Die konkurrenzlos ausgelastete, künstlerisch tadellose „Josefstadt“ soll in der Gestalt ihres erfolgreichen Direktors Herbert Föttinger destabilisiert werden. Peter Turrini und das angeblich angstgepeinigte Ensemble halten dagegen
Was, würden Sie sagen, ist die erste, die womöglich zentrale Aufgabe eines Kulturpolitikers? Wenn, zum Beispiel, ein Kulturschaffender beliebiger Relevanz und Prominenz mit anonymen Anschuldigungen drangsaliert wird? Der Kulturpolitiker wird dann unter Einsatz seiner Autorität die Vorlage belastbarer Beweise oder das unverzügliche Ende des Treibens einfordern. Keinesfalls hingegen wird er der löchrig unterfütterten Kampagne mit dem Amtsstempel hinterhereilen, indem er, Subventionsentzug androhend, folgendes verlautbart: „Es ist für mich unerträglich, wenn inkorrektes oder gar missbräuchliches Verhalten mit der Freiheit der Kunst gerechtfertigt wird. Das muss aufhören.“
Das Zitat entnehme ich dem „Kurier“, und sein Copyright hält Kunst-Staatssekretärin Andrea Mayer von den Grünen. Adressat ist in seinem achtzehnten und vorletzten Amtsjahr der „Josefstadt“-Direktor Herbert Föttinger. An dem Zitat ist prinzipiell nichts auszusetzen, niemandem ist das Recht auf Missbrauch einzuräumen. Man kann aber auch den Missbrauchsbegriff missbrauchen, indem man ihn auf Sachverhalte anwendet, die mit ihm auch dann nichts zu tun hätten, wenn sie nicht aus der Anonymität eingesetzt würden.
Er hat gebrüllt!
Welche Art Missbrauchshandlung soll da seitens des Direktors gesetzt worden sein? Das tölpelhafte #Metoo-Vergehen eines Kleindarstellers kann es nicht sein. Es wurde vor fünf Jahren unter allseitigen Qualen beigelegt, und von einem vergleichbaren Fall ist nichts bekannt. Was also soll der Direktor begangen haben? Er erzeuge „eine permanente Angststimmung“, las man im „Standard“, wo sonst. Wie das? Gebrüllt habe er, gar beim Regieführen darauf bestanden, dass seinen Anweisungen Folge geleistet werde! Das beglaubigen (Lena Schilling kennt das Verfahren) aus dem Hinterhalt der Anonymität zwölf von 380 Mitgliedern des Hauses. Sie haben vermutlich auch die Hand gehoben, als sich das komplette künstlerische Personal – Schauspieler, szenischer Dienst und Dramaturgie – mit einer öffentlichen Erklärung hinter den Direktor stellte. Das sei nicht anders zu erwarten gewesen, meinen Sie? Ich bin da nicht so sicher: Als es für den Burgdirektor Kusej ans Bleiben oder Abschiednehmen ging, hat sich für ihn keine ihm anvertraute Hand gerührt.
Nun könnte ich grundsätzlich werden: Ein Direktor, der bei Bedarf nicht brüllt — und zwar vor Schmerz, wenn er das Beste vom Besten nicht erzielt hat –, ist für den Beruf so verloren wie ein Regisseur, der sein Konzept im Sesselkreis zur Diskussion stellt.
Turrinis Brief
Aber darüber kann man streiten. Lassen wir also lieber dem großen Dramatiker Peter Turrini das Wort. Er wurde bei der Entwicklung mehrerer Uraufführungen selbst Adressat direktoraler Trompetensoli. Er wendet aber auch ein, in seinen Berufsjahrzehnten an den Bühnen Europas keinem Intendanten begegnet zu sein, der sich mit ähnlicher, bis an die Selbstbeschädigung reichender Vehemenz hinter sein Personal gestellt habe. Und in der Tat. Wie Föttinger in der Pandemie gegen alle Drohungen den Probenbetrieb aufrechterhalten hat, weil die Letzten in der Hierarchie unter den Bedingungen der Kurzarbeit nicht hätten überleben können: Das und seine cholerischen Ausbrüche gegen die stumpfsinnigen Theaterschließungen hat die unfähige Staatssekretärin Lunacek aus dem Amt geweht. Seither ist man ihm regierungsseitig nicht grün.
Was nun das vorgeblich angststarre Personal betrifft, so durfte es zu einem wahrnehmbaren Prozentsatz die Benefizien politisch korrekter Amtsgebarung verkosten. In weitem Umkreis nämlich werden Sie keine Bühne finden, die sich an Wokeness mit dem Volkstheater vergleichen könnte. Jeder Wegweiser zum Abort ist gegendert, und zum Einstand ließ Direktor Kay Voges wissen, ohne respektvolles, augenhohes Miteinander aller Beteiligten würde er ein Theater gar nicht erst betreten. Dann hat er bis auf drei das gesamte Ensemble respektvoll gegen die Hautevolée von Dortmund ausgetauscht. Und wissen Sie, wer diese Könner mit künstlerischem Gewinn vor dem Prekariat bewahrt hat? Föttinger war es, der deshalb das einzig authentische österreichische Ensemble des Landes beschäftigt.
Theater in Bestverfassung
Womit wir endlich beim Künstlerischen sind. Die Auslastung der „Josefstadt“ ist konkurrenzlos, weil ihr Menschen zuströmen, die authentische, mitreißend erzählte Geschichten statt des postdramatischen Schwafeltheaters sehen wollen. Dennoch führt Föttinger das aktivste Uraufführungstheater des Landes. Turrini hat dort seine Heimat gefunden, und wer sein nunmehriges Eintreten als Gegenleistung missversteht, verkennt die Kausalität: Das theaterhistorische Privileg einer Turrini-Uraufführung ist ausnahmslos auf Seiten des Hauses, dem sich auch Tom Stoppard und Daniel Kehlmann anvertrauen und in dem die junge österreichische Elite, Thomas Arzt und Lisa Wentz, gut aufgehoben ist.
Die Staatssekretärin wird deshalb energisch ersucht, dem Direktor Föttinger etwas von der Emphase angedeihen zu lassen, mit der sie zuletzt ihre Entdeckung Fatima Hellberg gegen schwere Bedenken meiner Kollegen in Schutz genommen hat. Wer das ist? Die designierte Direktorin des Wiener Mumok, deren bis dato wahrgenommenste Qualifikationsbekundung die Unterzeichnung eines antisemitischen Pamphlets mit dem Titel „Befreiung der Palästinenser“ war.
Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at
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