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Die Tricks, mit denen Sozialbetrüger vorgehen

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Geld betrug
©Bild: iStockphoto
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Scheinfirmen werden immer öfter für illegale Aktivitäten genutzt - zuletzt in der Affäre um Hygiene Austria. Der Chef der Finanzpolizei, Wilfried Lehner, über die Tricks, mit denen Sozialbetrüger vorgehen.

Die Finanzpolizei ist mit der Affäre um den umstrittenen Maskenproduzenten Hygiene Austria, bei der es um den Vorwurf der organisierten Schwarzarbeit und des schweren vorsätzlichen Betrugs geht, wieder einmal in den Fokus gerückt. Sie waren dort unterstützend bei einer Razzia dabei.
Zum laufenden Verfahren darf ich aus ermittlungstechnischen Gründen nichts sagen, aber was ich sagen kann, ist, dass wir seit Jahren damit beschäftigt sind, Scheinunternehmen zu identifizieren. Die bescheidmäßig festgestellten Scheinfirmen finden sich dann auf der Homepage des Finanzministeriums. Derzeit sind dort 441 Firmen verzeichnet. Die Liste soll auch ganz bewusst als Warnung dienen, damit sich potenzielle Kunden nicht mit solchen Firmen einlassen Es kommen ja immer wieder neue nach, nämlich rund 100 pro Jahr. Das ist eine erschreckend hohe Anzahl.

Aus welchen Branchen kommen die vor allem?
Die meisten kommen aus dem Bereich Arbeitskräfteüberlassung, landläufig als Leiharbeit bezeichnet. Zum Teil tarnen sie sich auch als Baufirmen und erbringen pro forma auch Bauleistungen. Aber eigentlich stellen sie nur Personal zur Verfügung, das auch tatsächlich auf Baustellen arbeitet - unter der Ägide von anderen Unternehmen, die sozusagen nur auf die Arbeitsleistung zugreifen. Solche sogenannten Baufirmen sind dann auch leicht in den Bilanzen zu erkennen, weil die überhaupt keine Anlagegüter haben. Die haben keine Maschinen oder oft nicht einmal einen PC.

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Wilfried Lehner: "Die Probleme weiten sich leider aus, es kommen immer neue Branchen dazu" © Heinz Stephan Tesarek/News

Solche Firmen haben ja oft lediglich minimale Bilanzsummen oder das nicht einmal gesetzlich vorgeschriebene Stammkapital eingezahlt.
Wobei - wenn solche Firmen das Stammkapital zur Gänze einzahlen, dann wird es gefährlich, weil sie dann die Segel streichen. Die nehmen dann das Geld heraus, um kein aushaftendes Kapital mehr zu haben, damit es für Gläubiger nichts mehr zu holen gibt. Das ist sozusagen ein buchhalterisches Glattstellen, und dann wird das Firmenkonstrukt liquidiert.

Wie werden die Mitarbeiter rekrutiert?
Solche Konstruktionen funktionieren immer nach demselben Prinzip. Eine Firma fungiert als Arbeitskräfteüberlasser und hat zum Teil auch Beschäftigte, die aber oft aber nur geringfügig oder auf Teilzeit angestellt sind. Tatsächlich leisten diese aber volle Arbeit, zum Teil sogar wesentlich mehr. Für geringfügig Beschäftigte sind aber nur minimale Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen und keine Steuer. Sie erhalten den geringen legalen Lohnanteil de facto brutto für netto, den Rest bekommen sie schwarz. Und damit der Gewinn der Leiharbeitsfirma nicht aufscheint und versteuert werden muss, wird eine zweite Firmenebene eingezogen, die wiederum Dienstnehmer an die erste Firma überlässt. Diese zahlt also selbst nach unten -und dort wird das Geld bar behoben, wandert wiederum zurück und wird dort zur Auszahlung der Schwarzgelder verwendet. Oft sind auch noch weitere Scheinfirmen involviert. Letztlich werden dadurch Sozialversicherung, Unfall-und Pensionsversicherung und Fiskus betrogen -und oftmals auch die Mitarbeiter.

Wie hoch ist der Schaden, der dadurch entsteht?
Der ist sehr schwer zu berechnen. Wir haben derzeit rund zehn derartige Scheinkonstruktionen mit jeweils vier bis fünf Firmen in Bearbeitung, und die Höhe der verschobenen Summe liegt da zwischen einer und 32 Millionen Euro. Und das innerhalb relativ kurzer Zeiträume, da diese Firmen nicht sehr lange leben. Die lässt man meist rasch sterben, wobei die obere Firma etwas länger lebt, die unteren meist ganz kurz. Die sind spätestens nach sechs Monaten als vermögenslos gelöscht. Die obere lebt vielleicht ein Jahr, aber nicht lange genug, dass es zu einer Lohnsteuer-oder Sozialversicherungsprüfung kommen kann. Das wird versucht, zu umgehen.

Welche Trends stellen Sie aktuell fest?
Neben dem Baubereich und dem Baunebengewerbe kommt in letzter Zeit verstärkt die Arbeitskräfteüberlassung in Richtung Industrie vor. Die Probleme weiten sich leider aus, es kommen immer neue Branchen dazu.

Nach welchen Gesichtspunkten werden solche Firmen eigentlich engagiert?
Wohl nach dem Motto "der Preis regiert die Welt". Auch wenn solche Firmen gar nicht dramatisch unterpreisig anbieten, bekommen sie in der Regel den Auftrag. Die Auftraggeber denken dabei allerdings oft zu wenig über mögliche Haftungsprobleme nach. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz nimmt den Auftraggeber bei Unterentlohnung oder ausfallenden Beträgen -seien es nicht bezahlte Löhne oder Sozialversicherungsbeiträge-in die Pflicht

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 © Heinz Stephan Tesarek/News

Was bedeutet das für die betroffenen Mitarbeiter?
In Fällen, in denen wir als Finanzpolizei ermitteln und sich der Arbeitskräfteüberlasser sozusagen in Luft auflöst und von den Arbeitnehmern Forderungen gestellt werden, haben die in der Regel gute Chancen, die beim Auftraggeber geltend zu machen. Und natürlich sind dann auch die Sozialversicherungsbeiträge nachzuzahlen. Das kann teuer werden.

Welcher Tricks bedienen sich Scheinarbeitsfirmen üblicherweise?
Neben Konstruktionen mit oft temporär unterschiedlichen Unterebenen gibt es auch die Varianten, bei denen nicht der Lohn gänzlich schwarz ausbezahlt wird, sondern in Form unbesteuerter Lohnbestandteile. Wie zum Beispiel als Kilometergelder, Spesenersätze oder spezieller Zulagen, die der jeweiligen Person eigentlich nicht zustehen. Und damit das nicht auffällt und bei einer Lohnsteuerprüfung entdeckt werden kann, gehen diese Firmen auch wieder rasch in Konkurs.

Was hat sich gegenüber früher verändert?
Früher gab es mehr die klassische, plumpe Schwarzarbeit; heute hat sich das hin zur betrügerischen Auslagerung von Dienstnehmern verlagert. Dafür werden oft richtige potemkinsche Dörfer gebaut, die nur schwer zu durchschauen sind. Es wird sozusagen intelligenter getrickst. Eine Scheinfirma ist das wichtigste Vehikel für einen Betrug, weil man sich dahinter perfekt verstecken kann.

Und die Dunkelziffer?
Wenn wir das wüssten (lacht). Es ist schwer zu sagen, wie viele neben den 100 Firmen, die wir jedes Jahr aufdecken, uns sozusagen einfach in den Konkurs entschwinden.

Was sind neben solchen Fällen die häufigsten Einsätze der Finanzpolizei?
Derzeit beschäftigen uns natürlich auch die Kurzarbeitskontrollen sehr stark. In Zeiten, in denen sich Teile der Wirtschaft im Lockdown befinden, müssen wir uns auch um jene Unternehmen kümmern, deren Mitarbeiter arbeiten, obwohl uns erklärt wird, dass sie eigentlich die ganze Zeit zu Hause sind. 2020 waren das rund 250 Fälle, heuer bislang rund 30. Das sind aber nur jene Fälle, bei denen wir auch konkrete Hinweise auf tatsächliche Betrugsmuster haben. Im Prinzip handelt es sich dabei um falsche Abrechnungen, bei denen zu Unrecht Kurzarbeitsersatz vom Staat bezogen wird.

Um welche Summen geht es?
Die sind sehr unterschiedlich: Das kann Kleinstfälle mit nur wenigen Dienstnehmern betreffen, aber auch solche mit 100. Das Strafvolumen dafür betrug im Vorjahr sieben Millionen Euro, allerdings betraf das ausschließlich arbeitsrechtliche Verstöße. Wir finden ja bei unseren Kurzarbeitskontrollen ja auch jede Menge andere Delikte wie illegale Ausländerbeschäftigung, Schwarzarbeit, unbefugte Gewerbeausübung oder Verstöße bei der Arbeitskräfteüberlassung

Sind Sie auch mit Krontrollen der Corona-Verordnungen beschäftigt?
Nur wenn sie arbeitsrechtliche Aspekte betreffen. Wenn zum Beispiel ein Hotel ein Betretungsverbot ignoriert, geht uns das grundsätzlich nichts an. Das Einzige, das uns in dem Fall interessiert, ist natürlich der bei der Umgehung des Betretungsverbots erwirtschaftete Schwarzumsatz und möglicherweise schwarz ausgezahlte Löhne an Mitarbeiter, die gerade in Kurzarbeit sind. Das sind sozusagen die Schatteneffekte von solchen Corona-Kontrollen. Oft werden wir da von der Polizei zusätzlich angefordert. Das passiert etwa in Wien sehr häufig auch in Verbindung mit illegalem Glücksspiel.

Das illegale Glücksspiel ist natürlich auch ein Thema, das uns regelmäßig beschäftigt.

Inwiefern?
Etwa wenn die Polizei ein Lokal entdeckt, das gar nicht offen haben dürfte, oder sie wegen einer angeblichen Party gerufen wird und es sich herausstellt, dass es sich dabei um ein illegales Casino handelt. Das illegale Glücksspiel ist natürlich auch ein Thema, das uns regelmäßig beschäftigt.

Solche Fälle gab es in letzter Zeit offenbar einige.
Ja das stimmt. Unabhängig von arbeitsrechtlichen Verstößen ist angesichts Corona auch heftig, wenn in einem Kellerlokal 30 oder 40 Personen vorgefunden werden, die ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen an Automaten gambeln oder Poker spielen. Da braucht man sich auch nicht über steigende Infektionszahlen wundern.

Wie viele Razzien gab es in dem Bereich im Vorjahr?
2020 haben wir österreichweit 685 Kontrollen an 679 Standorten durchgeführt, wobei 583 Strafanträge gestellt wurden. Die Höhe der im Zusammenhang beantragten Strafen beträgt rund 32,29 Millionen Euro. Was beim Glücksspiel auffällt, ist, dass da immer öfter die Ost-Mafia ihre Finger im Spiel hat. In der Regel mietet eine ausländische Scheinfirma die Räumlichkeiten an, und eine andere ausländische Scheinfirma stellt dann dort die Glücksspielgeräte auf. Wir agieren bei solchen Einsätzen immer mit der Polizei, die den Türöffner macht, weil wir ja normal nie freiwillig in die gesicherten Lokalitäten hineingelassen werden. Fast immer muss auch ein Suchtgifthund mitgenommen werden.

Welche spektakulären Fälle gab es zuletzt noch?
Im Jänner wurde ein riesiger Sozialbetrug in Kärnten aufgedeckt, wo bei einer Security-Firma 537 geringfügig beschäftigte Mitarbeiter wesentlich mehr arbeiteten, mittels gefälschter Fahrtenbücher schwarz entlohnt wurden und mehr als 500 darüber hinaus noch illegalerweise Arbeitslosengeld bezogen. Im Vorjahr wiederum gab es bei 133 Amazon-Dienstleitern mit 2.416 Beschäftigten 987 Verstöße gegen das Arbeits-und Sozialversicherungsgesetz. In der Transportbranche ist der Kostendruck enorm, deshalb werden dort verstärkt Subunternehmen beauftragt. Und die lagern wiederum an Scheinselbstständige aus. Das sind oft Personen, die sich einen Lkw mieten und mit diesem unterwegs sind - und mit Preisen am Markt agieren, mit denen man eigentlich nicht existieren kann. Ein System, das letztlich nur mit Selbstausbeutung funktioniert.

Werden Sie eigentlich selbst aktiv oder auf Anzeigen hin?
Wir schauen uns zum Beispiel die sogenannte letzte Meile im Transportbereich und Logistikzentren immer wieder an. Und natürlich gibt es zahlreiche Hinweise aus der Bevölkerung -zum Beispiel war das in der sogenannten Teigtascherl-Causa der Fall. Im Jahr gehen bei uns rund 20.000 Hinweise bzw. Anzeigen ein.

ZUR PERSON:
Wilfried Lehner
Der gebürtige Niederösterreicher, 52, startete seine Karriere 1996 als Betriebsprüfer im Finanzamt Mödling, war danach in der Finanzlandesdirektion Wien, NÖ, Burgenland, Betrugskoordinator in der Region Ost, dann Leiter der Finanzstrafbehörde und Zollfahndung sowie Fachvorstand der Steuerfahndung Wien. Ab 2011 leitete er die Stabsstelle Finanzpolizei im BMF, ab 2013 die bundesweite Organisation Finanzpolizei, seit 2021 ist er dafür im Amt für Betrugsbekämpfung zuständig. Lehner absolvierte die Verwaltungsakademie des Bundes und absolvierte einen Master Legal Studies an der Donau-Uni Krems. Die Finanzpolizei hat österreichweit rund 450 Beamte im Einsatz, davon sind 400 operativ tätig. 2020 führte sie 28.631 Kontrollen am Arbeitsmarkt mit insgesamt 70.285 überprüften Personen durch (ein Zuwachs von 29 Prozent gegenüber 2019). In Summe wurde 8.060 Strafanträge mit einem Strafvolumen von 20,2 Millionen Euro gestellt.

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