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Schule im Notbetrieb

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©Elke Mayr
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An manchen Wiener Volksschulen droht wegen des Lehrermangels und der grassierenden Grippewelle das System zusammenzubrechen. Pädagoginnen und Pädagogen berichten von den grenzwertigen Zuständen.

Eigentlich sollten die Kinder fröhlich aus der Schule kommen. Der Nikolaus war da, und die Schultage bis Weihnachten kann man an drei Händen abzählen. Aber heute ist kein guter Tag. Die Nachricht kam buchstäblich über Nacht: Ihre Lehrerin soll an eine andere Schule versetzt werden. Mitten im Schuljahr. Deswegen bildet sich vor der GTVS 3, einer Ganztagsvolksschule im dritten Wiener Bezirk, eine kleine Demonstration. Schüler und Eltern halten Plakate und Schilder in die Höhe, darauf steht: "Lasst uns unsere Lehrer:innen!", "Keine Zwangsversetzung" und "Johanna soll bleiben".

Rund 25 Volksschulen in Wien sind derzeit unbesetzt. Um diese Stellen zu besetzen, werden nun Pädagoginnen von anderen Standorten abgezogen. Ganz plötzlich, beklagt ein Kollege der betroffenen Lehrerin an der GTVS 3. Und ohne zu wissen, wohin. Nur so viel: Noch vor Weihnachten soll sie ihre neue Stelle antreten.

Die Lücke, die sie hinterlässt, ist groß. Denn Johanna unterrichtet an einer Mehrstufenklasse. Ohne sie, sagen ihre Kollegen, kann die Klasse nicht weitergeführt werden. Zu viel Aufwand, zu wenig Personal. Die Kinder müssten im schlimmsten Fall auf andere Klassen aufgeteilt werden.

Bei der Demonstration hat sich auch eine junge Lehrerin eingefunden, die an einer anderen Schule arbeitet, aber mit demselben Problem konfrontiert ist. Die Sonderschulpädagogin unterrichtet ebenfalls in einer Mehrstufenklasse, sechs der 20 Kinder haben "extrem spezielle Bedürfnisse", erzählt sie. Jahrelang baute sie zu ihnen eine Beziehung auf, jetzt soll sie wechseln, mitten im Schuljahr. Und ihre Kollegin, die letztes Jahr bereits im Burnout war, mit unzureichendem Ersatz - einer halben, statt einer vollen Lehrverpflichtung -zurücklassen.

Prekäres System

Die Sorgen der Lehrer, Eltern und Schüler der GTVS3 sind kein Einzelfall. Der Lehrermangel, vor ein paar Jahren noch ein theoretisches Schreckszenario, dann eine immer realere Bedrohung, schlägt in diesen Wochen voll durch - vor allem an Wiener Volksschulen. Denn einige Lehrpersonen haben sich in der Corona-Zeit beruflich neu orientiert, andere wechselten nach Niederösterreich oder ins Burgenland. Dazu kommt eine Pensionierungswelle. Die Grippesaison belastet das ohnehin prekär aufgestellte System zusätzlich. Wegen der zahlreichen Ausfälle herrschen an manchen Schulen grenzwertige Zustände.

News hat mit mehreren betroffenen Direktorinnen, Lehrerinnen und Eltern gesprochen. Viele von ihnen wollen anonym bleiben, weil sie Sanktionen fürchten. Aber das Bild, das sie beschreiben, ist überall gleich. Viele Schulen schaffen es nur mit Müh und Not -und dank des außerordentlichen Einsatzes der verbliebenen Pädagoginnen -den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Eine Direktorin berichtet von bis zu 40 Prozent Krankenständen an ihrer Schule. "Ich stehe selber acht Stunden am Tag ohne Pause in der Klasse. Das hältst du ein paar Tage durch, dann bist du kaputt. Für die Kinder ist das ein Wahnsinn. Vor allem für Kinder mit sozial-emotionalen Problemen, die viel Geduld, Zuspruch und Unterstützung bräuchten, weil sie das zu Hause nicht bekommen. Aber dazu sind wir nicht mehr in der Lage." An einem der ärgsten Tage, erzählt sie, beaufsichtigte sie gemeinsam mit einer anderen Pädagogin drei Klassen gleichzeitig, weil sonst niemand verfügbar war. "Das ist kein Unterricht mehr. Aber wir sind keine Kinderbetreuungseinrichtung, wir sind eine Schule."

Überlastung

Eine andere Direktorin leitet eine sogenannte "Brennpunktschule", die besonders viele Schülerinnen und Schüler aus prekären Verhältnissen und mit schlechten Deutschkenntnissen besuchen. Sie sagt: "Es ist einfach zu viel. Zuerst die Flüchtlinge aus Syrien, die wir in der Schule aufgenommen haben, dann Corona, eine neuerliche Flüchtlingsbewegung. Und jetzt dieser Personalmangel. Es gibt schon lange keine Entspannung mehr an den Schulen."

Zu all dem komme, erzählt die Direktorin, dass die ohnehin überlasteten Lehrerinnen nun auch zusehends mit der Verzweiflung der Eltern befasst seien. "Viele Eltern wissen nicht mehr, wie sie die Stromrechnung bezahlen sollen. Die Wirtschaftskrise greift enorm. Wir merken das an Zahlungsrückständen bei der Nachmittagsbetreuung und den steigenden Anträgen auf Schulbesuchsbestätigungen für das Sozialamt. Oft haben die Kinder keine Jause mit, das kommt deutlich öfter vor als früher. Oder sie kommen auch im Winter in dünnen Jacken, weil die Eltern kein Geld für Winterbekleidung haben."

Die Personalkrise an den Volksschulen trifft, wie so oft, die Schwächsten am härtesten. Schulstandorte also, an denen besonders viele Kinder eigentlich besonders viel Betreuung bräuchten. Weil sie schlecht Deutsch können, unter traumatischen Fluchterfahrungen leiden oder einen besonderen pädagogischen Förderbedarf aufweisen. Der News-Rundruf ergab Berichte von überfüllten Deutschförderklassen und von Kindern im Autismus-Spektrum, die unter der mangelnden personellen Stabilität sehr leiden. "Diese Kinder", sagt eine Direktorin, "brauchen besonders viel Orientierung." Unter den gegenwärtigen Bedingungen komme es in den Klassen zu Chaos und Streitereien.

Unqualifiziertes Personal

Der LehrerInnenmangel führt auch dazu, dass immer mehr unqualifiziertes Personal in den Klassen steht. Es sind teils absurde Geschichten, die man aus den Schulen hört: Nachdem eine Lehrerin in einer Klasse mit ukrainischen Flüchtlingen einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, musste der Hausmeister die Klasse beaufsichtigen, weil sonst niemand zur Verfügung stand. An einer Schule werde die Vorschulklasse zeitweise von der Sekretärin betreut, berichten Eltern. Lehrergewerkschafter Thomas Krebs berichtet von Schulstandorten, an denen - bis auf die Direktion - ausschließlich Studierende unterrichten.

Dafür kommen ausgebildete Pädagoginnen nicht zum Zug. News liegt der Fall einer ausgebildeten Kindergarten-Pädagogin und AHS-Lehrerin vor, die sich - inspiriert von der Kampagne des Bildungsministeriums "Bisher Kindergarten. Jetzt Volksschule" - um eine Pflichtschul-Stelle bewarb. Ohne Erfolg. Sie ist derzeit arbeitslos und lebt von der Notstandshilfe. "Es ist absurd, wenn man ständig von Lehrermangel liest und keine Stelle bekommt", sagt sie. "Ich habe eine pädagogische Ausbildung, ich kann mich anpassen und bin willig, eine zusätzliche Ausbildung zu machen. Aber zum Zug kommen Quereinsteiger, die völlig fachfremd sind." Ihr Mann, erzählt die Frau, arbeitet selbst als Lehrer. Mit voller Stundenanzahl. Obwohl er noch studiert. Ihr Plan: Sich ebenfalls für ein Lehramtsstudium in einem Hauptfach zu inskribieren, um so als Studierende an eine Lehrerinnenstelle zu kommen. Johanna, die Lehrerin, die vielleicht bald in einer anderen Klasse steht, hinterlässt mit ihrem Wechsel nicht nur traurige Kinder und die Trümmer eines reformpädagogischen Projekts, zu dem sich der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) zuletzt noch bekannt hatte, sondern auch Mehrbelastung für die zurückgebliebenen Kolleginnen. Denn angemessen nachbesetzt wird nicht, und viele Stunden können schon jetzt nur durch Überstunden abgedeckt werden.

Das Problem: Nur Vollzeit angestellte LehrerInnen dürfen Überstunden leisten. 25 Prozent der Wiener Lehrerinnen und Lehrer haben aber Teilzeitverträge. In anderen Bundesländern sind es mehr als 40 Prozent - etwa Oberösterreich, Tirol oder Vorarlberg. Die Mehrarbeit lastet also auf den Schultern derer, die ohnehin schon viel arbeiten. Fällt eine dieser Personen wegen Überlastung aus, ist das Loch, das sie reißt, um so größer.

Und die Ausfälle häufen sich, weiß Gewerkschafter Thomas Krebs zu berichten. "Viele Lehrerinnen und Lehrer lösen ihr Dienstverhältnis auf. Ich würde sagen, durchschnittlich eine oder einer pro Tag." Der Hauptgrund sei Überlastung. "Es spielen sicher auch die Nachwehen von Corona eine Rolle. Es gibt Fälle von Long Covid, aber auch andere Erkrankungen. Vor allem die psychischen Erkrankungen nehmen in letzter Zeit zu."

Und doch arbeiten zahlreiche Pädagoginnen Tag für Tag tapfer gegen die immer schwieriger werdenden Umstände an. Auf die Frage, ob es irgendwann zum System- Kollaps kommen könnte, lacht eine der Direktorinnen, mit denen News sprechen konnte. Es ist ein bitteres Lachen. "Menschen in Sozialberufen neigen dazu, sich zu verausgaben. Sie brennen eher aus, als dass sie aufschreien."

Haben Sie persönliche Erfahrungen mit dem Personalmangel an den Schulen, die Sie teilen möchten? Schreiben Sie uns. gasteiger.anna@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2022 erschienen.

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