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Spitzentöne: Die Niederungen der Politik und das Zeitlose der Musik

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7 min

©Wiener Staatsoper

Zu Recht mahnen mich meine klugen Leser: Die Kunst ist ein weitaus ergiebigeres Thema als das perverse Kriegstreiben der Stunde. Ein paar Sätze dazu kann ich Ihnen auch diesmal nicht ersparen. Aber dann geht es um die Oper. Sogar um eine der schönsten

Da bittet mich mein beharrlich der Vernunft und dem Schönen verpflichteter Leser Hans Loibner, über den Wimpernschlägen der Weltgeschichte, die uns gerade in Angst versetzen, das Größere nicht zu vernachlässigen: „Es wäre Balsam, wenn Sie bei einem Ihrer nächsten Spitzentöne wieder einmal irgend etwas über die Schönheit von Tönen in der Musik schreiben könnten – Musik als eine der größten Errungenschaften der menschlichen Seele, statt aus Sorge über irrsinnige Kriegstrommeln schreiben zu müssen.“ Das ist allerhand von einem Pionier der Biotechnologie, war aber im Grund erwartbar. Denn wohin sonst als in die höheren Etagen soll man ausweichen, wenn man unseren mikrobischen Planeten bis in den letzten Winkel vermessen hat?

Lassen Sie mich also dankbar zur Kunst zurückkehren. Allerdings erst nach einem geräumigen Postskriptum zur vorwöchigen Kolumne, mit der ich mir ein außerordentliches Quantum Ihrer Zustimmung erschreiben konnte. Es ging um den waffenscheinpflichtigen Drall des außenpolitischen Green- bzw. Pinkhorns Meinl-Reisinger Richtung NATO per Obsoleterklärung der Neutralität. Wenn sich ein Regierungsmitglied so an den Grundlagen der Verfassung zu schaffen macht: Wer wäre wohl für die Inschachhaltung dieser Ambitionen zuständig?

Bio-Bismarck VdB

Selbstverständlich der Bundespräsident, doch der hat sich soeben als Offizialtourist öffentlich davon beeindruckt gezeigt, dass in Finnland (1.340 km Grenze zu Russland) der Neutralität niemand eine Träne nachweint. Ich hätte mir das denken können, denn die grünen Friedensmarschierer entwickeln heute bis weit in die Folgegenerationen eine rätselhafte Obsession für Gleichschritt, Bunker und Kommiss. Die Linksbobos – exemplarisch die deutsche Außenministerin Baerbock – treffen sich da mit den neoliberalen Rechtsbobos.

Noch erinnere ich mich anhaltend verstört, wie Van der Bellen außer sich geriet, als einst dem Militäraufmarsch zum Nationalfeiertag Sparmaßnahmen drohten. Als wolle man Udo Landbauer den (unvergleichbar schützenswürdigeren) Nikolo wegnehmen! Zur Corona-­Zeit hat der Bio-Bismarck dann in der Gestalt seines gescheckten Adjutanten Starlinger das Virologische Quartett gekapert, und jetzt gibt der Mann im Außenamt schon den Oberbefehlshaberer. Da darf man sich doch auch als Schöngeist ängstigen?

Das habe ich nun aber für mehrere Wochen ausreichend erledigt. Also: Zurück zur Kunst! Zur Musik fällt mir nichts, vielmehr alles ein: Als ich am 19. Jänner 1969, einen Monat nach meinem 14. Geburtstag, durch schieren Zufall ins Stehparterre der Staatsoper verschlagen wurde, hat mein Leben begonnen. Ich habe dort meine erste Partnerin gefunden, meinen ersten Freundeskreis und meinen Beruf, weil mich in der Warteschlange der junge Redakteur Paul Flieder von der Arbeiterzeitung gefragt hat, ob ich meinen selten versiegenden Wortschwall nicht einmal probeweise in eine Fernsehkritik umleiten will.

Links- und Rechtsbobos treffen sich in der Leidenschaft für Gleichschritt und Kommiss

Bitte: Das Wunder der Oper

Und ich habe dort als Glückskonstante das Wunder der Oper gefunden, in der ich zu Hause bin wie fast nirgendwo sonst und die mir, konträr zum Theater, fast nie langweilig geworden ist (u. a. auch, weil barmherzigerweise nur ein Bruchteil der 70 Opern Donizettis ins Repertoire gelangt ist).

In ein paar Tagen werde ich „Arabella“ wiedersehen, 1933 als letzte Frucht der Zusammenarbeit zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal in Dresden uraufgeführt. Hitler war schon Reichskanzler und Hofmannsthal dem Nazi-Unrat vor vier Jahren davongestorben. Er hatte jüdische Vorfahren, sein „Jedermann“ wurde deshalb in Salzburg abgesetzt, aber die Opern konnten weitergespielt werden, weil Strauss beim Regime wohlgelitten war.

„Arabella“ war zu Frühpubertätszeiten mit „Tristan und Isolde“ mein Lieblingsstück. In beiden ging es ja um die Liebe, die ich leider nur von der Bühne kannte. Im „Tristan“ war sie ein Rausch, der selbst im Tod keine Ernüchterung kannte, eine Urgewalt, von der ich mich gern einmal hätte fortreißen lassen.

Und das Wunder „Arabella“

„Arabella“ hingegen ist eine Verkleidungskomödie, in der durch einen Tränenschleier die Sehnsucht nach dem Unwiederbringlichen lächelt. Es geht um eine Familie bankrotter Adeliger zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Die jüngere Tochter muss sich als Bub verkleiden, weil sie der alte Graf nicht standesgemäß ausstaffieren kann, die titelgebende ältere soll an einen reichen kroatischen Gutsbesitzer veräußert werden. Doch statt des Bauernlümmels erscheint dessen Neffe, und der ist „der Richtige“, weshalb Arabella zum einzig möglichen Schluss gelangt: „Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan.“

Muss ich ausführen, was Bataillonen von Trotteln da über bald ein Jahrhundert entkommen ist? Strauss war ein Nazi (war er mitnichten), Hofmanns­thals Libretto ist Dekorationskitsch, auf alle Zeiten diskreditiert durch das Uraufführungsjahr. Vom jetzt gern genommenen Frauenbild gar nicht zu reden.

Aber schönere Duette wurden in der Musikgeschichte nicht oft geschrieben, und die aktuelle Serie in der Oper dirigiert Christian Thielemann, der für dieses Repertoire ist, was in meiner Stehplatzzeit Lisa della Casa und Eberhard Waechter waren: das vielleicht Beste der Operngeschichte. Und da soll ich mich über Meinl-Reisinger und Starlinger aufregen?

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