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Spitzentöne: Dem Nestroy-Preis droht der Abstieg zur konfusen Klientelbedienung

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©APA/GEORG HOCHMUTH
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Und wieder der leidige Nestroy-Preis. Zu seinem 25. Wiegenfest durfte ich auch via ORF an die Anfänge erinnern. Ich war Gründungsjuror, als Luc Bondy, Gert Voss und Birgit Doll ausgezeichnet wurden. Heuer kenne ich trotz intensiver Kritikertätigkeit nicht mehr alle Preisträger. Liegt das nur an mir?

Wieder eingeladen gewesen (wieder herzlich, wieder persönlich), wieder nicht hingegangen. Und doch war ein Unterschied zu den vergangenen 21 Malen, zu denen ich auch nicht gegangen bin: Ich habe es diesmal wenigstens bis vor die Tür des Volkstheaters geschafft, an den Treppenabsatz rechts vom roten Teppich. Anlass war der 25. Geburtstag des Nestroy-Preises, zu dem der übertragende Sender ORF III eine sentimentale Laudatio von maximal zwei Minuten zehn erbeten hatte.

Ich habe daheim dann in die Übertragung geblickt. Und nichts hatte sich am Vierteljahrhundertparadoxon geändert: Das gute Drehbuch von Nils Strunk wurde tadellos vertont, und doch blieb die Anmutung neureicher Stillosigkeit, die mich stets an eine Oscar-Parodie des Villacher Faschings erinnert hat.

Das hat mit dem Preis selbst zu tun, den der sonst weltläufige Wiener Kulturstadtrat Peter Marboe anno 2000 an die Stelle der Kainz-Medaille verordnet hatte. Um dieses geschichtsumschauerte Requisit ist mir bis heute leid: 1958 begründet, wurde es Hans Moser, Attila Hörbiger, Ernst Deutsch sowie Seniorenheimen voller josefstädtischer Fürstenimitatorinnen ausgehändigt und hatte sich zuletzt wacker zur gemäßigten Neuzeit in den Gestalten von Anne Bennent und Kirsten Dene vorgekämpft.

Da arbeitete sich eine Gschaftlhuberpartie ans Ohr des Stadtrats: Das Theater benötige ein Spektakel, das sich vor der Oscar-Nacht nicht zu verbergen brauche! Das Resultat hat es, wie oben ausgeführt, nicht einmal bis zum Donauentlastungsgerinne, eher an die Drau geschafft.

„Ein Theaterpreis hat nicht die Aufgabe, kulturpolitische Fehlentscheidungen schönzuklatschen“

Die Zeit der Giganten

Was konnte ich nun in den zwei Minuten zehn beitragen? Ich konnte mich als Gründungsjuror des Jahres 2000 zu erkennen geben und dabei an die unerreichte erste Laureatenrunde erinnern. Aufführung des Jahres war Tschechows „Möwe“ am Akademietheater, inszeniert von Luc Bondy, dem Regisseur des Jahres, mit Gert Voss, dem Schauspieler des Jahres, nichts anderes wäre vorstellbar gewesen. Aber welche Überraschung: Die Nestroy-Akademie, formiert u. a. aus allen noch lebenden Kainz-Medaillen-Trägern, hatte aus unseren Dreiervorschlägen die Wunderschauspielerin Birgit Doll als beste Hauptdarstellerin gewählt, für eine Glanzleistung an Emmy Werners Volkstheater. Die Pointe ist so finster, wie sie nur sein kann: Alle damals Geehrten sind verstorben, auch meine Herzensfreundin Birgit, der ich in der Schülerzeitung des Wasagymnasiums unser beider erste Kritik geschrieben habe. Sie ist lang vor der Zeit nach endloser Selbstzerstörung gegangen.

Zeit des Chaos

Jetzt zur Gegenwart, und was für ein Chaos da herrscht! Ein Wiener Theaterpreis sollte der Nestroy sein, und das Beste der vergangenen Saison sollte ausgezeichnet werden.

Offenbar wurden jetzt die Bundesländer einbezogen, denen hier nichts missgönnt werden soll. Aber dass sich das gesamte außerbundeshauptstädtische Qualitätsgeschehen auf Graz konzentrieren soll, mag ich nicht glauben. Zumal ich Preiswürdiges z. B. in Reichenau, St. Pölten und Telfs begutachten konnte. Die Chaos-Kategorie „Bester Nachwuchs (Autor*in, Kostüm, Regie)“ wiederum dürfte sich einer feuchtfröhlichen Jury-Sitzung verdanken.

Und diese Jury! (Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich habe mich nach der Gründungsperiode verabschiedet und alle Wiedereinladungen ausgeschlagen, weil ich das Übermaß des zu Beurteilenden niemals wahrnehmen könnte). Fraglos amtieren jetzt schätzenswerte Kollegen. Aber die Jury scheint, es ist auch anderen aufgefallen, arg selektiv besetzt. Nämlich nach den Präferenzen der Kulturstadträtin, die mit ihren Personalentscheidungen das verendende „postdramatische Theater“ an den Schläuchen der städtischen Kulturverwaltung notstabilisiert hat.

Das Volkstheater zum Beispiel wurde unter Direktor Kay Voges praktisch leergespielt. Aber wie schon in den Vorjahren wurde auch heuer jede dort bespielte Sanitäranlage nominierungstechnisch genutzt. Ein Theaterpreis hat aber, pardon, nicht die Aufgabe, kulturpolitische Fehlentscheidungen mit Musikbegleitung schönzuklatschen.

Hermetische Entscheidungen

Die Darbietungen der Prämiierten habe ich vielfach nicht gesehen: Es scheint, als habe sich die Akademie unter den Nominierten für die jeweils entlegenste Option entschieden. Klar, stimmberechtigt sind alle jemals Nominierten, womit sich die Resultate jährlich weiter in die postdramatische Blase verlagern.

Was auffällt, ist die Benachteiligung der „Josefstadt“. „Leben und sterben in Wien“, eine Uraufführung des Österreichers Thomas Arzt, wäre meine Aufführung des Jahres gewesen, hätte zudem den Regiepreis und ein paar Schauspielerpreise verdient. Sie wurde bloß minimal erwähnt – klar, Regisseur Föttinger soll ja während der Proben gebrüllt haben! Folgerichtig hat auch den Preis für die beste Off-Produktion ein „Institut für Medien, Politik und Theater“ (in dieser Reihenfolge) abgefangen. Die geehrte Produktion hat sich u. a. der Geißelung angstbelasteter Probenbedingungen verschrieben. Das war offenbar preiswürdiger als die nominierte pfiffige Adaption von Barbi Markovićs Geniewerk „Minihorror“.

Und auch die Einladung des prämiierten ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó zu den Festwochen war eher die schätzenswerte Solidaritätskundgebung für ein Orbán-Opfer als künstlerisch zwingend.

Volle Kraft zurück also. Es muss ja nicht gleich bis 2000 sein.

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