News Logo
ABO

Spitzentöne: Nochmals Salzburg, diesmal im Großen

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
7 min
Heinz Sichrovsky

©News
  1. home
  2. Aktuell
  3. News

Die Salzburger Festspiele sind zur Hälfte bestanden, das Opernprogramm ist zu tadellosen zwei Dritteln absolviert. Zuletzt legte Mieczysław Weinbergs Dostojewski-Oper „Der Idiot“ Zeugnis von der Kraft und Integrität russischer Kunst ab

Weshalb die Salzburger Festspiele dieses Jahres zur Halbzeit in solch erfreulichem Gelingen begriffen sind, versuche ich im Detail im aktuellen Heft zu ergründen. Hier auf meinem Stammplatz geht es naturgemäß um das größere Ganze, das uns in dieser unfrohen Zeit gefangen hält. In erster Linie erklärt sich der Erfolg des Opernprogramms aus dem souveränen, gelassenen Bekenntnis des Künstlers Markus Hinterhäuser zur Qualität. Mit den Philharmonikern und Thielemann nicht Richard Strauss zu spielen, ist Widersinn, und dem seit Harnoncourts Tod bedrängenden Mozart-Problem anders als mit Teodor Currentzis beikommen zu wollen, wäre Zeitverlust. Also hat man, die Umstände wollten es, bravourös mit dem konzertanten „Capriccio“ und „Don Giovanni“ als Wiederaufnahme eröffnet. Und der noch größere Triumph fiel mit der ersten tatsächlichen Neuproduktion in eine Zeit, in der das Spiel sonst fast schon entschieden ist: Seit dem 2. August geht die Fachwelt vor Mieczysław Weinberg und seiner Dostojewski-Oper „Der Idiot“ in die Knie.

Und welch ein Künstlerleben hat dieser in zögernder Wiederentdeckung begriffene Mann bestanden! Die jüdische Familie war vor den Pogromen aus Moldawien nach Polen geflohen und wurde mehrheitlich in der Shoah ausgelöscht. Der Sohn konnte 1939 in die Sowjetunion entkommen, wäre dort beinahe Stalin zum Opfer gefallen und blieb dennoch bis zu seinem Tod am 26. Februar 1996 in Moskau ansässig. 1953 brach mit Chruschtschow die Zeit der Hoffnung an, die 1968 von Breschnjew mitsamt dem Prager Frühling zertrampelt wurde. 1990/91 stimmte Gorbatschow unter Druck der Liquidierung des Weltreichs zu, und als Weinberg starb, schickte sich Putin als Boris Jelzins Gefolgsmann schon zur Übernahme der Macht an. Aber Weinberg führte inmitten dieser welthistorischen Verwerfungen ein erfülltes und integres Künstlerleben.

Da sind wir auch schon beim zweiten Parameter dieser außerordentlichen Festspiele: dem Bekenntnis zur reichen und großartigen russischen Kultur, der vergangenen wie der heutigen.

Chruschtschows Urenkelin, die Politologin Nina Chruschtschowa, hat als Eröffnungsrednerin Putin verurteilt und die russische Kunst gegen Kretins, die sich schon an Tschaikowsky und Dostojewski vergreifen, in Schutz genommen. Der Emigrant Igor Levit setzt hier ebensolche Zeichen wie Currentzis, der nicht emigriert ist. Er hat die Festspiele mit der „Matthäus-Passion“ eröffnet und die Wiederaufnahme von Castelluccis „Don Giovanni“-Inszenierung aus dem Jahr 2021 übernommen, diesmal mit dem Utopia-Orchester. 2021 ist er hier noch mit seinem in St. Petersburg ansässigen Klangkörper MusicAeterna angetreten. Er hätte sich bei Kriegsausbruch nur unter Verwünschungen davonmachen müssen, um seine Prominenz an neuen Dienstorten ins Unermessliche zu steigern. Dann wären aber 200 Musiker aus 15 Ländern vor dem Nichts gestanden. Also ist er geblieben, hat aber auf Gastspielreisen, notgedrungen meist mit anderen Klangkörpern, wieder und wieder Friedenszeichen gesetzt. Dennoch werden die Engagements spärlich. Zwar reiste Currentzis zuletzt sogar mit MusicAeterna durch Italien und Spanien. Aber besonders im deutschen Sprachraum – das Konzerthaus und die Festwochen haben bei uns hässliche Zeichen gesetzt – betreibt man mit dem Eifer derer, die nichts zu verlieren haben, die Auslöschung der Weltmarke.

Nichts gelernt aus dem Leben des Mieczysław Weinberg? Dann wäre eventuell bei Prokofjew nachzuschlagen, dessen „Spieler“, wieder nach Dostojewski, in Salzburg per 12. August gezeigt wird. Prokofjew ist aus dem Westen in die Sowjetunion heimgekehrt, weil ihm in der Fremde die Schaffenskraft versiegte.

In Salzburg jedenfalls haben sich für Currentzis Tausende Hände gerührt. Gegen ihn nur zwei, die des ukrainischen Botschafters, der sich „scharf“ gegen das Engagement gewendet hat. Diese anmaßende Einmischung in den Spielplan einer österreichischen Kulturinstitution wurde kaum beachtet, und hier bestätigt sich eine Entwicklung, die dem überfallenen Land auch im Großen zu schaffen macht: Immer weniger ist die Welt bereit, ihre Solidarität überstrapazieren zu lassen.

Dabei kommen einem wie mir zwar nicht die Überzeugungsfundamente, aber zusehends die Definitionen in Bedrängnis. Dem Geschrei gegen russische Künstler wird überwiegend von linker Seite Platz gegeben.

Aber was ist links? Mit immigrierten Endlösungseuphorikern dagegen zu demonstrieren, dass Israel Verhandlungen mit einer Mörderbande verweigert? Zugleich aber Verhandlungen mit dem Mörder Putin zu kriminalisieren, die am Ende den linksseitig angetänzelten Dritten Weltkrieg verzögern könnten?

Auch habe ich Alice Schwarzer stets für den Stolz der aufgeklärten Linken gehalten. Und Sahra Wagenknecht hat sogar geholfen, die Linke als Partei an die Spitze einer deutschen Landesregierung zu führen. Aber weil beide verlangen, das irre Hochrüsten wenigstens temporär einzustellen, um Friedensverhandlungen zu erzwingen, werden sie zu Putin und Orban delogiert.

Orban wiederum ist zweifellos ein übler Geselle. Aber dass er erst zu Selenskyj und dann zu Putin gereist ist, hätte vorsichtige Anerkennung, nicht Ächtung ex cathedra verdient. So wie im Kleinen die Weigerung unserer grünen EU-Vertretung, für eine substanzlose symbolische Abstimmung die Neutralität dreinzugeben.

Nicht zu glauben, was einem musikbeschwipsten Fachautisten wie mir in Salzburg so durch den Kopf fährt.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!

News Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER