Und schon wird es wieder Zeit, sich dem Neujahrskonzert zuzuwenden. Weshalb so früh? Weil die Philharmoniker, die unter dem Welt-Maestro Riccardo Muti antreten, auf jahreslanges Drängen den Walzer einer Komponistin ins Programm rücken. Ich wüsste Alternativen
Auf diesen Tag warte ich, seit ich den Violin- vom Kellerschlüssel unterscheiden gelernt habe: Die Philharmoniker bringen beim kommenden Neujahrskonzert endlich das Werk einer Komponistin zu Gehör! Nicht, dass Sie glauben, die Dame habe einfach Note vor Note gesetzt. Mitnichten! Constanze Therese Adelheit Geiger (1835-90), später Constanze Geiger von Ruttenstein, war jemand: nämlich Gattin des Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg und Gotha!
Ihr Schaffen ist in bescheidenem Umfang sogar überprüfbar. Zwar nicht der unter Riccardo Muti zur Aufführung gelangende „Ferdinanduswalzer“. Aber doch der „Kaiser-Einzugs-Marsch“ sowie der Walzer „Frühlingsträume“ (nicht zu verwechseln mit dem doch geglückteren „Frühlingsstimmenwalzer“ von Strauß jun.): Sie waren schon Filetstücke des „Neujahrskonzerts der Komponistinnen“ in den Wiener Ehrbarsälen und haben dort unter Beihilfe u. a. der Kolleginnen Leopoldine Blahetka und Josefine Weinlich-Amman den alten, weißen Umsatzmafiosi aus dem Strauß-Syndikat vorgehüpft, wie man Noten mit Köpfen macht.
Weg mit den Raritäten!
Nun will ich mich hier nicht in wohlfeiler Häme ergehen: Was ich von der spätberufenen philharmonischen Debütantin kenne, ist um keine punktierte Achtelnote schlechter als z. B. das Gesamtwerk des jüngsten Strauß-Bruders Eduard, der es als Trittbrett-
unsterblicher in jedes Neujahrskonzert schafft. Ich bekenne sogar, dass ich schon lang nicht mehr eine der Versunkenheit entrissene Polka mazur von einer ebensolchen Polka schnell unterscheiden kann. Gleich, ob vom genialen Josef, vom großen Johann oder vom Inspirationsnachzügler Eduard.
(Notabene, ehe Sie mir mit jüngeren Erkenntnissen der Musikforschung zu Leibe rücken: Ich bleibe bei der tradierten Schreibung mit „ß“, sie hat sich zwecks Unterscheidung vom göttlichen Richard bewährt. Und die einheitliche Rechtschreibung datiert erst aus dem Jahr 1901, weshalb ich z. B. in einem historischen Freimaurerverzeichnis einen Bruder Mozard angeführt fand.)
Um nun zum Wesentlichen zurückzukehren: Das Neujahrskonzert hat meiner Wahrnehmung zufolge enorm verloren, seit Forscherehrgeiz die Beteiligten dazu verleitet, statt der Pretiosen des Repertoires Raritäten aufzutun. Die unerbittlichen Gesetze der Musik bringen es nun einmal mit sich, dass sich unter den 477 Walzern von Strauß jun. der „Kaiserwalzer“ besser gehalten hat als der „Lieb Gretelein“- oder gar der auch klimatechnisch verwerfliche „Motoren“-Walzer. Ich stehe sogar dazu, das #Metoo-Ärgernis „Wein, Weib und Gesang“ dem unverdächtigen „Luisen Sympathie Klänge“-Walzer bei Weitem vorzuziehen.
Offenbach, Lehar, Fall!
Weshalb es also einmal im Jahr redundant sein soll, das große, unsterbliche Repertoire der Strauß-Familie zu spielen: Das erschließt sich mir so wenig wie der Vorwurf, ständig „Figaro“ und „Don Giovanni“, aber so gut wie nie „Die Gans von Kairo“ ins Opernrepertoire zu rücken. Auch würde ich ungern auf die „Winterreise“ verzichten, obwohl noch weitere 600 Lieder von Schubert, unter ihnen sicher 300 rechtens nie gesungene, der Hebung harren.
Aber etwas anderes kann ich mir gut vorstellen: Die auch in Wien und Mörbisch schändlich zurückgefahrene Operette ist eine wahre Himmelsmacht an Schönheit, Poesie, Beschwingtheit und Melancholie. Offenbach (dem Größten von allen) erweist man in jüngerer Zeit wieder die Ehre. Er gehört in jedes Neujahrskonzert. Aber Wien kann mit Ziehrer, Suppè und Millöcker dagegenhalten. Und wer die silberne Ära verachtet, möge sich vergegenwärtigen, dass Lehar der vielleicht einzige Operettenkomponist war, der augenhoch neben Offenbach besteht (Strauß eingeschlossen). Und mein Wort drauf, dass man bei Zeller, Heuberger, Oscar Straus, Fall, Eysler und Kálmán ausreichend Repertoire finden wird, um jeden der Freifrau Geiger von Ruttenstein, verehel. Sachsen-Coburg und Gotha, entkommenen Ton zurück in die Vergessenheit zu verblasen.
Gerechte Musik per KI
Ansonsten nämlich gehen wir einen unerfreulichen Weg. Musizierende Würdenträger (denken wir an Friedrich den Großen) sind mir verdächtig. Und wenn schon Wolfgang Sobotka infolge Alter, Geschlecht und Hautfarbe ausscheidet, wer garantiert uns, dass nicht Eva Blimlinger nach Konsum eines Schnellkurses an einem der nächsten 1. Jänner den Stab ergreift? Das ist die Dame von den Grünen, die ständig gegen den „Radetzkymarsch“ und für Frauenquoten an den Pulten lobbyiert.
Es wird dann wirklich gefährlich: Wenn über Jahrhunderte Frauen nicht ans Pult durften, wird man die über Nacht aus dem Boden schießenden weiblichen Genies eben vergebens suchen. Die Dame, die den großen Dirigenten Teodor Currentzis aus dem Programm der Wiener Festwochen interveniert hat, weil er ihr politisch nicht in den Kram passt, soll ein warnendes Beispiel sein: Ukrainisch und weiblich passt schon, nun müssten nur noch per KI die Komponenten „nonbinär“ und „bodypositiv“ eingebracht werden. Mit dieser Software könnte auch schon der geschlechtsneutrale dreiarmige Dirigier-Roboter übernehmen, der kürzlich in Dresden debütiert hat (dass zuvor schon die Philharmoniker entsprechend umzurüsten sind, brauche ich nicht hinzuzufügen).
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