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Spitzentöne: Heinz Sichrovskys Freundschaft mit Peter Turrini

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Heinz Sichrovsky

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Was die kunstaffine Hautevolée, zwei Nobelpreisträger inbegriffen, zum 80. Geburtstag Peter Turrinis beizutragen hat, lesen Sie an anderer Stelle dieser Ausgabe. Die nicht zu vermeidenden Ausführungen nach bald fünf Jahrzehnten Freundschaft folgen hier

Lieber Peter,

das Zollfreigebiet zwischen Beruf und Freundschaft ist in diesen Zeiten dichter vermint als noch vor wenigen Jahren. Gleich bemüht einer im obwaltenden Korrektheits-Pidgin die „Compliance“. Kann man denn jemandem aus ganzem Herzen zugetan sein und doch einen kühlen Blick auf sein Werk werfen? Kann man in der Tat nicht, weil der kühle Blick auf ein Kunstwerk gar nicht möglich ist. Es kann einen begeistern, ärgern, langweilen. Aber all das sind Emotionen, ohne die unsereins nicht Kritiker sein wollte. Dir aus ganzem Herzen zugetan, gratuliere ich Dir also zum herausfordernden Wiegenfest, ohne je einen kühlen Blick auf Dein Werk geworfen zu haben.

Dass manche meiner Kollegen dem obgenannten Dilemma verständnislos gegenüberstehen, hat mit dem veränderten Herangehen zu tun. Ein Kritiker, und wäre es der reaktionärste, dickfelligste, einfältigste, hat sich früher immer als Enklavenbewohner empfunden, als etwas Besonderes, Exterritoriales. Wenn die Kollegen von der Politik den Burgtheaterdirektor Peymann oder die Dramatiker Bernhard, Jelinek und Turrini als Proponenten eines bolschewistischen Putschversuchs namhaft gemacht hatten, konnten wir in unserem Narrenturm Euer Werk sogar euphorisch rezensieren.

Folgerichtig waren viele – gib es zu: Du auch – enttäuscht, als sie sich anno 1995 auf dem FPÖ-Plakat „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk oder Kunst und Kultur“ NICHT wiederfanden. Jelinek und Peymann: klar. Den Kunstminister Scholten konnte man auf der Liste noch mit antisemitischen und die Kulturstadträtin Pasterk mit antifeministischen Reflexen legitimieren. Aber der am Habitus des Fiakerkutschers maßnehmende Bürgermeister Häupl ja, und Turrini nein?

Reichsschrifttum

Heute braucht es nicht zwingend eine Reichsschrifttumskammer, um einen Kulturschaffenden zu drangsalieren. Man kann sich die dafür anwendbare Ideologie sogar aussuchen. Kunstwerke und ihre Qualität sind auch dann das Letzte, was eines Blicks gewürdigt wird, wenn Handke im Jugoslawienkrieg nicht die Position der NATO vertreten, Helnwein vor 40 Jahren der Scientology angehört oder Föttinger während der Proben gebrüllt hat. Ein Dutzend anonymer Denunzianten genügt, um ein Werk in seiner Größe zu beschädigen. Mittlerweile haben sie auch schon Goethe, Dostojewski und Gauguin im Visier, und die Spießgesellen aus unserer Branche finden sich (die Silberlinge werden in der Kryptowährung Klick ausbezahlt).

Wozu dieses Platz fressende Manifest als überlanges Präludium eines Geburtstagsgrußes? Weil es dessen integraler Bestandteil ist. Auch aus Rücksicht auf Dein Befinden hast Du Dich dem Mediensturm zum Geburtstag ohne Ausnahme verweigert. Aber als man Deinen Freund Herbert Föttinger aus dem anonymen Sudeltopf zu bewerfen begann, warst Du mit einer strafenden Philippika hochliterarischen Formats zur Stelle.

In aller Radikalität des gesellschaftlichen Befundes bist Du der menschlichste aller Dramatiker

Der Menschlichste von allen

Und selbst diese Fußnote in Deiner reichen Biografie steht für das große Ganze: für die herzliche, obsorgende Solidarität, die Dein literarisches Alleinstellungsmerkmal ist. In aller Radikalität des gesellschaftlichen Befundes, mit der Du die Sumperpopulation zur Weißglut gebracht hast, bist Du der menschlichste aller Dramatiker. Ich denke gerade nach, von wem man das noch behaupten dürfte – Horvath? O’Neill? – und finde keinen, der Mitgefühl sogar mit den Tätern einfordert.

Diese Art Menschlichkeit sei der Nährboden Deines Schaffens, rühmt auf Seite 66 Kardinal Schönborn. Das erinnert mich an manches. Dass ich zum Beispiel 1976, bald nach Beginn unserer Freundschaft, aus der Kirche ausgetreten bin, weil sie in Kumpanei mit dem Bauernbund gegen Deine „Alpensaga“, dieses Leuchtturmwerk der Fernsehgeschichte, kampagnisiert hat. Die Hölle des Dorfes zu beschreiben, war damals – man denke an Innerhofer und Wolfgruber – literarischer Standard. Aber Du hast einen veruntreuten Himmel beschrieben und ihn mit Menschen bevölkert, die voller Liebe waren und die man lieben musste.

Unter Gottsuchern

Oder als Dich später Claus Peymann mit Glanz zum Theater rücküberredet hat. Da hast Du „Tod und Teufel“ geschrieben, die Geschichte eines zweifelnden Priesters, der sich im Stand der Todsünde am eigenen Kleiderschrank kreuzigt. Was mir da brieflich und telefonisch von Wachslichter verzehrenden Seniorinnen unterbreitet wurde, war nichts gegen die Flut des Protests, die dem gerade zu Höherem aufbrechenden Theologen Christoph Schönborn entgegenstürzte: Er hatte Dich mehrmals zum Schreiben im Retzer Dominikanerkloster beherbergt, ihr wurdet Freunde, und Schönborn hat gehalten, als es stürmisch wurde. Vielleicht, weil Du seine eigenen Zweifel, die Zweifel eines Gottsuchers, ins Metaphysische übertragen hattest?

Schreiben, hast Du mir kürzlich gesagt, sei Dein Halt, über alle Hinfälligkeiten hinweg. Seit dem bis heute anhaltenden Welterfolg Deiner „Rozznjogd“ hat Dich nichts anderes getrieben, zum Teil durch lebensbedrohliche psychische Krisen, denen die Literaturgeschichte zwei atemberaubende Gedichtbände verdankt. Wenn ich mich nicht in Deinem Universum verflogen habe, schreibst Du für die „Josefstadt“ gerade Dein 38. Stück. Von den 27, die ich kritisiert habe, ist jedes dafürgestanden, so oder so. Manchmal warst Du mir nachher böse. Aber das hat sich jedes Mal gefunden, weil der Blick nie kalt war.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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