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Gesucht: Sommersager mit Merz-Effekt

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Medien & Menschen - Gesucht: Sommersager mit Merz-Effekt
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In Deutschland streiten sie, ob CDU-Chef Friedrich Merz seine Interview-Annäherung an die AfD passiert ist oder er sie geplant hatte. In Österreich bietet die Aufzeichnung der "Sommergespräche" Parteistrategen neuen Spielraum für mehrtägige Schlagzeilen

Was ein Sommerinterview kann, haben soeben das ZDF und Friedrich Merz vorgeführt. Der CDU-Chef erwog gegenüber Fragesteller Theo Koll eine Zusammenarbeit mit der AfD auf Gemeindeebene. Seitdem ist Feuer am Dach der Partei, und ihr Vorsitzender sitzt nicht mehr fest im Sattel.

Was ein Fernsehgespräch kann, haben Hanno Settele und Susanne Schnabl mit Alexander Van der Bellen vor einem halben Jahr im ORF gezeigt. Die 20 Fragen an den Bundespräsidenten in einem extrem reduzierten, intimen Umfeld waren ein Lichtblick im Dschungel der Polit-Talks.

Dass hier das ZDF zuerst und der ORF zuletzt genannt werden - wie umgekehrt ihre Journalisten -, ist kein Zufall. In Österreichs öffentlich-rechtlichem Medium stehen die Personen öfter vor dem Inhalt als in Deutschland. Das gilt auch für diesen Vergleich: Vom VdB-Interview sind Settele und Schnabl eher in Erinnerung als die UHBP-Aussagen. Aus dem Merz-Gespräch wird auch in einem halben Jahr noch die AfD-Passage stärker im Gedächtnis sein als der Hauptstadtstudioleiter Koll. Das hat auch damit zu tun, dass es hierzulande oft wirkt, als müssten Journalisten allfällige Großtaten erst gegen ihren Sender erkämpfen. Eine Fortsetzung von "20 Fragen an ..." hat der ORF jedenfalls nicht forciert.

Doch immerhin führt Schnabl die "Sommergespräche 2023". Sieben Jahre, nachdem sie Christian Kern, Reinhold Mitterlehner, Heinz-Christian Strache, Eva Glawischnig, Matthias Strolz und Frank Stronach befragt hat, ist von ihnen keiner mehr Parteichef. Für die nun fünf statt sechs Interviews planen Sendungsleiter Matthias Schmelzer und die "Report"-Moderatorin (seit Dezember 2012) dennoch ein vollkommen neues Format. Sie kommen aus dem renovierten Parlament, werden dort aber jeweils am Freitag aufgezeichnet, statt am Montag (7. August bis 4. September) live übertragen.

Ein Grund für diese Änderung ist der Wunsch nach mehr Intensität. Wie im VdB-Gespräch, aber mit anderen Mitteln. Statt des damals schwarzen Hintergrunds spielt das Parlament eine wichtige Rolle. Schnabl und Schmelzer sind überzeugt, dass die von ihnen erhoffte Gesamtstimmung sich technisch nicht live umsetzen lässt. Aber sie unterwerfen ihre Qualitätsoffensive keiner Vermarktungsstrategie. Für die Zuschauer soll das Sommergespräch jeweils erst drei Tage später um 21.05 Uhr beginnen.

Das Ganze klingt allerdings einfacher, als es ist. Das beginnt mit dem Generalverdacht des Publikums, geschnittene Passagen könnten besonders brisant gewesen sein. Um den Argwohn zu entkräften, werden die "Sommergespräche" in kompletter Länge online veröffentlicht. Diese vertrauensbildende Maßnahme hat sich bei der "ZIB 2" bewährt - so wie der von Julia Ortner entwickelte "Werkstatt"-Podcast, der den "Report" begleitet. Doch Transparenz ist nicht alles, und Marketing dominiert fast alles: Magazine wie "profil" lassen ihrem ursprünglichen Erscheinungstag Montag ein Stakkato an Vorabmeldungen von Freitag bis Sonntag vorangehen. Daran denken Schmelzer und Schnabl nicht. Dem Montagspublikum soll kein alter Hut serviert werden. Und wenn Freitag eine Bombe platzt wie beim Merz-Interview? Dafür gibt es zumindest keinen Plan. Es müsste spontan entschieden werden.

Die 1981 begonnenen "Sommergespräche" des ORF erreichen das anhaltende Publikumsinteresse auch wegen ihres immer wieder adaptierten Formats. Das sieben Jahre später damit gestartete ZDF zeichnet seine Interviews erst im Laufe des Sonntags auf, an dem sie ab 19.10 Uhr mit nur 20 Minuten Dauer gezeigt werden. Es bleiben bloß wenige Stunden Vorlauf, um Inhalte vorab hinauszuposaunen. Und der Begleittext zum online verfügbaren Merz-Gespräch liest sich geradezu als Unterbewertung seiner Brisanz: "Der CDU-Vorsitzende spricht sich (...) für strikte Regelungen bei der Migration aus. Er gibt sich zuversichtlich, dass die AfD in der Folge 'auch wieder kleiner' werde."

Das erhofft in Österreich die Konkurrenz für die FPÖ - auch mit Hilfe der "Sommergespräche". Nach fünf Jahren Sebastian Kurz erreichte damit aber schon 2022 Herbert Kickl das meiste Publikum. So wie einst Jörg Haider und Heinz-Christian Strache. Die drei Blauen und Frank Stronach erzielten zehn der 20 meistgesehenen Interviews in 42 Jahren. Diese Schlagseite zur Brachialrhetorik lässt sich weniger durch Nachahmung als mit Strategie korrigieren. Die frühzeitige Sendungsaufzeichnung bietet Spielraum, um mit Antworten, die nicht drei Tage verschwiegen werden können, die Einschaltquoten zu erhöhen.

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