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Spitzentöne: Bilanz der Salzburger Festspiele

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Heinz Sichrovsky

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Meine so traditionelle wie beliebte Bilanz der Salzburger Festspiele: Das Opernprogramm düpierte mit großteils berauschenden Resultaten die Salondirndl-VIPs, ein „Idiot“ wuchs in den Himmel, „Jedermann“ gelang, Aischylos und Offenbach dankten ab.

Der dehydrierte Gert Voss hat mir, kaum dass im vierten Jahr die letzte Reprise bestanden war, noch in der Wüstenglut des Domplatzes ein wegweisendes Wort zugeraunt: „Es gibt nur eines, was schlimmer ist, als den Jedermann zu spielen, nämlich den Jedermann nicht zu spielen.“ Genauso wie mit dem von der Kritik seit 104 Jahren verachteten, aber an monetarisierbarem Ruhm kaum zu übertreffenden Titelprasser verhält es sich mit den Ranglisten: Ihr Ruf ist so miserabel wie ihre Anziehung unbestreitbar. Jeder ernste Kunstfreund wedelt sie als wespenhafte Belästigung von sich, aber die Begünstigten verzehren sich nach ihnen, und die Leser diskutieren gern darüber.

Sehen Sie mir also, wenn es Ihnen nicht zu dumm ist, beim jährlichen Tabellendrechseln zu: Es folgt die Bilanz der sich verabschiedenden Salzburger Festspiele 2024 (für Einflüsterungen aus dem Konzertbereich danke ich Kollegin Zobl).

Jenseits aller Einwände hat mich das Konzept beeindruckt: zuerst die Kunst, die Zufriedenstellung der Salondirndln auf Haxen ganz zum Schluss, ich komme bei den Stichworten „Capriccio“ und „Don Giovanni“ darauf. Und ein leuchtendes, triumphales Bekenntnis zur Herrlichkeit der russischen Kultur mit den Dostojewski-Opern „Der Idiot“ und „Der Spieler“ und dem Dirigenten Teodor Currentzis. Im Detail bedeutet das Folgendes:

Die besten Opernproduktionen

1. „Der Idiot“ von Mieczyslaw Weinberg. Titelphilanthrop Bogdan Volkov erreichte dank Anleitung durch Krzysztof Warlikowski inmitten einer erstklassigen Besetzung Denkwürdigkeitsstatus. Die Philharmoniker unter Mirga Grazinyte-Tyla ließen nichts anbrennen. Großes Musiktheater, das in der Seele haftet.

2. Salondirndl-VIPs litten zu Höchst[1]preisen auf der Folterbank: „Capriccio“ von Richard Strauss, konzertant zum Festspielbeginn! Christian Thielemann hatte für eine szenische Produktion des musikphilosophischen Solitärs keine Zeit. Aber was er mit den Philharmonikern und einer fast makellosen Besetzung gezaubert hat, käme auch als Inszenierung des Jahres infrage.

3. Und wieder nichts Belastbares für das Pausentelefon: Mozarts „Don Giovanni“ war eine Wiederaufnahme des grenzsurrealen Nachtstücks von Romeo Castellucci aus dem Jahr 2021, sehr gut besetzt, mit dem Ereignis Teodor Currentzis am Pult des Utopia Orchestra.

Die besten Sänger

1. Bogdan Volkov sang und spielte sich als Weinbergs „Idiot“ selbstentäußernd an die Weltspitze des lyrisch-dramatischen Fachs (lesenswert: sein Porträt in dieser News-Ausgabe).

2. Benjamin Bernheim sang die Katastrophenproduktion „Hoffmanns Erzählungen“ in den tenoralen Himmel.

3. Matthias Goerne und Intendant Hinterhäuser am Klavier gestalteten einen finsteren, großartigen Mahler-Schostakowitsch-Liederabend

Die besten Sängerinnen

1. Federica Lombardi im Besitz der Makellosigkeit als Donna Elvira („Don Giovanni“).

2. Violeta Urmana, olympische Veteranin im Mezzo-Fach, als stimmmächtige Großmutter in Prokofjews Dostojewski[1]Oper „Der Spieler“.

3. Ex aequo Asmik Grigorian, charismatisch und uneitel im „Spieler“, fein geführt von Peter Sellars und Timur Zangiev. Und Elsa Dreisig, die himmelsschön singende Gräfin in „Capriccio“.

Die besten Dirigenten

1. Christian Thielemann, „Capriccio“: der größte Strauss-Dirigent unserer Zeit am Pult des größten Strauss-Orchesters aller Zeiten, der Wr. Philharmoniker. Wer braucht da einen Regisseur?

2. Riccardo Muti mit den Philharmonikern und seiner ersten Bruckner-Achten: Klarheit, Weisheit, Entrückung.

3. Teodor Currentzis, als Putin-Kumpan angewässert, eröffnete unter Ovationen mit der „Matthäuspassion“ und löste via „Don Giovanni“ wieder wie von Zauberhand das lange Mozart-Dilemma nach Harnoncourts Tod.

Die besten Schauspieler

1. Philipp Hochmair erklomm zum Finale von Robert Carsens gelungenem „Jedermann“ rollenhistorische Wahrheitswerte.

2. Erwin Steinhauer brachte mit einer fabulösen Lesung „die Letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus in allen Farben der Niedertracht und Entmenschung zum Funkeln.

3. Dörte Lyssewski, berückend als armer Nachbar und Werke im neuen „Jedermann“, der das übertreffliche Schauspielprogramm insgesamt überragt hat.

Die größten Ärgernisse

1. Die „Orestie“ von Aischylos, Sophokles und Euripides, von Nicolas Stemann im tepperlhaften Zwangsfrohsinn der frühen Zweitausenderjahre versenkt. Es gibt keine Worte, wie uralt das ist und wie man es nie mehr sehen will.

2. „Hoffmanns Erzählungen“, von Mariame Clément mit ruinösen Konsequenzen ins Filmstudio verlegt. Merke: Ungeachtet grassierender Präferenzen ist es kein Fortschritt, eine zweitklassige Frau statt eines zweitklassigen Mannes ans Regiepult zu lassen. Gefragt wäre vielmehr die erstklassige Andrea Breth.

3. Nochmals „Hoffmanns Erzählungen“, von den Philharmonikern und Marc Minkowski mit bedrohlichen Wackelattacken todesfad gegeneinander musiziert.

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