Die gerechtfertigte Absage dreier Konzerte der Popsängerin Taylor Swift ist mehr als eine Tragödie für 190.000 Enttäuschte: Sie wirft auch grundsätzliche Fragen zum importierten Terrorismus und eine Frage auf: Soll Israel tatsächlich auf Augenhöhe mit Massenmördern verhandeln?
Einer möglichst großen Zahl junger Menschen das Leben auslöschen zu wollen und, als das misslingt, als minimalen Nutzwert wenigstens 190.000, die sich auf etwas gefreut haben, das Herz zu brechen: Das ist derart widerlich, dass ich an mich halten muss, keine von mir verachteten Stereotype zu bemühen.
Maximal den großen, schmerzlich vermissten Freund und Schriftsteller Gerhard Roth kann ich zu Wort kommen lassen. Als sich 2015 der Flüchtlingsstrom in Bewegung setzte und die vereinigten österreichischen Wohlmeinenden in Prozessionen zum Hauptbahnhof aufbrachen, um die Elenden mit je einem Packerl Mannerschnitten und 0,25 Liter „Vöslauer still“ raschestmöglich nach Bayern weiterzujubeln: Da sagte mir Roth, der 1993 wesentlich die Aufmärsche gegen Jörg Haiders Ausländervolksbegehren befeuert hatte, einen Satz, den ich altersbedingter Übellaunigkeit zuschrieb. „Man kann Leute aufnehmen, solange man Platz hat“, gab mir Roth zu verstehen. „Wenn man keinen Platz mehr hat, kann man niemanden aufnehmen, sonst geschieht ein Unglück.“ Ich habe nicht geantwortet und den Satz auch nicht publiziert. Aber den schon: Unsere Kultur ruhe auf drei Säulen, griechisch, jüdisch und christlich. Andere Kulturen seien zu respektieren und zu schützen. Nicht weniger, aber auch um nichts in der Welt mehr.
Aus der Parallelwelt
In weiterer Folge wurden über bald ein Jahrzehnt die nötigen Integrationsmaßnahmen an Parallelgesellschaften und die nicht minder dringlichen Einwände in übelriechende Ecken delegiert. Und jetzt blickt Kickl gut abgesicherten 27 Prozent entgegen.
Jörg Haider erfreute sich übrigens anno 1999 nahezu prozentgleichen Zuspruchs. Nur erreichte damals die SPÖ unter Viktor Klima 33,15 Prozent. Ein desaströser Absturz gegenüber den 38 Prozent des Vorgängers Franz Vranitzky, aber immer noch der Wahlsieg. Und zehn Prozent über allem, was sich heute der unangefochtene Bronzemedailleur Babler erhoffen kann. Wolfgang Schüssel, der Drittplatzierte, eskamotierte 1999 den vom Wahlsieg überforderten Klima aus dem Amt. Aber anders als damals wäre das Schrecknis Schwarz-Blau heute eher europäischer Standard als Anlass allfälliger Sanktionen der Weltgemeinschaft.
Damit lasse ich es zu diesem Thema genug sein bzw. Sie mit dem großen, weisen Gerhard Roth allein.
Aber zu den Anschlagsplänen auf die drei Konzerte der Sängerin Taylor Swift habe ich noch etwas zu bemerken.
Ich weiß nicht, in wie vielen Kommentaren ich zuletzt über die mörderische Attraktivität von Popkonzerten auf Terroristen belehrt wurde. Stets stand da: Paris 2015, 90 Tote; Manchester 2017, 123 Tote; Krasnogorsk 2024, 144 Tote. Und wann immer ich einwandte: „War da nicht noch etwas?“, bekam ich nach kurzem, überraschtem Innehalten ein kleinlautes „Ah ja, natürlich“ zurück. Tatsächlich scheint es, als wäre die Erinnerung an die 1.139 Toten von Re’im ausgelöscht und das Blutbad vom 7. Oktober 2023 unter die Kollateralschäden eines Freiheitskampfs verräumt.
Franz Vranitzky, geboren am 4. Oktober 1937 als Arbeitersohn in Wien, begann seine Karriere als Direktor der Länderbank, wurde von Fred Sinowatz als Finanzminister berufen und folgte ihm 1986 ins Amt des Bundeskanzlers. Er beendete die Koalition mit der FPÖ, bewältigte klug die außenpolitische Waldheim-Krise, war Mitverantwortlicher des EU-Beitritts und zog sich 1997 aus den Spitzenfunktionen zurück.
Augenhöhe mit Mördern?
Netanjahu ist fraglos eine fatale Erscheinung und wird nach einer demokratischen Wahl für vieles zur Rechenschaft gezogen werden. Aber als zivilisierter, demokratischer Staat auf Augenhöhe mit einer Mörderbande zu verhandeln, wie seitens der Weltgemeinschaft unter wachsenden Drohungen gefordert wird, ist viel verlangt. Dass den Schindern damit Gelegenheit einzuräumen sei, sich in einer Kampfpause wieder aufzustellen, würde ich vorsichtig als unerfüllbare Zumutung bezeichnen. Wo doch andererseits von identischer – nämlich pauschal benannt „linker“ – Seite jegliche Verhandlungsbereitschaft mit dem Mörder Putin unter Sanktion gestellt wird. So dringend das uferlose, vielmehr: in eine Weltkatastrophe ausufernde Blut vergießen auch zu unterbinden wäre.
Am 8. Juli 1991 entließ Vranitzky den Nationalrat mit Sätzen historischer Dimension in eine unruhige Sommerpause: „Es gibt eine Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben. Wir bekennen uns zu allen Taten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“
Mein Palästinenserschal
Und heute? Zwar hat das Einverständnis der linken Schickeria mit den Forderungen der Palästinenser Tradition. Ich selbst erinnere mich errötend, wie ich als junger Journalist den eben erworbenen Palästinenserschal unter einer Bank verschwinden ließ, als mich der auch gastro-historisch relevante Kunsthändler Kurt Kalb inmitten eines Heiterkeitsausbruchs auf das Vermummungsverbot in seinem Lokal verwies.
Aber das hätte ich nicht prognostiziert: Ein Fünftel aller jungen männlichen Österreicher – mehrheitlich Lehrlinge oder Berufsschüler mit FP-Präferenz – würde es jüngsten Umfragen zufolge „stören, einen Juden als Nachbarn zu haben“. Das laut Selbsteinschätzung alphabetisierte, teils akademische Segment wiederum macht zusehends mit importierten Endlösungseuphorikern gemeinsame Sache. Diese Giftbrühe konsumieren zu müssen, hatte ich nicht mehr erwartet.
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