Der frühere ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka setzt seinen Kampf gegen den Antisemitismus fort, auch als Präsident des Campus Tivoli, der politischen Akademie seiner Partei. Im Interview spricht er über Extremismus, rote Linien und die „verständliche“ Skepsis der jüdischen Gemeinde gegen den neuen FPÖ-Nationalratspräsidenten
Es gab letzte Woche zwei Holocaust-Gedenkveranstaltungen im Parlament. Eine von FPÖ-Nationalratspräsident Rosenkranz organisierte Diskussion, an der keine Vertreter der IKG teilnahmen. Und eine Gedenkkonferenz, die Sie organisiert haben, und die von der Kultusgemeinde wahrgenommen wurde. Ein Angebot an die jüdische Gemeinde, im Parlament zu gedenken?
Wir haben die Konferenz in einer großen europäischen Dimension veranstaltet. Für alle, die an diesem Thema Interesse haben. Und wir haben alle eingeladen. Denn, und ich glaube das gilt nicht nur für mich, sondern für alle in unserer Gesinnungsgemeinschaft, der Kampf gegen den Antisemitismus hat keine parteiliche Farbe. Jeder, der sich dort engagiert, ist herzlich willkommen.
Sie waren bei der offiziellen Veranstaltung auch nicht anwesend.
Ich war eingeladen, im deutsche Verteidigungsministerium eine Keynote zu halten, was mich sehr freut.
Fungieren Sie nach wie vor als Verbinder Ihrer Partei zur jüdischen Gemeinde in Österreich?
Die ÖVP hat viele Verbindungen zur jüdischen Community. Das ist für mich ein historischer Auftrag.
Als Nationalratspräsident waren Sie in diesen Fragen sehr präsent und Sie sind es offenbar immer noch?
Das ist unabhängig von meiner beruflichen und politischen Funktion. Ich habe es als Lehrer gemacht und als Bürgermeister. Und ich werde es weiter tun, ich lasse mich nicht beirren. Ich glaube, das ist ein gesellschaftspolitisches Problem. Wer für eine liberale Demokratie kämpft, muss sich gegen Antisemitismus engagieren. Was wir nach dem 7. Oktober gesehen haben, ist einfach furios. Die lang geglaubte Einheit gegen den Terror in Europa bröckelt auf einmal. Dass Länder das relativieren, dass sie nicht mithelfen, die Hamas zu bekämpfen, ist für mich schockierend. Aus diesem Grund ist mein innerer Antrieb noch größer. Jetzt geht es darum, diese Dinge wirklich klar zu benennen, ihnen entgegenzutreten, sie nicht zuzulassen. Das, was der ORF zum Teil in seiner Berichterstattung macht, ist fahrlässig, ist antisemitisch, ist tendenziös.
Was werfen Sie dem ORF genau vor?
Dass man am Jahrestag des 7. Oktober überhaupt auf die Idee kommt, einen Vertreter der Palästinenser einzuladen. Das wäre bei anderen Krisen nicht möglich gewesen. Wem fiele ein, Russland jetzt irgendwohin einzuladen, nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine? Und das ist in der Dimension noch etwas anderes. In Gaza kommt es aus einem alten, historischen Ressentiment, das uns seit 2.000 Jahren Leid beschert und auch für die Nachkommen der Täter eine Verantwortung darstellt. Daher geht es für mich nicht zusammen, dass in dieser Form berichtet wird und dass man offenbar glaubt, eine Gleichgewichtung herstellen zu können. Einen IS-Vertreter etwa habe ich noch nie im Fernsehen gesehen.
Wie geht es Ihnen mit dem Problem des ansteigenden Rechtsextremismus in Österreich?
Den Rechtsextremismus kennen wir seit vielen Jahren.
Er nimmt zu.
Er nimmt zu in der Frage der numerischen Vorfälle, die publik werden. Die Grundeinstellung, die wir durch Studien das Parlaments alle zwei Jahre abfragen lassen, hat nicht zugenommen. Was wirklich deutlich mehr geworden ist, ist der migrantische Antisemitismus. Deswegen bin ich auch nicht so glücklich über den aktuellen Rechtsextremismusbericht.
Warum, bezweifeln Sie die Zahlen?
Nein, der Bericht ist gut recherchiert. Aber Extremismus ist generell eine Herausforderung für die Gesellschaft, egal, von welcher Seite er kommt. Dieser Fokus auf rechtsextrem war der letzten Regierung sehr wichtig, für mich ist es notwendig, den Extremismus im Gesamten zu sehen. Der Extremismus, der aus dem politischen Islam kommt, belastet Österreich derzeit mehr. Wir haben derzeit keine rechtsextremen Attentate, aber wir haben Attentate wie jenes in Aschaffenburg. Das Problem Rechtsextremismus wird von der Polizei seit Jahren und Jahrzehnten hervorragend betreut. Da habe ich sehr großes Vertrauen. Aber den Extremismus im radikal-muslimischen Bereich haben wir nicht so im Fokus, weil er sehr ins Ausland vernetzt ist. Auch den linken Extremismus haben wir nicht im Fokus. Ich arbeite seit mehr als 50 Jahren gegen den Rechtsextremismus, man kann mir nicht vorwerfen, auf diesem Auge blind zu sein. Aber das ist derzeit nicht das Hauptproblem. Rechtsextremismus ist das Problem der Abgrenzung der FPÖ. Das ist ihr Problem, nicht meins.
Sie haben sich immer deutlich von einer Koalition mit der Kickl-FPÖ distanziert. Nun scheint es doch dazu kommen. Wo sehen Sie Ihre Rolle? Sind Sie jetzt das gute Gewissen Ihrer Partei?
Die Partei braucht kein gutes Gewissen, sie ist das gute Gewissen. Und ich glaube daran, was der designierte Parteiobmann gesagt hat: Es gibt ganz klare Haltungen. Wir sind weder auf dem Weg zu einer dritten Republik, noch werden wir uns in irgendeiner Form in europäischen Fragen verändern. Das weiß jeder, der mit der ÖVP koalieren möchte. Aber wir sind nicht im Lead. Es ist die Frage der FPÖ, die den Regierungsbildungsauftrag von Bundespräsidenten Van der Bellen bekommen hat.
Sollte es zu dieser Koalition kommen, sind Sie dann für eine Präambel, in der gewisse Grundsätze noch einmal festgeschrieben sind?
Das ist, glaube ich, selbstredend.
Wir würden Sie die roten Linien definieren?
Unabhängigkeit der Justiz, Unabhängigkeit der Medien. Das heißt nicht, dass nicht gespart und reformiert werden muss, aber die Unabhängigkeit ist unantastbar. Und es ist ganz klar, dass wir uns europäisch in keiner Form verändern dürfen.
Und in Hinblick auf Antisemitismus?
Der Kampf gegen den Antisemitismus ist im Parlament immer einstimmig und klar geführt worden. Ich habe im Nationalfonds noch nie eine Stimmenthaltung der FPÖ oder einer Partei erlebt.
Trotzdem gibt es große Bedenken der Kultusgemeinde gegen FPÖ-Nationalratspräsident Walter Rosenkranz.
Ich verstehe die IKG sehr gut. Ich war kürzlich bei einem Konzert von Marika Lichter. Wenn du deine Geschichte erzählst, wie deine Familie im Konzentrationslager ermordet wurde, wie du erst in der dritten Generation darüber sprechen kannst und das alles ein irrsinniges Leid ist. Dass du dann mit jenen Leuten, die nicht ein eindeutiges Bekenntnis zu ihrer Vergangenheit ablegen, ein Problem hast, verstehe ich vollkommen.