News Logo
ABO

Spitzentöne

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
4 min
Heinz Sichrovsky

©News
  1. home
  2. Aktuell
  3. News

Eine gelungene Nestroy-Premiere in Reichenau macht den Widersinn bewusst: Der Publikumsmagnet wird in Wien kaum gespielt. Eine Österreicher-Quote in den Ensembles würde Abhilfe schaffen

Quoten sind der Tod der Kunst. Wem will man den Oscar-Gewinner als besten Film des Jahres andrehen, wenn zuvor alle Beteiligten Fragebögen zu ihrer ethnischen, sexuellen, politischen und religiösen Orientierung ausfüllen mussten, um auf irgendeinem „Ticket“ als Trittbrettpassagiere ins Engagement zu tuckern? Weshalb außer durch Zufall sollen je fünf von Frauen und Männern verantwortete Inszenierungen die besten des Jahres sein? Und wen wundert es da, dass das einst namhafte Berliner Theatertreffen heute eine unbeachtete Obskurantensause ist?

Umso sonderbarer muss es Ihnen erscheinen, dass ich hier eine Österreicher-Quote fordere. Nicht etwa für kulturelle Führungspositionen, das wäre provinziell. Aber in den Theaterensembles: Da ist sie wieder herzustellen, so wie es einmal selbstverständlich war.

Zur Erkenntnis brachte mich die Eröffnungspremiere der Festspiele von Reichenau, Nestroys „Lumpazivagabundus“ mit Robert Meyer als Regisseur und Knieriem. Da wurde mir bewusst, dass den einst wettbewerbsentscheidenden Nestroy kaum eine Wiener Bühne mehr spielt. Weshalb? Weil er angeblich unbesetzbar ist: einerseits personalintensiv, andererseits unausweichlich für das österreichische Idiom geschrieben, sieht man von ein paar falschen Italienerinnen ab, die mit noch größerer österreichischer Niedertracht zu parodieren sind.

Den Reichenauer Nestroy spielen ausschließlich Österreicher, und das hervorragend. Keine hiesige Bühne hatte damit früher Probleme: Könner, die von Aischylos bis O’Neill alles im Repertoire hatten, packten naturgemäß auch ihren Raimund oder Nestroy aus, und wenn sie aus Bayern kamen wie Michael Heltau oder Robert Meyer, haben sie sich ins Gardeformat assimiliert. Monolithisch standen dagegen die Hauspreußen, die wiederum als Einzige den „Hauptmann von Köpenick“ konnten.

Und heute? Werden ins Volkstheater ganze deutsche Provinzensembles implantiert. An der „Burg“ folgte man anno Kusej kunstwidrigen Diversitätsdiktaten. Personen, die oft kaum wahrnahmen, wo sie waren, kamen, wurden unglücklich und gingen. Nestroy? Lief endlos keiner mehr.

Insgesamt konnte man sich heuer via Reichenau querschnittartig in die besonderen Erfordernisse der österreichischen Bühnenklassik vertiefen. Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ braucht keine Österreicher: Peymann hat der widerstrebenden Heimat den Verstörer mit Giganten wie Voss und Minetti quasi von außen aufgezwungen. Schnitzlers urbaner „Anatol“ und Horvaths ländlicher „Jüngster Tag“ hingegen sind in Reichenau österreichisch-bayrisch besetzt, und das war ein kluger Entschluss. Zwar greifen beide Dramatiker ein Stück weiter aus. Selbst Schnitzlers höchstempfindliches „Weites Land“ wurde 1987 von Luc Bondy exemplarisch ins Französische übertragen. Mit dem nämlichen Werk in deutscher Spitzenbesetzung erzeugte Barbara Frey Melodie statt Idiom, das Resultat erfreut am Akademietheater. Aber das waren Glücksfälle, die man nicht planen, nur erträumen kann.

Bei Nestroy geht das so wenig wie bei Raimund, seine Forderungen sind rigide. Man muss die Balance zwischen dem fast ekstatischen Blödsinn der Alt-Wiener Volkskomödie und dem rasierklingenscharfen Sprachkunstwerk treffen, alles von Österreichern und im Grund für Österreicher. Einfach ist das nicht. Aber seit wann ist Theater eine leichte Übung?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

Neuer Newsletter! Heinz Sichrovsky informiert Sie direkt: Melden Sie sich hier zu seinem Newsletter an!

News Kolumnen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
Ähnliche Artikel
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER