Der Staffellauf der Generationen
Mein Sohn Axel ist Schauspieler und Regisseur. Enkelsohn Loris spielt in drei Folgen der Filme „Die Schule der magischen Tiere“ eine Hauptrolle. Axels Interesse für das Theater begann, als meine ersten Bücher erschienen. Das Interviewbuch über die Kinder aus Nazi-Familien „Schuldig Geboren“ wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt. George Tabori brachte es in Wien im Theater „Der Kreis“ auf die Bühne. Weitere Theater- und TV-Produktionen folgten in Israel, USA, fast allen europäischen Ländern und Australien. Ich nahm den damals 14-jährigen Axel öfters zu Proben mit Tabori mit. Er sagte später, die wunderbare Art, wie Tabori mit Schauspielerinnen und Schauspielern umging, seien ein wichtiger Einfluss gewesen, sich für den Schauspielberuf zu entscheiden.
Engagement
Nach der Schauspielschule und den ersten Engagements fragten Axels Kollegen und Kolleginnen, die in Produktionen von „Schuldig Geboren“ mitgewirkt hatten, ob er mit mir verwandt sei. Ein Theaterstück schrieben wir gemeinsam, und Axel übernahm die Regie. Er setzte sich durch im Theater, spielte in mehreren Filmen und TV-Produktionen, bis der Tag kam, an dem man mich fragte, ob ich mit Axel Sichrovsky verwandt sei. Gut, dachte ich, jetzt nähert sich der Zeitpunkt, an dem die Söhne die Väter ablösen. Ich gewöhnte mich daran. Besuchte Theater-Produktionen mit Axel als Schauspieler oder als Regisseur. Er wurde auf der Bühne gefeiert, und ich übte im Zuschauerraum, vergessen zu werden. Eines Tages rief Axel mich an, sein Sohn Loris wäre für eine Filmproduktion ausgewählt worden, die Verfilmung eines bekannten Kinderbuchs. Wir fuhren beide zur Filmpremiere und bewunderten den Sohn/Enkel, wie er auf dem roten Teppich als 14-Jähriger selbst-sicher in die Kameras der Fotografen lächelte. Während der Dreharbeiten musste für jedes Mädchen und jeden Bub, die im Film mitwirkten, ein Erwachsener im Hotel anwesend sein. Die beiden jüngeren Brüder von Axel, meine Söhne Yonah und Max, sprangen ein, als die Eltern keine Zeit hatten. An einem Wochenende, als die Dreharbeiten in der Nähe von Wien waren, bat mich Axel, ob Loris bei uns bleiben könnte. Ein schwarzer Mercedes fuhr vor, Loris stieg aus, als sei er nie anders gereist, und einen Tag später holte ihn das Auto wieder ab.
Polizist
Nach dem dritten Film mit Loris – die beiden ersten erreichten ein Millionenpublikum – fragte mich ein Polizist, der mich wegen Schnellfahrens aufgehalten hatte, ob ich mit Loris Sichrovsky verwandt sei, seine beiden Kinder, mit denen er die Filme besucht hatte, würden ihn bewundern. Ich rief Axel später an und erzählte ihm das kuriose Erlebnis. Er lachte und sagte, man würde ihn ständig fragen, ob er mit Loris verwandt sei.
Vor ein paar Tagen sah ich zufällig eine Aufzeichnung des spannenden Finale der 4-x-400-Meter-Staffel der Olympischen Spiele. Einer nach dem anderen übergab den Staffelstab, manche fielen erschöpft zu Boden, schienen bereits vergessen, während der Nächste unter dem Applaus des Publikums die Runde lief. Ich dachte an uns – Vater, Sohn, Enkel –, wie wir von einer Generation zur nächsten den Stab übergeben. Jetzt dreht Loris seine Runde, bis auch er einmal vergessen sein wird.