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Warum wir uns küssen

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©Hannes Magerstaedt/Getty Images
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Die verwirrende Geschichte der Lippenberührung

Mit dem Gemälde „Der Kuss“ wurde Gustav Klimt weltberühmt, Smetana schrieb eine Oper mit dem Titel „Der Kuss“ und Tschechow eine Erzählung. Die Schauspielerin Ingrid Bergman sagte über den Kuss: „Er ist eine wunderbare Laune der Natur, um unnötiges Gerede zu unterbrechen.“

Adriano Lameira, Professor für Entwicklungspsychologie an der Universität Warwick, gab sich mit der rein romantischen Definition nicht zufrieden. Er vertraute auch den bekannten Theorien nicht, Küssen käme von der Mund-zu-Mund-Fütterung oder dem Säugen von Babys. Er wollte die Ursprünge erforschen.

Den ältesten schriftlichen Verweis auf das Küssen fand er in einem Text, der 2500 v. Chr. in Mesopotamien verfasst worden war, und ging davon aus, dass es ein Jahrtausend alter Brauch unter Menschen sei, Zuneigung, Respekt und Verlangen zu zeigen. Im alten Rom wurde unterschieden zwischen „osculum“, einem Kuss auf die Wange, der Sympathie ausdrücken sollte, jedoch kein romantisches Verlangen, „basium“, einem Kuss auf die Lippen als Zeichen der familiären Verbundenheit, und „savium“ mit einer ausdrücklich erotischen Botschaft. Beim Menschen sei laut Lameira immer ein Wölben der Lippen und ein leichtes Saugen mit dem Kuss verbunden.

Service

Lameira beschloss, in der Entwicklungsgeschichte einen Schritt zurück zu gehen und die Vorfahren der Menschen zu untersuchen. Er beobachtete, dass Schimpansen und Gorillas das Fell anderer zuerst mit den Fingern durchsuchen, Zecken, Flöhe und kleine Teile von Erde und Holz jedoch nicht mit den Händen, sondern mit den Lippen entfernen. Ein Service, das sie nicht nur ihren Partnern und Kindern anbieten, sondern allen Mitgliedern der Gruppe.

Diese Methode der Körperpflege endet immer mit dem Einsatz der Lippen. Der letzte Floh und das letzte Stück Holz wird mit dem letzten Kuss entfernt und als erfolgreicher Abschluss eines langwierigen, jedoch angstfreien, kosmetischen Services erlebt. Die Versorgten fühlen frei von Schmutz und Ungeziefer, glücklich und dankbar. Das Abtasten des Fells zuzulassen, ist eine Symbolik des Vertrauens. Den Rücken zugewandt sind die Behandelten schutz- und wehrlos, vielleicht beruhigen dabei die Berührungen der Lippen.

Sauberkeit

Bis sich im Laufe von Millionen von Jahren der Kuss auch unter Affen, zumindest bei Schimpansen und Gorillas, teilweise verselbständigte. Anfangs ausschließlich als Symbol für Versorgung und Betreuung, wurde das Berühren des Fells mit dem Lippen parallel zur Reinigung auch ein Zeichen der Beruhigung, der Verbundenheit und der Zusammengehörigkeit.

Beim Übergang zum Menschen vor ca. sechs Millionen Jahren, als unsere Vorfahren die Bäume verließen, um auf dem Boden zu leben, verloren sie die Körperhaare – und das gegenseitige Absuchen des Fells nach Ungeziefer und Schmutz seine Bedeutung. Doch diesen beruhigenden Kuss, für Produktion der Glückshormone verantwortlich, wollten sie als zeitloses Symbol für Sicherheit, Zuneigung und Liebe, Erregung sowie erotischer und emotionaler Nähe offensichtlich nicht aufgeben.

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