Der Tod des Papstes verschärft noch die Unsicherheit der westlichen Welt. Die Kirche würde als ordnende Instanz dringend gebraucht, hat sich aber selbst um jeden Einfluss gebracht. Franziskus kam wohl um Jahrzehnte zu spät. Die Kirche weicht in die Dritte Welt aus.
Seiner Sorgepflicht ist der Papst nachgekommen wie ein Vater, der aus Angst um die Zurückbleibenden nicht sterben kann. Erst musste er minutenlang der finsteren Zukunft der westlichen Welt ins Gesicht sehen. Als J.D. Vance sein Foto dann gepostet hatte, konnte der Sterbende den Erdkreis nur noch Gottes Barmherzigkeit überantworten.
Der Erdkreis kann die Zuwendung verzweifelt gebrauchen. Und dass der Papst seine Osterbotschaft unter das Zeichen des Pazifismus und des Widerstands gegen den Antisemitismus gestellt hat, könnte einen mit Hoffnung erfüllen. Nur ist das, was die ohnmächtig gewordene Kirche zu bedenken gibt, ohne jeglichen Belang für die Herrschaften, die uns namens multipler Gesinnungen und Ethnien täglich näher an den Weltkrieg führen und den Judenhass auf akademisches Niveau rehabilitiert haben.
Der rasend fortschreitende Machtverlust der katholischen Kirche, des Christentums insgesamt, hat prinzipienverpflichtete Linke wie mich lang mit Genugtuung erfüllt. Noch als Unterstufengymnasiast lauschte ich im mütterlichen Oberösterreich ungläubig den Ausführungen des jungen Paters Friedrich, der uns während der Elfermesse an seiner Israel-Reise teilhaben ließ: So schön sei es im Geburtsland des Erlösers gewesen. Aber diese Juden, an sich akzeptable Menschen, wollten sich ihrer Verantwortung als Gottesmörder nicht stellen und verweigerten starrsinnig die Bekehrung, weshalb sie alle in der Hölle landen würden.
Wofür die Kirche?
Ausgetreten bin ich 1976. Kardinal war seit 1956 Franz König und Papst seit 1963 Paul VI. Aber auch diese freisinnigen Intellektuellen waren Galaxien entfernt von der Normalisierung des Verhältnisses zwischen jahrtausendealter Dogmatik und vorwärts rasender Realität.
Lassen Sie mich, den Ressort-Autisten, jetzt 40 Jahre überspringen. Soeben waren Flüchtlingsströme, überhäuft mit Mannerschnitten und Viertelliterfläschchen Vöslauer still, vom Hauptbahnhof ins benachbarte Bayern weitergejubelt worden (als dann viele hierbleiben wollten, nahm die mitmenschliche Begeisterung ein abruptes Ende).
Da führte ich ein Interview mit dem großen linken Schriftsteller Gerhard Roth, der einst wegen seines Aufreibens gegen Jörg Haider für hysterisch erklärt und bedroht worden war. Ich konnte nicht glauben, was mir mein fast lebenslanger Freund da diktierte: Minderheiten hätten jedes Anrecht auf Schutz. Aber niemand habe die drei Säulen der westlichen Welt infrage zu stellen: christlich, jüdisch, griechisch. Nichts sei hier zu relativieren, nichts zu adaptieren, jeder einschlägige Versuch zu bekämpfen.
Die Linke muss die Juden nicht mehr vor der Kirche in Schutz nehmen, sondern umgekehrt
Roth beglaubigt Krenn
Das entsprach – unglaublich – in Teilen einem Interview, das mir zehn Jahre vorher der stockkonservative, brillante St. Pöltner Bischof Kurt Krenn gewährt hatte, ehe ihn ein Notzuchtskandal innerhalb seiner Diözese aus dem Amt wehte: Die Kirche lasse dem Islam freie Bahn, weil sie, im Gegensatz zu ihm und seinen rigiden Gesetzen, zusehends in der Defensive verweichliche. So sagte mir der Intimfeind der langsam erstarkenden Reformkatholiken.
Da fliegen mir die Erinnerungen um die Ohren, und ich werde immer verwirrter, immer unschlüssiger, was ich von der Kirche halten und von ihrer Zukunft erhoffen soll. Schon fällt mir meine wunderbare Freundin Lotte Tobisch ein, die mich im Herbst 2019, Wochen vor ihrem Tod, anrief, um mir die folgenden letzten Worte zu diktieren: „Beim Zustand der Welt frage ich mich täglich eins – wozu ist Christus am Kreuz gestorben?“ Meine Antwort war angesichts der Größe des Augenblicks entbehrlich, hat der Empfängerin aber irgendwie gefallen: „Wie wär’ es denn mit der ,Matthäuspassion‘, der Pietà des Michelangelo oder dem ,Faust‘?“
So. Und jetzt? Die Linke muss die Juden nicht mehr vor der Kirche in Schutz nehmen, sondern umgekehrt. Das christlich-jüdisch-griechische Weltbild ist von der Bildungspolitik systematisch niedergesprayt worden und laut Idiotendiktat sogar als Museumsstück streng zu kontextualisieren. Weil Bach antisemitische Bibelzitate verwendet und die Pietà ein verwerfliches Frauenbild transportiert, von der Gretchen-Tragödie nicht zu reden.
Dafür brauchen wir die Kirche
Die Kirchen müssten da Großes bewahren, Bildung und Wegweisung vermitteln und damit Unheil abwenden. Leider haben sie, auch aus eigenem Verschulden, in der westlichen Hemisphäre kaum noch etwas zu bestellen. In den USA stemmen sie sich kraftlos gegen Trumps Unmenschlichkeiten und laborieren an hysterischen Fundamentalisten, wie Vance einer ist.
Der nächste Papst wird vielleicht aus der Dritten Welt kommen, und nicht aus der europäisierten wie der verstorbene. Wir werden keinen Kardinal mehr haben, dafür wird der nächste vielleicht in Afrika geweiht, denn die Kirche legt dort mit Rekordwachstum zu, während sie hier verlischt.
Weshalb sie in Afrika blüht, belegt eine Studie: einerseits, weil sie in heillosen sozialen Umständen die Grundversorgung an Menschenwürde herzustellen versucht – offenbar hat sie aus Verbrechen der Kolonialzeit und der Mission gelernt. Andererseits aber auch, weil sie klare Regeln aufstellt, die den Menschen letztlich zum zivilisierten Wesen organisieren.
Das wäre auch bei uns gefragt (gewesen): eine sich maßvoll, aber nicht anbiedernd verändernde Kirche als feste Instanz gegen den Blödsinn und die Unmenschlichkeit einer ungebildeten, asozialen Zeit.
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