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„Da braucht man sehr viel Trotz und Widerstand“

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Tobias Moretti & Gregor Bloeb

©Viktor Klein
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Bei den Volksschauspielen Telfs treffen die Brüder Tobias Moretti und Gregor Bloeb in einem luxusbesetzten „Zerbrochnen Krug“ zusammen. Moretti ist der schurkische Dorfrichter Adam, der rebellische Intendant Bloeb zürnt im zweiten Vertragsjahr über bürokratischen Widersinn und freut sich über Rekordbesuch.

Südlich die Raiffeisenbank, nördlich das Rathaus, dazwischen das transportable Strafgericht, in dem ein stürzender Provinzdiktator das Äußerste von sich abzuwenden sucht: Ein Schelm, wer da die Tiroler Version des Salzburger Domplatzes wahrzunehmen meint. Das Gericht tagt in einem rostigen Überseecontainer, der zu jeder der 13 ausverkauften Vorstellungen per Tieflader an den Eduard-Wallnöfer-Platz verbracht wird.

Qualitativ jedenfalls ist die Besetzung, die hier mit Premierendatum 1. August Kleists „Zerbrochnen Krug“ probt, dem großen Bruder in Salzburg keinen Meter hinterher: Die Großschauspielerinnen Sibylle Canonica und Corinna Harfouch würden jederzeit den Domplatz adeln, Tobias Moretti war dort schon der furiose Titelprasser. Und allein die Tatsache, dass er seinem jüngeren Bruder, dem Festspielintendanten Gregor Bloeb, fast einen Monat lang den Dorfrichter Adam gibt, lässt aufhorchen.

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Corinna Harfouch (*16. Oktober 1954), geboren in der DDR, maßgebliche Theater- und Filmschauspielerin, fest im „Tatort“, spielt den Gerichtsrat, der gegen den korrupten Richter (Moretti) ermittelt.

 © IMAGO / Future Image
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Sibylle Canonica, Schweizerin, Legende des deutschen Theaters um Dieter Dorn, ist die von Aberglauben gejagte Frau Brigitte.

 © IMAGO / Future Image

Zuletzt vor 33 Jahren, mit einer jetzt mehrheitlich verstorbenen Gründergeneration, hat Moretti in seiner Heimatgegend, wo er heute mit seiner Frau einen Bauernhof bewirtschaftet, den Traum vom authentischen Volkstheater verwirklicht. Was dann kam, waren unzählbare Drehtage, genug für ein riesiges Portfolio aus Film und Fernsehen.

Täuscht jetzt der Eindruck, dass er zuletzt selten in Drehplänen aufschien? Dass er aber sogar das Burgtheater für ein Kurzgastspiel der Erfolgsproduktion „Geschlossene Gesellschaft“ nach Shanghai begleitete? Ein kürzlich in der „Presse“ erschienenes Interview stand auffallend im Zeichen der Sorge um das Theater, das sein Publikum und dessen Bedürfnisse von immer ferner grüßt. Zieht es ihn am Ende auf die Bühne zurück? Ist die Filmbranche enger, abweisender geworden? „Ich glaube nicht, dass weniger gemacht wird, aber es ist komplexer geworden“, präzisiert Moretti. „Viele Projekte finden zwar letztlich statt, aber verschieben sich, und dadurch entsteht in der Branche Unsicherheit, die sowohl Produzenten als auch Redaktionen vorsichtig sein lässt. Vieles ist dadurch konsumerabler geworden, aber wir alle hoffen natürlich, dass dieser Zustand wieder in Produktivität mündet.“

Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ werde von der neuen Burgtheaterdirektion übernommen, „zwei, drei Filmprojekte“ befänden sich „in den letzten Zügen der Einreichung bzw. Realisierung“. Oder zwickt da womöglich noch etwas? Gar die Müdigkeit wegen des schon am 11. Juli bestandenen 65. Geburtstags, keine geringe Bürde für einen, dessen Karrieremodell inbegrifflich auf Jugendlichkeit beruht? Da dementiert er glaubhaft: Die gefühlsintensive Jahreszäsur stelle sich immer erst zu Silvester ein, schon als Kind sei das so gewesen: Der Geburtstag im Hochsommer, wenn alle weg waren, habe dazu das Seine getan.

Der ferne Bruder

Da ist naturgemäß der Bruder gefragt, Gregor Bloeb, Jahrgang 1968, einer aus der raren Spezies der Kraftschauspieler mit den durchschimmernden Nervensträngen. Gemeinsame Kindheit, bei neun Jahren Altersunterschied, als jüngstes von vier Geschwistern? „Da müsste man die großen Brüder fragen, aber was uns sicher alle geprägt hat, war die Liebe und die absolute Freiheit, den jeweiligen Leidenschaften nachzugehen. Wir sind in einem Sozialbau in Innsbruck aufgewachsen, wo über 60 Kinder mit denkbar diversen Wurzeln wohnten, und so etwas prägt einen natürlich sehr, im allerbesten Sinne.“

Ein rebellisches Paar

Die im Vorjahr mit Kantersieg angetretene, vorerst auf drei Jahre befristete Intendanz kam zur rechten Zeit: Mehr noch als Gregor Bloeb rieb Nina Proll, die Ehefrau, gegen die Restriktionen der Coronazeit auf, beide verloren anschließend einiges an Engagements und anderweitigen Verträgen.

Wäre nicht jetzt, wo das Land von kontaminierten Gewässern überflutet zu werden droht, Widerstand noch dringlicher angezeigt? Da holt Bloeb zu einem erlebenswerten Monolog aus. „Selbstverständlich positionieren wir uns gegen rechts und gegen unterkomplexe Verein-facher. Wir machen aber sowieso, was wir machen wollen – Anarchie und Tradition –, und grenzen dabei ganz sicher niemanden aus“, verweist er Moralisierern abermals adieu. „Interessante Kunst ist immer ambivalent, nie eindeutig und kommt sehr gut ohne Zeigefinger aus. Sie ist immer frei. Schon allein deshalb muss sie unbedingt immer antifaschistisch und antiautoritär sein. So vielen aktuellen Entwicklungen kann man nur noch mit sehr viel Trotz und Widerstand begegnen – und“, fährt er noch einen Dreh deutlicher fort, „es ist egal, ob eine Maskenpflicht beim Sportunterricht eingeführt wurde oder wir uns mit Absurdauflagen auseinandersetzen müssen. Mit Kriegsgebrüll, Benko, Trump vs. Biden – es ist so absurd, man kommt gar nicht mehr hinterher.“ Coda: „Wir können all dem mit dem Theater nicht hinterherlaufen, wir müssen was ganz Eigenes schaffen, was es nur bei uns gibt. Das Sinnstiftende am Theater ist das Verbindende! Hier haben wir die Möglichkeit des Dialogs, des Zuhörens, der Auseinandersetzung mit den ganz großen Fragen, Stoffen und Themen, der Konfrontation.“

Und drehen? Welch naive Anfrage! Er selbst leitet als Regisseur die Wiederaufnahme der wieder glänzend gebuchten Produktion „Die 7 Todsünden“ aus dem Vorjahr. Dass der „Zerbrochne Krug“ von der Deutschen Anna Bergmann inszeniert wird, die zuletzt für sämtliche vakanten Wiener Theaterdirektionen im Gespräch war, betrachtet er als Bereicherung und Erleichterung, zumal an Kleists genialem Text dramaturgisch nicht gestümpert wird.

„Im Vorjahr habe ich Toiletten geputzt, heuer muss ich nur WC-Papier nachbestellen“

Gregor BloebSchauspieler

Intendant putzt Toiletten

Er habe sich die Anforderungen einer Intendanz anders vorgestellt, kehrt Bloeb zur Frage zurück. Da gehe sich fast nichts anderes aus! Ein Dreh mit Aglaia Szyszkowitz für die ARD, ein „Meiberger“-Krimi mit Fritz Karl, ein Drehbuch in Arbeit mit Nina Proll – andere wären mit dem Aufkommen zufrieden, aber er zeigt glaubhaften Unmut.

„Ein Festival mit unserem Qualitätsanspruch aufzubauen, das bedeutet, mit Haut und Haaren für dieses Festival da zu sein … und zwar nicht nur für mich, sondern für alle Beteiligten. Und wenn ich letztes Jahr als künstlerischer Leiter Regie geführt und die Toiletten geputzt habe, so musste ich heuer nur noch Toilettenpapier nachbestellen und Regie führen. Ich liebe die künstlerische Teamarbeit, aber die besondere Schwierigkeit besteht bei den Volksschauspielen bloß darin, dass es keinen fixen Platz gibt, es muss immer wieder eine ganze Infrastruktur, ein ganzes Theater quasi neu gebaut werden.“

„Verblödete Bürokratie“

Teuer sei das, redet er sich in Rage, und das Verhängnis sei die Bürokratie. „Das lässt sich ohne weitere Angestellte nicht mehr stemmen. Wenn ich eine Jause für die Hackler kaufe, muss man die verschiedenen Mehrwertsteuern von einer Latella und einer Wurstsemmel rausfiltern, weil es die Buchhaltung sonst nicht annimmt. Das ist ein typisches Beispiel, wie vollkommen verblödet das alles ist. Ich verstehe nicht, dass es sich die Menschen immer noch schwerer und komplizierter machen. Mittlerweile sind zwei Drittel meines Jobs Bürokratie, aber trotzdem macht er mir gerade natürlich auch wieder sehr viel Freude“, lenkt er ein wenig ein. „Ich wünsche mir freilich in aller Bescheidenheit ein Festivalbudget, mit dem wir mehr als die extrem wenigen, leidenschaftlich hackelnden festangestellten Mitarbeiter der Volksschauspiele anstellen könnten, ohne dass es zu Lasten des künstlerischen Etats geht.“

Was also nun? ORF III zeichnet die „7 Todsünden“ auf, das Projekt, auch eine letzte Bewunderungsbekundung für die jung verstorbene Schriftstellerin Helena Adler, wird allein im Theater von 15.000 Menschen gesehen worden sein. Das ist viel, im Grund nicht weniger als sensationell. Die nächste Saison? Die Antwort nimmt sich eher zweifelnd als triumphierend aus. „Ich muss mal nach dieser Saison einen Strich ziehen und z’sammzählen – mein Vertrag läuft noch ein Jahr.“

Stimmt. Wenn einer aber die Idealbesetzung ist?

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 30+31/2024 erschienen.

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