Der neue Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann eröffnet mit einer spätsommerlichen Lawine an Premieren. Drei waren bei Redaktionsschluss bestanden, zwei von ihnen sind gut gelungen. Nur der mit Begier erwartete „Hamlet“ zeigt, wohin Feuilletonhörigkeit führt
Die Bestuhlung des Akademietheaters ist neu, der Direktor auch. Was da die bessere Nachricht ist, lässt sich nach drei von fünf Eröffnungspremieren (im Zeitraum von neun Tagen!) noch nicht beantworten. Die Sessel sind jedenfalls deutlich stützapparatfreundlicher, und auch das Künstlerische schlägt vorsichtig zum Besseren aus. Mit der gewichtigen Ausnahme des eröffnenden „Hamlet“ im großen Haus allerdings. Wäre das da Gebotene programmatisch für die Absichten der Direktion, müsste man sich um die nächsten fünf Jahre ernste Sorgen machen. Allerdings lebt die Hoffnung, dass der freundliche Schweizer Stefan Bachmann ganz anderes beabsichtigt hatte.
„Hamlet“ als Zitatensalat
„Hamlet“ als sicherster aller Publikumsbringer mit dem Iffland-Ring-Träger Jens Hazer in der Titelrolle, beides in der Hand der Stückezerschnipselungs-Couturière Karin Henkel: Das sollte wohl den an sich unüberbrückbaren Konflikt zwischen Zuschauerbedürfnis und Feuilletonblasenbedienung minimieren. Hat doch die deutsche Regisseurin schon in Salzburg die Shakespeare’schen Richard-Dramen bis zur Unkenntlichkeit durch die postdramatische Faschiermaschine geschickt; gleichzeitig aber um die Titeldarstellerin Lina Beckmann einen übertriebenen Starkult arrangiert. Das Verfahren nun mit dem tatsächlich großen Schauspieler Harzer zu wiederholen: Das hätte auch ein Publikum interessieren können, das sich mehr für Shakespeare erwärmt als für die Hirnflatulenzen der Dramaturgie und den deutschen Belehrungsklamauk mit hochgezogenen Augenbrauen.
Leider sind von den Absichten nur die Trümmer geblieben: Der Titelheld ist auf fünf Schauspieler verteilt und Harzer nachvollziehbar nach der ersten Leseprobe ausgestiegen. Was bleibt, ist ein welker Salat aus Zitaten mit verteilten Rollen, theatertheoretischen Banalitäten und krawallkomischen Einlagen, beide unglücklich mit der Schauspielerszene des Originals begründet.
Den stärksten Eindruck hinterlässt Katharina Lorenz als weitaus wahrnehmbarster Hamlet, gefolgt von Michael Maertens, der als Schurkenkönig Claudius allerdings auf den Brillanzkasper zurückgeworfen wird, der er längst nicht mehr ist. Die drei Neuzugänge präsentieren sich teils unauffällig (Alexander Angeletta), teils überambitioniert (Benny Claessens), teils penetrant (Kate Strong). Die Nominierung zum Berliner Theatertreffen scheint dem Malheur jedenfalls sicher, was realiter auf den größten anzunehmenden Unglücksfall verweist.
„Holtrop“, der Hochstapler
Schon am übernächsten Abend entspannten sich die Ereignisse im großen Haus: Direktor Stefan Bachmann hat seine sehr erfolgreiche Dramatisierung des Schlüsselromans „Johann Holtrop“ vom Dienstort Köln nach Wien transferiert. Und das zum idealen Zeitpunkt, denn man hätte meinen können, einem literarisch avancierten Kommentar zur Causa Benko beizuwohnen. Der von Rainald Goetz grausam porträtierte deutsche Manager Thomas Middelhoff war, was Benko gern gewesen wäre – nämlich Zeitungszar, diesfalls bei Bertelsmann –, und anschließend, was Benko tatsächlich war: nämlich Kaufhausjongleur, sogar mit dem Verhängnisschwerpunkt Karstadt! Nur stürzte Middelhoff schon 2009 mit Gefängnisfolge in den Abgrund aus Gier und Größenwahn, die seinesgleichen offenbar genetisch eingeschrieben sind.
Bachmann hat eine erprobt gute Hand für zeitgenössische Texte und ihre griffige Umsetzung. Also hat er den virtuosen, offen gehässigen, hoch rhythmischen Prosatext mit Hilfe eines Kammermusik-Ensembles durchkomponiert und -choreografiert. Auf der Bühne wüten, teils chorisch, Kapitalistenfratzen im Brecht’schen Sinn. Doch vergönnt Bachmann dem fabelhaften Ensemble – ausschließlich weiblich, ausschließlich neu engagiert – auch menschliche Momente. Um die Titelheldin Melanie Kretschmann tobt ein erlebenswerter Höllentanz aus Wort- und Schauspielkunst. Insbesondere auf Ines Marie Westernströer wird zu achten sein. Schon zum Kennenlernen soll man die Aufführung nicht versäumen.
... und sieben „Orlandos“
Um nun endlich ins erneuerte Gestühl des Akademietheaters zurückzukehren: Wie im Unglücks-„Hamlet“ wurde zum Einstand auch hier ein Titelheld vervielfacht. Zudem ist die Ertragbarkeit psychedelisch-diversitätspolitischen Theatergeheimniswaberns stark von der Umsetzung abhängig. Doch die gelingt diesfalls auf das Erfreulichste.
Virginia Woolfs Roman „Orlando“ (1928) war ein Wegweiser der Avantgarde: Der titelgebende elisabethanische Dandy erwacht eines Tages als Frau und trägt dann im Stand der Unsterblichkeit vier Jahrhunderte eines sich wandelnden Rollenbildes auf den Schultern. Olga Neuwirths Uraufführung in der Oper hat gezeigt, auf welche Höhe eine faszinierende Protagonistin (Kate Lindsey) diese Gestalt spielen kann.
Die schwedische Regisseurin Therese Willstedt wählt den anderen Weg, und was kann einem Haus Besseres attestiert werden als ein Ensemble aus lauter Protagonisten? Die sieben Mitwirkenden überzeugen auf leerer Bühne mit bisweilen ekstatischer Hingabe und technischem Können, dafür ohne Gesichtsmikrofone und Klamauk. Durch Maske und Kostüm zunächst fast anonymisiert, wechseln sie schwerelos Identität und Geschlecht. Nina Siewert, Stefanie Dvorak, Martin Schwab, Elisabeth Augustin, Itay Tiran, Markus Meyer und Seán McDonagh werden gefeiert, wie sie es sich erspielt haben.
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