Direktorin Doris Pfingstner hat aus einer ungeliebten Wiener Vorstadt-Mittelschule eine der innovativsten Bildungsinstitutionen des Landes geformt. Die vier Geheimnisse ihres Erfolgs
„Wir haben uns sehr früh überlegt, was unsere Schule bieten muss, damit wir ein konkurrenzfähiges Produkt haben“, sagt Doris Pfingstner irgendwann im Laufe des Gesprächs.
Schule, ein konkurrenzfähiges Produkt? Ein Satz, den man in pädagogischen Kontexten normalerweise nicht hört. Aber Pfingster hat auch keinen normalen Werdegang. Sie arbeitete als Lehrerin, absolvierte nebenbei ein BWL-Studium und machte Business--Karriere in England, bevor sie wieder nach Österreich zurückkehrte und Schuldirektorin wurde.
Die Mittelschule im Wiener Stadtteil Donaustadt, die sie 2009 übernahm, hatte damals keinen guten Ruf. Heute ist die Modulare Mittelstufe Aspern bundesweit bekannt und wurde im Vorjahr mit dem Staatspreis für innovative Schulen ausgezeichnet. Pfingstner ist als Rednerin und Impulsgeberin gefragt.
Denn in der Aschenputtel-Geschichte von der durchschnittlichen Vorstadtschule, die zum Vorzeigemodell wurde, stecken Antworten auf Fragen, die sich derzeit viele stellen. Das öffentliche Schulsystem in Wien stehe kurz vor dem Zusammenbruch, hört man oft. Kinder mit zu geringen (Sprach-)Kenntnissen, überforderte Lehrer, mangelhafte Ressourcen. Das Beispiel Modulare Mittelschule Aspern zeigt, welche Chancen in der Schulentwicklung stecken. Und was passieren kann, wenn eine entschlossene Führungspersönlichkeit die Ärmel hochkrempelt, um ihre Visionen umzusetzen.
Das News-Treffen mit Doris Pfingstner findet im hohen, hellen Mehrzweckraum ihrer Schule statt. Pfingstner ist eine elegante Erscheinung, keine, die laut wird oder auf den Tisch haut. Aber als sie die vier Gründe für ihren Erfolg darlegt, wird sehr schnell klar: Diese Frau weiß sehr genau, was sie will.
1. Ein eigenes Profil entwickeln
„Früher sind alle Kinder, die in der Nähe gewohnt haben, in diese Schule gegangen. Das hat sich geändert. Eltern – vor allem ambitionierte Eltern, denen das Wohl und die Bildung ihrer Kinder wichtig ist – gehen heutzutage ,Schule shoppen‘, so wie sie Kleider oder ein Auto shoppen. Sie schauen sich sehr genau an, was eine Schule zu bieten hat.“ Durch ein klares und anspruchsvolles Profil hat die Modulare Mittelstufe Aspern geschafft, was vielen Mittelschulen im städtischen Raum – bisher – nicht gelungen ist: „Wir sprechen auch bildungsnähere Schichten an.“ Damit ergibt sich eine vielfältigere soziale Durchmischung, die wichtig ist, damit die Bildungschancen für alle Kinder besser werden.
Um das Profil ihrer Schule zu schärfen, hat Pfingstner die Grenzen der Schulautonomie voll ausgeschöpft und das namengebende Modulsystem entwickelt: Nach einer Orientierungsphase in der 3. Klasse haben die Kinder in der 4. Klasse die Möglichkeit, sich je nach Begabung in ein Fachgebiet zu vertiefen, die Pflichtfächer werden dafür stark reduziert. Zur Auswahl stehen die Bereiche „Gesundheit und Soziales“, „Wirtschaft“, „Technik“ und „Tourismus“.
Doris Pfingstner erklärt das Konzept: „Im Wirtschaftsmodul wird zum Beispiel eine Juniorfirma gegründet, wo mit echten Produkten, mit echtem Geld und mit echten Anteilsscheinen gearbeitet wird. Gleichzeitig bieten alle diese Module auch eine Anknüpfung an eine BHS, eine berufsbildende höhere Schule, die sie anschließend besuchen können. Oder die Jugendlichen wählen den Weg über eine Lehre, auch das ist möglich.“
2. Personalentwicklung
„Wir legen großen Wert auf die Fortbildung unserer Lehrpersonen. Noch wichtiger ist aber, sie auch am Standort zu fördern und eine Kultur des Weiterentwickeln-Wollens zu etablieren.“
Pfingstner führt jährliche Mitarbeitergespräche, bei denen auch festgelegt wird, wer sich in welchem Bereich fortbilden möchte. Seit Neuestem gibt es an der Modularen Mittelschule Aspern eine „Teacher Academy“, bei der Neueintretende von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen lernen können. Alle Lehrkräfte sind in Jahrgangsteams organisiert. Die Lehrerinnen und Lehrer der ersten, der zweiten etc. Klassen treffen sich einmal in der Woche und besprechen aktuelle Projekte und Probleme. Dazu kommen zahlreiche Arbeitsgruppen zu spezifischen Themen, von Schulfest über Digitalisierung bis Social Media.
Wichtig ist Direktorin Doris Pfingstner, dass alle an einem Strang ziehen. „Wir haben zum Beispiel eine Clean-Desk-Policy an unserer Schule. Das heißt, auf dem Schülertisch liegen immer nur die Unterlagen des jeweiligen Gegenstands. Und zwar rechts außen, damit auch für den Laptop Platz bleibt. Ich spare mir ganz viel Disziplinierungsarbeit, wenn solche Dinge für alle klar sind.“
3. Wertschätzender Umgang
„Es ist sehr wichtig, wie wir mit den Schülerinnen und Schülern umgehen. Auch bei uns kann es vereinzelt vorkommen, dass geschrien wird, aber normalerweise fällt kein lautes Wort,“ erklärt Doris Pfingstner. „Natürlich gibt es Schülerinnen und Schüler, die nicht tun, was wir von ihnen wollen. Aber wir geben ihnen sehr klare Grenzen vor und setzen diese Grenzen auch durch. Darf ich Ihnen etwas zeigen?“
Pfingstner steht auf und tritt zu einem Flipboard, das hinter ihr steht. Sie erklärt die stufenförmige Grafik, die darauf abgebildet ist: „Wir haben dieses Konsequenzenmodell entwickelt. Viele Schulen haben es mittlerweile von uns übernommen. Unten ist die Negativ-pyramide. Für die Kinder ist immer ganz klar, wo sie in dieser Anfolge gerade stehen: von Ermahnung und Zurechtweisung bis zur äußersten Konsequenz, der Suspendierung. Und genauso gibt es eine Positivpyramide, deren höchste Stufe der Fairness Award bildet, eine Auszeichnung, mit der die sozialsten Kinder der Schule ausgezeichnet werden. Nicht die bravsten Kinder, sondern jene, die wirklich in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen.“
Dieses Konsequenzenmodell hängt in jeder Klasse. In einigen Klassen wurde es eigenständig weiterentwickelt: Ein Kind, das drei Negativpunkte hat, muss dann zum Beispiel drei Tage lang den Mistkübel ausleeren. Die Kinder schätzen diese Transparenz, beobachtet Pfingstner – da sie zugleich Willkür jeder Art ausschließt. Generell sei es ihr wichtig, dass die Kinder sich ernst genommen fühlen: „Sie dürfen in ganz vielen Bereichen mitbestimmen. Wir schauen, dass wir Wohlfühlinseln haben, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und wir versuchen, wirklich fair zu sein.“
4. Öffentlichkeitsarbeit
Tue Gutes und rede darüber – dieser Grundsatz sollte auch für Schulen gelten, findet Doris Pfingstner. „Nachdem wir einen starken Mitbewerb haben, ist es wichtig, auch in der Öffentlichkeit zu zeigen, was man tut und wofür man steht. Denn nur so kann man die Eltern davon überzeugen, ihre Kinder zu uns zu geben.“
Die intensive Öffentlichkeitsarbeit, die Pfingstner betreibt, soll aber auch nach innen wirken: „Unsere Schülerinnen und Schüler sind total stolz darauf, an unserer Schule zu sein.“ Das Selbstverständnis, eine gute Schule zu besuchen, sei sehr wichtig. Gerade für Kinder, die nicht auf die Bildungs-Butterseite des Lebens gefallen sind: „Wir wollen ihnen das Selbstbewusstsein mitgeben, dass sie keine Menschen zweiter Klasse sind, nur weil sie in eine Mittelschule gehen. Sondern, dass sie toll sind und dass sie etwas können.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.03/2025 erschienen.