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Schlaglichter aus Wimbledon

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11 min
Peter Sichrovsky
©Bild: News/Ricardo Herrgott
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Auf dem 20 Minuten langen Spaziergang von der U-Bahn-Station 'Southfields' in Wimbledon bis zum Tennis-Zentrum fällt einem im Park neben der Straße eine scheinbar nie endende Warteschlange auf. Die Briten nennen es 'The Queue' für Tagestickets, die weder über Agenten noch im Vorverkauf erworben werden können. Die Regeln sind einfach. Wer früh da ist, hat die besten Chancen, eine Karte zu bekommen. Bei den Erstrunden des Turniers genügt es, sich am Abend vorher einzureihen. Am besten mit Schlafsack und einem einfachen Zelt, genügend Proviant, zu irgend einem Gott betend, dass es während der Nacht nicht regnen werde.

Versucht man sein Glück für die Finale, wird eine Nacht vor den Spielen nicht ausreichen. Es gibt Not-Toiletten, Getränke und Sandwiches werden verkauft.

Manic Monday

Für einen sogenannten 'Ground Pass' - mit dem man auf dem Gras sitzend die Spiele auf einer riesigen Leinwand beobachtet - genügt es, zwischen 2 und 4 Uhr morgens zu erscheinen. Während des Tages können Zelte, Schlafsäcke, Ess-und Kochgeschirr in eigenen Zonen verstaut werden, um sie zu dem vorgerückten Warteplatz abends abzuholen, und dort das Nachtquartier vorzubereiten. 'Manic Monday' wird der Montag der zweiten Woche bezeichnet, wenn Viertelfinal-und Semifinal-Spiele beginnen, einer der beliebtesten Tage, an dem man fast alle Top-Spieler sehen könnte. Es ist der Rekordtag der 'Queue'. Wer sich nicht Samstag frühmorgens anstellt, hat bis Montag keine Chance, ein Ticket zu bekommen.

Es gibt andere Möglichkeiten, Karten zu bekommen. Zum Beispiel die Wimbledon-Klub-Mitgliedschaft. Die Kosten sind gering, etwa 40 Euro pro Monat, Mitglied zu werden nahezu unmöglich. Der Klub hat 375 Mitglieder. Die einfachste Art ist, entweder das Turnier zu gewinnen oder einen Prinz zu heiraten. Catherine, the Duchess of Cambridge, hat es geschafft und ebenso Roger Federer. Die Nummer 375 ist kein Zufall in dieser von Geschichte geprägten Institution. Das entsprach der Anzahl der Sitze beim ersten Turnier. Ein Teil der Tickets geht an britische Tennisklubs und werden verlost. Ein Ticket zu kaufen, ohne sich anzustellen, ist ebenfalls möglich, wenn man bereit ist, für die Erstrunden-Spiele etwa 1.500 Euro auszugeben und für das Finale mindestens 6.000 Euro. Die besten Plätze sind für die Besitzer der 'Debenture Tickets' reserviert, plus eigener Parkplatz, eigener Eingang und Restaurant. Für fünf Jahre kann man um 60.000 bis 100.000 Euro einen Platz erwerben, der für alle Tage des Turniers gültig ist und den Respekt der britischen Upper-Class garantiert. Falls jemand Interesse hat, die nächste 'Debenture-Periode' beginnt 2025. Debenture-Tickets dürfen weiterverkauft werden. Für das Finale wird derzeit im Internet ein Platz um 15.000 Euro angeboten.

Rasenwalze

Wimbledon ist ein Stadtteil von London südlich der Themse, in einer Stunde mit der U-Bahn aus dem Zentrum erreichbar. Mit der Stadtgemeinde Merton hat es 170.000 Einwohner. In das ursprünglich bäuerliche Gebiet mit Feldern und Farmen zogen in den letzten hundert Jahren mehr und mehr wohlhabende Londoner aus dem Zentrum in diese hügelige und waldreiche Gegend mit herrlichen Parkanlagen. Das Zentrum mit exzellenten Restaurants, Cafés und Boutiquen hat seinen alt-britischen Charme erhalten.

Seit 1877 wird hier das 'Lawn Tennis Championship' ausgetragen, das einzige Rasentennis-Turnier. Damals wollte der Klub um zehn Pfund eine Rasenwalze kaufen, doch die Einnahmen durch Mitgliedsgebühren reichten nicht. So kam die Klubleitung auf die Idee, einen Wettbewerb zu organisieren und Eintritt zu verlangen. 1922 wurde ein Stadion gebaut, und das Turnier entwickelte sich zum berühmtesten Tennissport-Event weltweit.

Guildford

Trotz der enormen Popularität von Tennis ist es verwunderlich, dass Großbritannien wenig Top-Spieler und -Spielerinnen hat. Jedes Dorf hat seinen Tennisklub, in den Parkanlagen der Städte werden freie Plätze angeboten. Die Briten lieben eine Form von 'Social Tennis' in ihren Klubs, das soziale Element ist oft wichtiger als der sportliche Erfolg. Auch Wimbledon vermittelt eher den Eindruck eines Volksfestes.

Auf dem Weg nach Wimbledon blieb ich zwei Tage in Guildford, eine Stunde südlich von London, wo ich ein paar Jahre lebte, bevor ich nach Wien zurückkam. Mittwoch-und Freitagvormittag spielen die älteren Jahrgänge in PIT Farm, dem lokalen Tennisklub. Anders als in Wien, wo sich in Klubs Gruppen bilden, die oft damit beschäftigt sind, neue Mitglieder abzuwehren und sich abzuschließen, bieten britische Vereine eine einladende Atmosphäre. Wenn vier Spieler oder Spielerinnen den Klub erreichen, beginnen sie ein Doppel, egal wie das Niveau ist, egal, ob sie einander kennen, mögen oder nicht mögen. Punkt 12.00 Uhr wird Kaffee und Tee vorbereitet, und abwechselnd bringt jemand Kekse oder Kuchen. Am Wochenende, wenn Familien kommen, darf das älteste Mitglied des Klubs Spieler und Spielerinnen einteilen. Sonntag um 16:00 Uhr läutet eine Glocke. Die Spiele werden für 30 Minuten unterbrochen, und man sitzt und quatscht im Klubhaus bei Tee, Kaffee und Kuchen.

Skones

In Wimbledon teilen nicht alle Bewohner und Bewohnerinnen die weltweite Begeisterung. Gegen neue Pläne, auf dem Golfplatz neben dem Tenniszentrum 38 neue Tennisplätze, ein Stadion mit 8.000 Sitzen, Restaurants und Parklätze zu bauen, die weit in den nahegelegenen Park reichen, formierte sich eine Bewegung mit Petitionen, Unterschriftenlisten und Anträgen in der Stadtverwaltung, dieses gigantische Vorhaben zu blockieren.

John, der ein kleines Café auf der Hauptstraße betreibt, mit den besten Skones, die mit Cream und Marmelade serviert werden, unterstützt die Petition. Das Tennisturnier bringe für ganze zwei Wochen im Jahr mehr Umsatz, erklärt er, biete jedoch den Bewohnern sonst wenig Vorteile. Sie würden keine Karten bekommen und könnten die Anlage nicht benützen.

Doch das Management des Tennisklubs ist optimistisch, bald mit der Erweiterung zu beginnen.

Tradition

Einen Tisch in den wenigen Restaurants innerhalb der Tennisarena muss man Tage vorher buchen und einen Kaffee zu bekommen, ist schwierig, höchstens im Café Pergola, wenn man das Glück hat, einen freien Sessel zu finden und nicht im Keller-Café mit den Vertretern der Presse sitzen möchte. Ein älterer Herr mit Sonnenhut und hellem Sakko, dunkelblauer Hose und zur Krawatte passendem Stecktuch, der alleine an einem Tisch saß, bot mir den Sessel neben sich an, nachdem ich mehrmals vor dem Café auf und ab ging. Er studierte meine Presse-Karte, die ich an einer Schnur um den Hals trug und fragte mich, woher ich käme. Er sei seit Jahren hier, erzählte er, kaufe alle fünf Jahre ein 'Debenture-Ticket', möchte jedoch 2025 keines mehr erwerben.

Auf meine Frage, ob er es nicht vermissen werde, sagte er, das Tennisniveau sei fantastisch, nirgendwo könne man besseres Tennis sehen. Gras als Spielfeld zeige mit den modernen Schlägern und neuer Bespannung das schnellste Tennis. Er ertrage jedoch das heutige Publikum nicht mehr. Männer und auch Frauen kämen in Jogginghosen und T-Shirt und zeigten ein neues, unerträgliches Benehmen während der Spiele. Er erklärte mir die Tradition des Klatschens, des Rufens, die 'zivilisierte' Form, Begeisterung zu zeigen und sagte: "Die Wimbledon-Tradition bedeutet, dass man einen guten Ball beklatscht und nicht den Fehler des anderen Spielers bejubelt oder ihn durch Zwischenrufe versucht zu stören. Während des Service sollte absolute Ruhe herrschen, auch das werde nicht mehr respektiert. Das heutige Hinein-Schreien ist unerträglich. Seit sogar auf Doppelfehler mit Hurrarufen reagiert wird, hab ich das Interesse verloren. Ich schau es mir in Zukunft im Fernsehen an und dreh den Ton ab." Als ich nichtssagend bemerkte, dass sich die Zeiten oft nicht zum Besseren ändern würden, lächelte er und sagte: "Wir Briten hängen an unserer Tradition, dafür bewundert man uns, doch es kann auch mühsam sein, als Museum durch den Tag zu gehen."

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