderes Urlaubsziel, aber dann wird es doch wieder die übliche Reise. Das, was wir immer tun, wirkt psychisch stabilisierend. Es gibt uns Halt und Verankerung, selbst wenn das Gewohnte uns womöglich einengt und in der Selbstentfaltung blockiert.
3. Identität. Das Gefühl, den Partner oder die schon nur mehr noch belastende Beziehung zu vermissen, hat mit Identität zu tun. Unser Gefühl, die Person zu sein, für die wir uns halten, ist wichtig. Es zieht uns förmlich den Boden weg, in unserer Identität -der inneren Gewissheit, wer wir sind und sein möchten -alles zu sprengen und neu überdenken zu müssen. Da essen wir lieber die fade Suppe als was Unbekanntes, das womöglich nicht oder gar zu gut schmeckt und uns erkennen lässt, worauf wir schon lang verzichten.
4. Angst vor Kontrollverlust führt zur Bindung an alte Beziehungsmuster. Das Neue erscheint nicht als Verlockung oder Herausforderung, sondern wie ein Nichts. Wir können uns daher schwerlich vorstellen, eine Trennung schadlos zu überleben.
5. Vermissen ist sozialer Schmerz. Um ihn zu vermeiden, verharren wir lieber in belastenden Beziehungen, als etwas zu vermissen, das ausgedient hat und uns nicht guttut, aber gefühlt "immer so war".
6. Das Versprechen nicht aufgeben. Wir erliegen oft dem hausgemachten Blendwerk, dass es doch funktionieren müsse, was ein "Forever Thing" sein soll. Und dass wir nur geduldig abwarten müssten, bis unser strauchelndes Liebesleben sich erholt. Tut es aber häufig nicht. Nach einer Trennung vermissen wir dann nicht die Endzeitstimmung einer verebbenden Liebe, sondern die guten Zeiten, auch wenn sie in der Ferne liegen.
Interessanterweise sind beim Vermissen dieselben Hirnregionen aktiviert wie bei körperlichen Schmerzen, was erklärt, warum dieses Gefühl so an unserem Selbstwertgefühl nagt und in Depressionen stürzen kann. Das Gegenmittel: Radikale Akzeptanz des Verlustes, der in Wahrheit schon länger zurückliegt als die Trennung. Und, ja, Scheiden tut weh, aber ein künstlich und zwanghaft in die Länge gezogenes Zusammenleben ohne Liebe noch viel mehr.
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