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Die 10 wichtigstenFragen zur Mars-Mission

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©Bild: Ricardo Herrgott
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Der Physiker Werner Gruber beantwortet zehn Fragen zur Mars-Mission der NASA: Könnte es auf dem roten Planeten Leben geben? Stehen die hohen Kosten dafür? Wann reist der erste Mensch auf den Mars?

1. Was ist am Mars eigentlich so interessant?

Der Mars war ganz wichtig für die Menschheitsgeschichte, weil Kepler über die Marsbahn die Kepler'schen Gesetze aufgestellt hat. Vom Standpunkt der Raumfahrttechnik ist es ein Planet, der weiter weg ist als der Mond. Zum Mond zu fliegen, ist heute nicht mehr so ein Problem, der Mars ist noch einmal ein Eck weiter weg. Drittens, und das zeichnet den Mars im Moment aus, hat er eine Atmosphäre, beim Mond ist die Oberfläche ja von der Sonne zerstört. Der Mars hatte ziemlich sicher Wasser, und es gibt ein paar Anomalien, die man sich nicht ganz erklären kann, zum Beispiel Methan. Das heißt, es gibt eine gewisse Restwahrscheinlichkeit, dass es dort Leben gab oder gibt.

2. Was wäre noch interessanter als der Mars?

Ich würde sagen: Der Mars ist das Übungsgelände für Europa, einen Jupitermond. Wir wissen, dass Europa von Eis umgeben ist, einer 20 bis 200 km dicken Eisschicht, und darunter ist garantiert flüssiges Wasser. Der Kern ist warm und heiß. Dort gibt es eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für Leben, zumindest in Bakterienform. Nur wenn Sie dort hinfliegen wollen, haben Sie eine Trefferquote von eins zu fünf, dass Sie überhaupt landen können. Und der Flug würde mindestens ein bis zwei Jahre dauern. Das ist der Grund, warum es derzeit so viele Mars-Missionen gibt: Das Startfenster vor einem Jahr war optimal, um den Mars superschnell zu erreichen. Um auf Europa zu landen, müsste man aus der Raumkapsel durch 20 bis 200 Kilometer Eis durchschmelzen -das Experiment hat man schon gemacht, das funktioniert -, dann müsste aus der Raumkapsel ein Unterseeboot werden -das aber nicht mehr ferngesteuert werden kann -, das selbstständig nach Leben forscht und nach einigen Monaten wieder hinaufkraxelt und die Daten zur Erde sendet. Ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde.

3. Wie wahrscheinlich ist es, dass Perseverance Leben auf dem Mars findet?

Nüchterne Antwort als Wissenschaftler: mal schauen. Wir wissen es nicht. Wenn ja, gäbe es einen Haufen Fragen, die man beantworten müsste: Ist das Leben auf der Erde unabhängig vom Mars entstanden? Ist das Leben auf dem Mars entstanden und dann rübergespuckt auf die Erde? Ist es auf der Erde entstanden und auf den Mars gekommen? Wenn es Leben gibt, haben sie dieselben vier Nukleinbasen der DNA, die bei uns auf der Erde da sind? Das sind schon geile Fragen. Das Problem ist nur, und deswegen bin ich so skeptisch: Wir haben zwar Wasser auf dem Mars, wir wissen aber auch, dass der Marsboden hochgiftige Substanzen enthält. Und Perseverance hat einen Nachteil: Die Oberfläche ist von einer zwei Meter dicken Schicht aus Eisenoxydsand umgeben. Dieser Sand ist garantiert frei von Leben. Es gibt allerdings Steine, die darauf liegen, und es wäre denkbar, dass sich unter diesen Steinen Lebensformen gebildet haben. Aber es wäre schon ein Riesenzufall, wenn etwas gefunden wird. Perseverance ist eine Vorläufermission. Die nächste oder übernächste Mission hat vor, in den Boden hineinzugraben. Dann wird es spannend.

4. Könnten Spuren von vergangenem Leben auf dem Mars gefunden werden?

Schwierig. Ich gehe einmal nicht davon aus, dass es auf dem Mars eine Hochkultur gegeben hat. Dafür gibt es einen Grund: Der Mars ist ein Drittel kleiner als die Erde, das heißt, wir gehen davon aus, dass die Atmosphäre viel früher abgedampft ist als auf der Erde, das heißt, es war wohl nicht lang genug Zeit. Unter bestmöglichen Bedingungen hätte es sein können, dass sich dort eine kleine landwirtschaftliche Kultur gebildet hat. Vielleicht findet man irgendwann ein paar Knochen, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Und bei Überresten von Bakterien muss man vorsichtig sein. Es gab einmal einen Mars-Meteoriten, der auf der Erde gelandet ist -so könnte übrigens Leben vom Mars auf die Erde gelangen und umgekehrt. Diesen ALH 84001 hat man in der Mitte aufgeschnitten und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoff gefunden. Was ist das? Das Dunkle, Knusprige beim Grillen. Das Verbrannte. Und das hat man eigentlich nur bei biologischen Strukturen. Man dachte, man hätte Spuren von ehemaligem Leben nachgewiesen, ist dann aber draufgekommen, dass das auch anorganisch entstehen kann. Wir befinden uns hier im Grenzgebiet zwischen organischer und anorganischer Chemie. Bevor wir nicht eine Bakterienkultur haben, die ausschließlich vom Mars stammt und sich vermehrt,haben wir nur einen indirekten, problembehafteten Nachweis.

5. Warum beflügelt ausgerechnet der Mars schon so lange die Fantasie der Menschen?

Weil man ihn gut sieht, so blöd das auch klingt. Er zeichnet sich durch zwei Dinge aus: sehr gute Sichtbarkeit und die rote Farbe. Der Jupiter hat die Fantasie auch beflügelt, weil er einfach extrem hell ist. Spekulationen über Leben aus dem Mars gehen auf den italienischen Astronomen Giovanni Schiaparelli zurück. Er verfügte über die besten Teleskope seiner Zeit und hat damit auf dem Mars "Canali" beobachtet, also eigentlich Täler, nicht von irgendwem angelegte Kanäle. Es wurde ihm in den Mund gelegt, dass er von Zivilisationen auf dem Mars gesprochen hat. Seine Fachkollegen konnten diese Täler nicht beobachten, und man hielt ihn für einen Wichtigtuer. Erst später stellte sich heraus, dass Schiaparelli einen Gendefekt gehabt haben dürfte, er hat viel schärfer gesehen als ein normaler Mensch, und das, was er gesehen hat, wurde erst 20 Jahre später durch viel bessere Teleskope bestätigt. In der Science-Fiction hat man ursprünglich von Mondmenschen gesprochen. Dann, als die Raumfahrt gekommen ist, waren es die Marsmännchen. Vermeintliche Entführungen der Erdbevölkerung wurden von Leuten vom Pluto durchgeführt, und jetzt sind wir schon bei der Andromeda-Galaxie. Es entwickelt sich immer so weit, wie wir schauen können.

6. Was bringt uns diese 2,3 Milliarden Euro teure Mars-Mission eigentlich?

Gegenfrage: Was bringt uns die Formel 1? Ein Auto mit weniger Spritverbrauch, bei dem der Motor länger hält etc. Ich bin kein Formel-1-Fan, aber das ist Hochzüchten von Technologie, die im Real Life am Problem getestet wird, was dazu führt, dass die "normalen" Autos besser werden. Bei Perseverance ist es dasselbe: Ich kann ihnen jetzt noch nicht sagen, welchen Bauteil von Perseverance wir künftig im Alltag verwenden werden. Ich kann ihnen aber etwas nennen, was noch viel, viel teurer war: die Mondlandung. Zwei große Dinge hat uns dieses Projekt gebracht. 1968 das Bild "Earth Rise", den ersten Blick auf die Erde als gesamte Kugel mit der hauchdünnen Atmosphäre rundherum. Das war der Beginn der Umweltschutzbewegung. Zweitens waren damals sehr viele Informatiker und Computertechnik bei der NASA beschäftigt. Diese wurden 1972 entlassen, weil man sie nicht mehr gebraucht hat. Sie haben sich gesagt: Wir müssen uns neu erfinden, und sie haben sich dort angesiedelt, wo es die günstigsten Grundstückspreise in den USA gab und man gleichzeitig im Winter nichts für Heizkosten zahlte: im späteren Silicon Valley. 40 Prozent des aktuellen BIP der USA gehen unmittelbar auf die Mondlandung zurück.

7. Welche Investition könnten uns in Zukunft nach vorne bringen?

Ich würde der EU empfehlen: Bringt eine Europäerin oder einen Europäer zum Mars und retour. Um das zu können, müsste man nämlich ein paar Technologien weiterentwickeln. Das größte Problem, das im Moment den Flug des Menschen zu Mars verhindert: Die Sonne ist böse. Auf der Erde sind wir aufgrund der Atmosphäre und des Magnetfelds vor dem Sonnenwind -das sind Teilchen mit einer hohen Geschwindigkeit - geschützt. Wenn diese auf den menschlichen Körper knallen, ist das biologische Material zerstört. Bei der Mondlandung war das eines der Hauptprobleme: Wird die Sonne diese sieben Tage so ruhig sein, dass den Astronauten nichts passiert? Sie hatten das Glück, dass die Sonne in diesen zwei, drei Jahren ein Minimum an Aktivität hatte, fünf Jahre später wäre es so nicht mehr gegangen. Auf der Internationalen Raumstation sind sie immerhin noch vom Magnetfeld geschützt. Wenn man zum Mars fliegt, ist man ein Jahr unterwegs oder, wenn man es sehr schnell macht, hundert Tage. Während dieser Tage hat man eine hundertprozentige Wahrscheinlichkeit, von einer so genannten solaren Flair bzw. Protuberanzen getroffen zu werden. Von acht Menschen, die ich losschicke, kommt einer wieder lebendig zurück. Um das zu verhindern, müssten wir den menschlichen Körper fit gegen Strahlenkrebs machen. Ja, wir geben im Moment Geld für Krebsforschung aus. Aber das ist etwas anderes, als wenn man sagt, Leute, wir brauchen das Ding morgen. Nehmt fünf Prozent des gesamten EU-Budgets und bringt einen Menschen auf den Mars und wieder zurück, das dauert 20 bis 30 Jahre, ich garantiere aber, dass unsere Ururenkel wahnsinnig viel Geld damit verdienen werden.

8. Wann fliegen die ersten Menschen zum Mars?

In 20 bis 30 Jahren, wenn wir morgen anfangen. Wir scheitern nicht daran, Technik hinzubringen, auch die Lebenserhaltungssysteme dort wären geklärt. Das Hauptproblem ist das medizinische. Aber früher oder später wird die Besiedelung des Weltraums passieren. Wobei: Besiedelung ist so ein netter Begriff, und man sieht auf Grafiken immer hübsche Glashäuser. Wenn wir jetzt ungefähr hundert Tage auf dem Mars verbringen müssten, dürften wir unsere Raumkapsel in dieser Zeit nur ein paar Nachmittage lang mit Raumanzug verlassen, weil wir wegen der kosmischen Strahlung sonst nicht überleben würden. Und wir müssten acht bis zehn Meter unter der Marsoberfläche leben, damit wir ausreichend geschützt sind.

9. Warum ist so ein Run auf den Weltraum entstanden?

Für Milliardäre wie Elon Musk und Jeff Bezos sind das prestigeträchtige Projekte, mit denen sie einen wahnsinnigen Werbeeffekt erzielen. Sie bewerben also ihre Firmen mit Weltraumtechnologie. Und es geht darum, Leadership zu zeigen. Man kauft lieber etwas von Musk oder Bezos als von der Konkurrenzfirma. Dazu kommt, dass die NASA selbst keine Raketen hat. Der Deal ist: Musk zahlt die Entwicklung, die NASA zahlt pro Person, die hinaufgebracht wird. Seitdem kostet es einiges mehr, als es die NASA vorher gekostet hat.

10. Welche Voraussetzungen müssen Astronautinnen und Astronauten erfüllen?

Erstens müssen sie ein technisch-naturwissenschaftlich-medizinisches Studium absolviert haben. Ohne geht's gar nicht. Zweitens ist es wichtig, körperlich relativ unversehrt zu sein. Und durchschnittlich. Wir brauchen keinen muskelbepackten Astronauten, ein Bodybuilder braucht 20 Prozent mehr Sauerstoff. Auch keine Spitzensportler, das ist die Gefahr von früheren Verletzungen zu groß. Man darf nicht zu groß sein, sonst passt man nicht in die Kapsel hinein. Perfektes Englisch ist ein Muss, Russisch von Vorteil. Und: Die meisten scheitern am psychologischen Test. Ganz wichtig ist die Konzentrationsfähigkeit und wie man mit anderen Menschen umgeht. Und man sollte keine Platzangst haben.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 9/2021) erschienen.

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