Wenn einen der Redaktionsschluss ins tote Eck befördert, müssen die letzten Dinge herhalten. Da trifft es sich gut, dass ich anlässlich einer Laudatio für Dompfarrer Toni Faber das komplizierte Verhältnis von Kirche und Kunst thematisieren durfte
Der Redaktionsschluss, dieser Intimfeind des recherchierenden Journalisten, sitzt mir im Nacken: Wenn Sie das lesen, tobt in den USA womöglich schon der Bürgerkrieg, und der neue Burgtheaterdirektor hat seine erste, riskante eigene Inszenierung im Amt gerade absolviert. Da bleibt nicht viel, als sich den terminungebundenen letzten Dingen zuzuwenden, diesfalls der paraphrasierten Gretchenfrage: Wie hält es der Kulturmensch mit der Religion? Beantwortet habe ich sie mit einer Laudatio für den hochgeschätzten Dompfarrer Faber. Bekommen hat er den „Art Award“ der Wiener Wirtschaftskammer. Lesen Sie selbst.
Werte Verehrungsbekundungsbezugsberechtigte, lieber Toni, dieses mich ehrende und freuende Unternehmen mit eigenen Befindlichkeiten einzubegleiten, ist zweifellos ungehörig. Es bleibt mir aber gar nichts anderes übrig, weil ich nämlich daran zweifle, dass ich für die Aufgabe überhaupt qualifiziert bin. Die Wirtschaft rangiert ja unter meinen Ambitionen ganz hinten, die Kunst dafür ganz vorn. Aber, um Gretchens Bedenken zu paraphrasieren: Wie verhält es sich denn mit der Religion? Und da sag ich Dir: Ich bin 1976 aus der Kirche ausgetreten. Aber unter den Menschen, die mich das manchmal zart bedauern lassen, stehst Du ganz weit vorn. Die Verhältnisse sind nämlich nicht so einfach, wie man sich das als stürmischer junger Linker vorstellt.
Ausgetreten bin ich, weil der Klerus mit dem Bauernbund anhaltend gegen Peter Turrinis „Alpensaga“ mobilgemacht hat, diesen Meilenstein europäischer Fernsehgeschichte. Aber als 14 Jahre später im Burgtheater Turrinis „Tod und Teufel“ uraufgeführt wurde und wachslichterverzehrende Ultras am liebsten den Exorzisten bestellt hätten: Da hat sich der gerade zu Höherem aufbrechende Christoph Schönborn unerschrocken an die Seite des ihm freundschaftlich und intellektuell verbundenen Dichters gestellt. Es geht in dem Stück um einen zweifelnden, verzweifelnden Priester, der nirgendwo das Gute findet, daher wenigstens das Böse verstehen will und sich schließlich am eigenen Kleiderschrank kreuzigt.
Das Stück ist hoch moralisch und im Innersten religiös, so wie das Werk von Hermann Nitsch, das dem Mythos des Opfertods durch die Philosophien und Religionen folgt. Oder wie die großartigen, verstörenden Kinderbilder von Gottfried Helnwein, die das christliche Mit-Leiden, womöglich mit der Option der Katharsis, in unsere Realität rücken.
Und damit bin ich ganz bei Dir, lieber Toni. Du hast heuer eines dieser inbegrifflich christlichen Bilder als Sujet für das Fastentuch über dem Hauptaltar des Doms ausgewählt. So wie schon im Vorjahr ein textiles Objekt von Erwin Wurm, überwältigend in seiner metaphorischen Größe und Schlichtheit. Die beiden anderen Bilder, die Helnwein heuer zum Anlass stiften wollte, sind Protesten zum Opfer gefallen, weil sie angeblich verstören. Welch ein Widersinn in einem Kir- chenraum, der einem gesteinigten Märtyrer geweiht wurde und in dessen spirituellem Zentrum das Bild des nackten, zu Tode gefolterten Menschensohns steht!
Auf der hellen Seite
Aber das eine, das erste der drei Helnwein-Exponate, das hast Du gezeigt, und darauf kommt es an. Du hast Dich damit im ewigen Widerstreit abermals auf die helle Seite, die Seite der Aufklärung, gestellt. In eine Linie mit Kardinal Schönborn, mit Kardinal König, nach dem ein bedeutender kirchlicher Kunstpreis benannt ist. Und in eine Linie mit Monsignore Otto Mauer, dessen Namen ein noch wichtigerer Preis trägt. Der Monsignore mit seiner Galerie nächst St. Stephan hat nach dem auch ästhetischen Debakel der Nazi-Zeit der gesamten bildnerischen Nachkriegsmoderne auf den Weg geholfen, nebst anderen Herbert Boeckl, Arnulf Rainer und Maria Lassnig.
Lieber Toni, als meine jüngere Tochter an einem unvergesslichen, erlösenden Vormittag des Jahres 2021 in Deinem Dom gegen Corona geimpft wurde: Da haben wir einen Raum weiter die Virgilkapelle besucht, mit dem bronzenen Mahnmal des Atheisten Alfred Hrdlicka für die Widerstandskämpferin Schwester Maria Restituta, die 1943 von den Nazis geköpft wurde. Das Werk wurde unter Deiner Verantwortung in Auftrag gegeben und 2012 enthüllt. Und es ist wahrhaft verstörend: kein Bild des demütigen Sich-Findens ins Schicksal, sondern das Haupt einer Erinnye, einer antiken Rachegöttin. Und doch steht über allem der Triumph des Glaubens und des Willens, einen Himmel hoch über dem Unrat der herrschenden Verhältnisse.
Der Index und seine Aufhebung
Endlos könnten wir über die Verhältnisse von Licht und Dunkel philosophieren: Als die Inquisition gewütet hat, wurde auch der Petersdom gebaut und Leonardos „Abendmahl“ geschaffen. Die hellen Schubert-Messen hat ein tiefgläubiger Mensch in der Zeit finsterster Reaktion geschrieben.
Der päpstliche Index wollte die alphabetisierte Christenheit von Zehntausenden Titeln der Weltliteratur fernhalten, unter anderen von Balzac, Zola, Flaubert, Luther, Descartes, Kant, Rousseau, Voltaire, Heine, Sartre und Simone de Be- auvoir. Aber der Index wurde auch 1965/66 vom großen Papst Johannes XXIII. für alle Zeiten stillgelegt.
Das ist zugegebenermaßen spät. Aber so spät auch wieder nicht, wenn man bedenkt, dass heute vorgeblich linksliberale Kreise unter dem debilen Kürzel „Cancel culture“ wieder zensorisch an den Pretiosen des kulturellen Erbes stümpern.
Unter anderem deshalb, lieber Toni, bin ich aufrichtig erleichtert, dass es Dich gibt.
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