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Die Ruinen vom Semmering erwachen

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Kultur - Die Ruinen vom Semmering erwachen

©Matt Observe
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Das komatöse Panhans wird neuer Schauplatz eines bewährten Klassik-Festivals. Und im Südbahnhotel gehen ab Sommer zwei Tollkühne ans Werk: Ingrid Skovhus und Stefan Wollmann haben die Staatsoper verlassen, um am traditionsschweren Semmering einen ganzjährigen Kulturbetrieb zu etablieren. Die Skepsis ist groß. Die Zuversicht auch.

Die Fuchs- und Hasenpopulation, deren Kernbiotop man über Jahrzehnte im südlichen niederösterreichischen Bergland verortet hat, muss sich zum Gute-Nacht-Sagen schon länger in unwegsamere Gebiete zurückziehen: Am Semmering wird gebaut, und die mythenstarren Hotelmumien geben mehr als bloße Lebenszeichen. Das Panhans, 2012 nach langem Siechtum ins Koma der Insolvenz befördert, wird seit 2017 von einer ukrainischen Investorengruppe in den Originalzustand versetzt. Nichts als gute Nachrichten will der Pianist Florian Krumpöck, 44, da übermittelt wissen. Innen sei die Aura der Jahre vor und nach dem Ersten Weltkrieg, als hier Schnitzler, Karl Kraus, Peter Altenberg, Adolf Loos (sowie 1909 der Kaiser) Quartier nahmen, schon wiederhergestellt. Verzaubert wie im Kino komme man sich vor.

Der Platzhirsch röhrt im Panhans

Vor kurzem noch standen die Eigentümer aus dem Kreis um den ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskij in mehr als beschattetem Ruf. Die Pandemie, welche die verkündete Wiedereröffnung ann0 2020 hinfällig werden ließ, sei aus der Sicht der Eigner noch ein Glück gewesen, wurde gar angedeutet. Jetzt fällt auf den Selenskyj-Intimus Kolomojskij auf Grund tragischer Entwicklungen genügend Licht, um die Verhältnisse umzukehren. Und selbstverständlich werde man mit einem großzügig bemessenen Benefizkonzert in die neue Zeit gehen, versichert Krumpöck. Die neue Zeit beginnt am 8. Juli und endet am 3. September, und ihr Name ist unverändert "Kultur.Sommer.Semmering".

Die Künstler kriege ich auch ohne meinen Gemahl. Mein Netzwerk ist riesengroß

Nur der Ort ist neu, seit dem Intendanten Anfang 2022 das seit 2015 bespielte Südbahnhotel aufgekündigt wurde: Der Immobilieninvestor und Kultursponsor Christian Zeller (er fördert auch das in Etablierung befindliche Sängerstudio der Volksoper) hatte sich mit Krumpöck nicht einigen wollen und stellte im Jänner das neue Leitungs-Duo Ingrid Skovhus (Kunst) und Stefan Wollmann (Geschäft) vor.

Krumpöck, der schon zu Pandemiezeiten gegen die Kulturschließungen die Posaune von Jericho in Betrieb genommen hatte, ist indes keiner, der aufgibt. Nach harschem Protest präsentierte er das Panhans als neuen Austragungsort und verdoppelte bei dieser Gelegenheit das Programmaufkommen. Mehr als 40 tadellose Namen finden sich da, fast alle aus dem schauspielerischen Bereich: Brandauer, Senta Berger, Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Josef Hader, Elisabeth Orth, Peter Simonischek, Caroline Peters ... In Diensten der Musik fallen außer Michael Schade, Günther Groissböck, Angelika Kirchschlager und Elisabeth Leonskaja vergleichsweise wenige auf.

Das Südbahnhotel erwacht

Die neue Konkurrenz im Südbahnhotel hielt unverzüglich dagegen: Was im Jänner noch "Sommernächte im Südbahnhotel" hieß, soll sich mit Beginn am 15. Juli zum ganzjährigen Programm auswachsen. Im ersten regulären Jahr 2023 will die neue Südbahnhotel-Kultur-GmbH an 100 Spieltagen - wesentlich wochenends - 20.000 Eintrittskarten absetzen.

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DAS SÜDBAHNHOTEL. Hier verkehrte die Welt vor und nach dem Ersten Weltkrieg. 1882 eröffnet, verlor das Südbahnhotel in der Zweiten Republik jede Relevanz

 © Christine Khom

Dass Skovhus und Wollmann dafür die Sicherheit gut dotierter Funktionen an der Wiener Staatsoper aufgaben, wurde mancherorts zwischentonreich kommentiert: Von Wollmann, zuvor bei den Wiener und den Berliner Festwochen tätig und von Staatsoperndirektor Bogdan Roscic für Marketing- und Sp0nsoring-Belange verpflichtet, habe man sich in der Pandemie mehr erhofft, meckert es zart aus der Oper. Die österreichische Gattin des Baritons Bo Skovhus dagegen -sie leitete einst mit Fortüne das Wiener Karajan-Centrum, bis es der Titanenwitwe Eliette zu teuer wurde -habe mit anerkennenswertem Resultat einen Staatsopern-Freundeskreis gegründet. Dies allerdings unter Düpierung des einfluss- und mitgliederreichen Opernfreunde-Vereins, auf dessen Abnahmegarantien man in pandemischer Problemzeit nun leider nicht mehr zugreifen könne.

Ein ganzes Jahr Programm

Man stehe mit der Oper in bestem Einvernehmen, versichern beide, habe dort in unfreundlicher Zeit die Sponsoren halten und die Zusammenarbeit noch intensivieren können. Speziell der Freundeskreis sei ein unbeeinspruchter Erfolg.

"Was aber für uns noch stärker gewogen hat, war, eine eigene Firma auf die Beine zu stellen", versichert Wollmann. Und Ingrid Skovhus ergänzt: "Man muss im Leben riskieren." Da kann man ihr nur zustimmen. 60 Prozent Karteneinnahmen, 25 Prozent Fundraising, 15 Prozent öffentliche Förderung, skizziert Wollmann das Geschäftsmodell. 800.000 bis 900.000 Euro müssten pro Jahr eingenommen werden, um die Kosten zu decken.

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DER WALDHOFSAAL. Hier bespielte Florian Krumpöck ab 2015 Sommer für Sommer das verfallende Südbahnhotel. Jetzt übernahm ein neuer Eigentümer. 2025 soll eröffnet werden

 © Christine Khom

Das Ziel ist ehrgeizig: Zwar kann die neue Südbahnhotel-Kultur-GmbH laut News-Information verbindlich mit einer Zuwendung des Landes Niederösterreich rechnen. Die werde allerdings nicht höher sein als die des Konkurrenzunternehmens im Panhans, wo man für zwei Monate Spielbetrieb wie bisher mit 80.000 Euro beschieden wird. Diese Summe eingerechnet, wären nach dem Wollmann-Schlüssel im Idealfall Gesamteinnahmen von 530.000 Euro zu erwarten. Deshalb wird man nächstens auch beim Bund vorstellig werden. Und wenn man dort kein Gehör findet? "Wir freuen uns über Unterstützung, wissen aber, dass wir mitten im laufenden Jahr sind - es kann also auch sein, dass erst nächstes Jahr Unterstützung kommt", sagt Wollmann. "Aber in allererster Linie vertrauen wir auf unsere eigene Kraft und unsere Fähigkeiten, private Mittel aufzustellen, die wir schon oft unter Beweis stellen konnten. Wir sind eine gemeinnützige GmbH und nicht auf Gewinn aus. Jeder Euro, den wir hereinbekommen, wird reinvestiert. Wir brauchen also ein extrem attraktives Programm."

Das allerdings unter Auflagen zu erstellen sein wird. "Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass nicht unter Einsatz von Steuergeld eine Konkurrenzsituation entsteht", lässt sich Paul Gessl, Geschäftsführer der Niederösterreichischen Kulturholding, zitieren. Auch auf die nahen Festspiele von Reichenau sei Rücksicht zu nehmen. Und das, deutet wiederum Krumpöck an, könnte kompliziert werden. Sei doch die Elite schon bei ihm unter Vertrag und zum Wechseln mitnichten bereit.

Da nimmt Ingrid Skovhus beherzt ihren Part des Gesprächs wahr. Ein Klassik-Programm, das infolge ihrer biografischen Umstände naheläge? "Es bleibt nicht bei der Klassik! Es wird ein Kultur-,Natur-, Gastronomie-, Sport-und ganz hoch oben ein Wissenschaftsprogramm geben." Letztgenanntes in der Spezialdisziplin Musiktherapie, mit dem Ziel, ein eigenes Zentrum zu etablieren. "Wir haben festgestellt, dass sich die Freizeitaktivitäten in den letzten eineinhalb Jahren geändert haben", fährt sie fort. "Durch die Pandemie ist ein Trend entstanden, mit der ganzen Familie hinauszufahren. Und da werden wir ansetzen, viele Formate für die ganze Familie anbieten. Natur und Sport sind große Themen. Es geht um die Verzauberung, auch durch die Natur. Wir bieten sportliche Aktivitäten in Kombination mit Literatur, Musik, Architektur an."

Burg, Oper, Philharmoniker

Um Terminkollisionen mit der Konkurrenz zu vermeiden, wird man vieles in den Nachmittag verlegen. Mit dem nahen Traditionsfestival von Reichenau, das sich mehrfach ins Südbahnhotel erweitert hat, ist Kooperation schon angebahnt. Solche sucht man auch mit den Philharmonikern, der Staatsoper, dem Burgtheater, der Volksoper, der Grazer Oper, den Neuberger Kulturtagen. Und Wollmann war auch schon beim alten Arbeitgeber Barenboim in Berlin vorstellig.

Dieses Kooperationsprinzip ist essentiell, denn so kann man sich eventuell auch Kräfte leisten, die bei einem Fassungsvermögen von 350 Plätzen - erweiterbar auf 400 im Speisesaal, wenn das Hotel 2025 den Betrieb aufnimmt - sonst unerschwinglich wären. Einen Musiker der Weltelite für einen Meisterkurs gewinnen oder ihm die Möglichkeit eröffnen, in kleinem Rahmen etwas auszuprobieren: Das könnte ein Weg sein. Bildende Künstler sollen im Südbahnhotel residieren, ausstellen und lehren, Schriftsteller und Musiker interdisziplinäre Projekte verantworten. Und immer will man auf das Ganze sehen: Eine Tanzschule wird Kurse anbieten, und wer weder den Eislaufplatz nutzen noch sich unter kundiger Führung per E-Bike an die historischen Orte der Region bemühen will, kann im Spielezimmer Beschaulichkeit finden.

Und Anna Netrebko?

Ob man sich, mit Hilfe eines Mäzens, auch der künftig leichter verfügbaren Netrebko versichern würde? "Das", sagt Wollmann, "hängt davon ab, ob sie sich selbst ausschließt. Sie hat Putin aufgerufen, mit dem Krieg aufzuhören, und das Posting gleich wieder gelöscht." Das, ergänzt Ingrid Skovhus, habe auch sie nicht glücklich gemacht. "Aber meine Solidarität ist mit allen Künstlern. Auch mit den russischen. Warum sollen Menschen, die nichts getan haben, nicht mehr auftreten dürfen?"

Wird also am Ende der Konzepte nicht doch die Klassik im Südbahnhotel den Hauptwohnsitz nehmen? Bei dem konkurrenzarmen Telefonbuch des weltrenommierten Gemahls? Da wird Ingrid Skovhus deutlich. "Die Künstler kriege ich alle auch ohne meinen Gemahl! Ich bin seit 25 Jahren in dem Geschäft, mein Netzwerk ist riesengroß!" Um dann das zuvor formulierte Lebensprinzip zuzuschleifen: "Risiken schärfen die Sinne." Dass es im Reich der Sinne gefährlich werden kann, ist bekannt.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 10/2022.

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