Berthe Weill – die vergessene Galeristin der Pariser Avantgarde
Pere Manach, ein Kunsthändler aus Katalonien, brachte im Frühjahr 1900 eine Mappe mit Werken junger spanischer Künstler nach Paris. Keine der Galerien zeigte Interesse. Bis er sie Berthe Weill vorlegte. Ihr gefielen drei Pastellbilder von Stierkämpfen des 19-jährigen Picasso. Sie einigten sich auf 100 Francs. Weill verkaufte sie eine Woche später für 150 Francs und bat Manach, noch andere Arbeiten des jungen Malers zu bringen. 1909 zeigte ihre Galerie die erste Einzelausstellung von Picasso.
1865 als Tochter eines jüdischen Lumpensammlers geboren, verließ sie als Zehnjährige die Schule und half ihrer Mutter, einer Näherin. Später arbeitete sie als Verkäuferin in einem Antiquitätengeschäft, das sie 1896 nach dem Tod des Besitzers mit einem Kredit der Witwe übernahm. 1901 eröffnete sie die ‚Galerie B. Weill’ – 40 Jahre später, kurz vor dem Einmarsch der Wehrmacht, musste sie die Galerie schließen. Nur 152 Zentimeter groß, immer in schwarzer Männerkleidung, war sie in der Kunstszene für ihren derben Pariser Dialekt bekannt.
Macht Platz für die Jungen
Weill interessierte sich für junge, unbekannte Künstler. Auf ihrer Visitenkarte stand: „Place aux Jeunes!“ (Macht Platz für die Jungen!). An manchen Tagen hingen die noch feuchten Gemälde an Wäscheleinen in ihrer Galerie. „Kaufen sie Henri Matisse“, riet sie ihren Kunden, organisierte 1902 die erste Einzelausstellung für Matisse, 1914 für Diego Rivera und 1917 für Amedeo Modigliani – von der Polizei wegen Darstellung nackter Frauen gestürmt. Modiglianis Gemälde, „Nu Couché (Sur le Coté Gauche) aus dieser Ausstellung wurde 2018 bei Sotheby‘s New York für 157 Millionen US$ versteigert. 1909 verkaufte sie Picassos „Le Moulin de la Galette“ um 250 Francs. Jetzt der Stolz des Guggenheim Museums. Sie machte unbekannte Künstler berühmt, verlor sie an große Galerien, und war immer am Rande des Bankrotts. Für ihre Jahresausstellung spendeten bekannte Namen wie Dufy, Picabia und Chagall, die längst nicht mehr bei ihr ausstellten, aus Dankbarkeit ihre Bilder.
Kunstszene versorgte sie
Nach der Besetzung von Paris weigerte sich Weill, die Stadt zu verlassen, versteckte sich in ihrer winzigen Wohnung und entging nur knapp der Verhaftung durch die Gestapo. Freunde aus der Kunstszene versorgten sie. Krank, mittellos und verzweifelt erlebte sie die Befreiung 1945. Achtzig Künstler organisierten eine Auktion, spendeten eigene Werke und mit dem Erlös war Weill bis zu ihrem Tod 1951 versorgt. Ein paar Jahre später war die wohl wichtigste Galeristin des 20. Jahrhunderts vergessen. Bekannt blieben ihre männlichen Konkurrenten wie Ambroise Vollard und Daniel-Henry Kahnweiler, die mit großzügigen Angeboten Künstler von Weill übernahmen. Bis die Leiterin des ‚Grey Art Museum‘ der New York University, Lynn Gumpert, eher zufällig in einer Biografie von Picasso und einem Buch von Gertrude Stein aus dem Jahr 1933 ihren Namen entdeckte. Sie suchte in Archiven, privaten Sammlungen und Autobiografien bekannter Künstler. Ihre Dokumentation wird derzeit im ‚Grey Art Museum’ gezeigt, unter dem Titel: „Macht Platz für Berthe Weill – der Kunsthändlerin der Pariser Avantgarde.“