Der letzte Kunde hing mit dem Kopf in der Schlinge. Seine Lippen liefen blau an, seine Augen wurden rot. Ein paar Mal zuckte sein schlaffer, nackter Körper. Die Prostituierte Pamela Fuchs stand regungslos vor ihm, dann verließ sie das Hotelzimmer. Sie schloss die Tür und hängte ein "Bitte nicht stören"-Schild an den Haken. Genauso hatte es sich der Kunde von der Domina gewünscht. Er hatte die Schlinge befohlen, er wollte bewusstlos werden, er wollte, dass sie das Zimmer verlässt.
Ja, das kam ihr seltsam vor, sagte sie später. Deshalb hatte sich Pamela Fuchs vorher den Sonderwunsch unterschreiben lassen. Zehn Jahre in der Prostitution lehrten sie: Der Kunde ist König. Doch dieser König starb. Pamela Fuchs wurde wegen absichtlich schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Ein mildes Urteil. Der Richter wertete die Tatsache, dass sie die Polizei alarmierte, als Reue. Fuchs stieg nach dem Unfall aus der Sexarbeit aus. Doch ihre Geschichte lässt sie nicht los. Eine Geschichte der Erniedrigung, Bezahlung und Würde als Prostituierte.
Tanz auf dem Kreisel
Ein Jahr nach dem Prozess steht die 29-Jährige in der Raaber-Bahn-Peepshow im zehnten Wiener Gemeindebezirk, der ältesten Peepshow der Hauptstadt. Es riecht nach Schweiß, Putzmitteln und Fliederparfüm. Die zierliche Pamela Fuchs rennt hektisch durch das Labyrinth der Lust. Ein Raum ohne Fenster, mit rotem Teppich ausgelegt, die Wände schwarz. In der Mitte bilden mehrere rot lackierte Kabinen ein Rondell. Mistkübel quellen mit Taschentüchern über. An den Wänden kleben eingetrocknete weiße Flecken. "Bitte, fasst nichts an. Es tut mir leid, dass es so ausschaut. Bald soll renoviert werden", sagt die Wienerin.
Sie kann selbst nicht glauben, dass dies ihr Arbeitsplatz war. Acht Euro ist der Mindesteinwurf im Automaten rechts neben einem verdunkelten Fenster in der Kabine. Schmeißt man das Geld rein, öffnet sich das Rollo davor und der Gast kann ins Innere des Kreises schauen. Eine Plattform, mit Tiger-Stoff bezogen, beginnt sich zu Musik zu drehen. Eine junge Frau in High Heels und hellblauem Frottee-Bademantel tritt auf. Sie zieht den Mantel aus, breitet ihn unter sich aus, legt sich drauf und beginnt sich zu räkeln. Genauso hat Pamela Fuchs vor zehn Jahren auch angefangen.
Wer sexuelle Dienstleistungen in Österreich anbietet, muss sich bei der Polizei anmelden und alle sechs Wochen zur Untersuchung gehen. Aktuell sind mehr als 7.000 Prostituierte registriert, etwa die Hälfte davon in Wien. Da sich die wenigsten Prostituierten wieder abmelden, wenn sie das Land verlassen oder einen neuen Job haben, schätzen Experten die tatsächliche Anzahl in Wien auf 1.800. In 354 Etablissements darf in der Hauptstadt Prostitution vollzogen werden. Im Jahr 2012 waren es nur 25. Dass es damals so wenige waren, lag an einem neuen Prostitutionsgesetz. Viele Lokale mussten schließen, weil sie die neuen technischen Voraussetzungen wie Alarmanlagen, Rauchmelder und Fluchtwege nicht erfüllten. Mittlerweile haben alle aufgerüstet.
Verdeckte Ermittler
Wolfgang Langer und sein rund 80-köpfiges Team kontrollieren diese Lokale mindestens zwei Mal im Jahr. Normalen Streifenpolizisten ist das untersagt. Langer leitet die Meldestelle für Prostitutionsangelegenheiten. Ein großer Typ mit sportlicher Figur und stahlblauen Augen. Fotografieren lässt sich der 53-Jährige nicht. Er muss als verdeckter Ermittler unerkannt bleiben, wenn er Menschenhändlern auf die Spur kommen will. "Frauen, die diesen Job freiwillig und gerne machen, kann ich an einer Hand abzählen", sagt Langer. Der Großteil sei Armutsprostitution. "Das sind Frauen aus dem rumänischen, bulgarischen Raum, die so niederschwellig ausgebildet sind, dass sie denken, nur so ihr Geld verdienen zu können." Er hört oft Geschichten von Frauen, die nicht wissen, was sie essen oder wie sie ihre Miete bezahlen sollen.
Auch strafrechtlich relevante Zwangsprostitution gibt es in Wien. Langer schätzt, dass hier etwa 50 bis 60 Prostituierte mit dem Umbringen bedroht werden, deren Kinder bedroht werden, deren Pass abgenommen wird. Eine Rettung ist schwierig. "Diese Frauen sagen nur aus, wenn es ihnen schlechter geht als zuvor. Das heißt, wenn eine Frau in China in einem Bordell gearbeitet hat, wo die Maden durchrennen und ihr einziger Besitz eine Dose Nagellack ist, wird sie nicht aussagen. Denn in Wien hat sie meistens ein Handy, bekommt Essen und vielleicht hin und wieder eine gefälschte Gucci-Tasche."
Ohne Aussage kaum Chance auf Ermittlungserfolg. Selbst wenn: Welche Optionen haben diese Frauen in einem fremden Land mit einer fremden Sprache und ohne einen Menschen, der es gut mit ihnen meint?
Pamela Fuchs wurde nicht zur Prostitution gezwungen. Zumindest nicht so, dass sie jemanden anzeigen könnte. Damals war sie 19 Jahre alt, machte eine Lehre zur Friseurin und verliebte sich in den Kassier einer Peepshow. Er sah gut aus und fuhr einen Mercedes. Das beeindruckte sie. Drei Monate war alles schön. Dann begann er, von den Frauen in der Peepshow zu erzählen, die immer viel Geld hätten und den ganzen Tag nur "Mädchensachen" machen würden. Er stellte Pamela Fuchs vor die Wahl: "Ich kann nicht mit einer normalen Frau zusammen sein. Entweder beendest du deine Lehre und arbeitest als Prostituierte, oder ich mach Schluss."
Pamela Fuchs sagt heute, dass sie naiv und verliebt war. Sie kündigte im Friseursalon und kaufte ihre erste "Ausstattung". Unterwäsche, Kondome, Gleitgel, Vibrator. Sie ließ erotische Fotos von sich machen, um potentielle Kunden im Lokal schon auf der Anzeigentafel zu gewinnen. An einem Märztag 2007 begleitete sie ihr Freund zum ersten Mal zu ihrem neuen Arbeitsplatz. "Ich habe nicht nachgedacht. Ich wollte ihn nicht verlieren", sagt Pamela Fuchs. Im Aufenthaltsraum der Frauen zog sie sich die Spitzenunterwäsche an, ließ sich noch ein paar Bewegungen der Kolleginnen zeigen und betrat zum ersten Mal als Nummer zehn den Tanzkreisel. "Das war schwer. Im Liegen ausziehen, tanzen, ich habe gezittert und hatte Angst, dass es jemand sieht." Als der erste Kunde anspringt, muss Pamela Fuchs in die Solokabine. Den Ort, wo ein Mann eine Frau für sexuelle Dienstleistungen bezahlt. "Ich saß verklemmt da. Hab mit meinen Händen versucht alles zu verstecken, was nur ging." Am Ende ihres ersten Arbeitstages in diesem Gewerbe hatte sie 50 Euro mehr verdient, als nach einem Monat während der Lehre. "Da wusste ich, dass ich es kann."
Domina als Therapie
Prostitution hat viele Gesichter. Manche Frauen und Männer bieten sich in Lokalen an, andere auf der Straße, einige machen Hausbesuche oder mieten ein Zimmer in Laufhäusern. Das Rotlicht ist nicht rot, sondern bunt. Bei Herrin Angel ist es schwarz. Die 52-jährige Wienerin betreibt ein eigenes Domina-Studio in Wien-Ottakring. Zwei Zimmer mit Lackbett und einer Liege wie beim Arzt. Ketten hängen von den Wänden, Kerzen beleuchten den Raum. Gummimasken stehen auf Regalen. "Hier ist nichts Deko. Das wird alles benutzt. Je nach Vorliebe", sagt Herrin Angel. Ganz normalen Geschlechtsverkehr gibt es bei ihr nicht. Sie möchte anonym bleiben, weil sie ein Doppelleben führt. Tagsüber arbeitet sie als Therapeutin, ihre Familie weiß nichts von dem Nebenjob. Den macht sie freiwillig. Nicht aus Geldsorgen, nicht aus Zwang. Sie komme aus einem strengen Elternhaus, wo Sexualität ein Tabu war. Umso mehr will sie sie jetzt leben. Ihre Kunden seien häufig Missbrauchsopfer. "Das sind oft Männer, die ihre Kindheitserlebnisse nachspielen, um sich damit zu therapieren", sagt die 52-Jährige. Sie nimmt ihren Job als Domina ernst: "Die Kunden legen ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen in meine Hände. Damit muss ich vorsichtig umgehen."
Wenige wollen Kuschelsex
Vor dem Kontakt-Zentrum in Wien-Donaustadt blühen Geranien. Über den Hinterhof gelangt man zum Eingang des Laufhauses. Hier sind die Gänge sauber und hell. Über den Türen leuchten Lämpchen in Rot und Grün. Über zwei Etagen werden Zimmer an Prostituierte vermietet, die hier ihre Kunden empfangen können. 330 Euro pro Woche kostet das. Bett, Tisch, Stühle, Schrank, Dusche. Alle Räume sind gleich eingerichtet. Der Vermieter war in der Immobilienbranche tätig. Er möchte anonym bleiben, weil er mit vielen Politikern zu tun habe. "Mit normalen Mieten habe ich zu wenig verdient, also habe ich umgesattelt", sagt er. Er sieht sich eher als Hotelier. Von zehn bis 24 Uhr ist geöffnet. "Danach kommen nur noch Betrunkene, und die brauchen wir hier nicht."
Auf der anderen Seite der Stadt beginnt das Geschäft dann, wenn im Laufhaus die Lichter ausgehen. Auf der Brunner Straße in Liesing ist Prostitution erlaubt. Hier stehen Frauen in High Heels und Jeans im Schein der Laternen zwischen geparkten Lkw. Ein Audi-SUV fährt langsamer und hält vor einer jungen Frau. Sie bleibt vor dem Seitenfenster stehen, kurzes Gespräch, dann steigt sie ein. Weg sind sie. Eine der Frauen, die hier ihre Dienste anbietet, heißt Mariezka. Die 30-Jährige stammt aus Bukarest, Rumänien, und verdient seit zwei Jahren Geld mit Prostitution. "Leben ist nicht so einfach, und welcher Job ist schon gut?", sagt die Rumänin und zuckt mit den Schultern. Ihre Kunden seien nett zu ihr, und zu jemandem, der ihr nicht gefällt, steige sie nicht ins Auto. Während Mariezka erzählt, stoppt die Polizei neben ihr. "Alles ok bei Ihnen?", fragen die Beamten. "Ja, alles ok", sagt Mariezka. "Die Polizei fährt mehrmals in der Nacht vorbei und schaut, ob alles passt. Das ist gut", sagt sie und zieht weiter.
Schätzungen zufolge werden in dem Gewerbe in Wien jährlich mehr als 100 Millionen Euro umgesetzt. Die Angebote sind so vielfältig wie die Wünsche der Kunden. Sexualtherapeutin Daniela Renn weiß: "Die Motivationen, sexuelle Leistungen von Prostituierten anzunehmen, sind unterschiedlich. Es gibt nicht den klassischen oder typischen Kunden." Die Kundschaft ziehe sich quer durch alle Bildungsund Sozialschichten. In ihrer Ordination erlebe sie Männer und Frauen, die in festen Beziehungen leben und trotzdem hin und wieder den "sexuellen Kick" suchen, wie es ihre Patienten ausdrücken. Bei anderen ginge es um spezielle sexuelle Vorlieben, und wieder andere hätten schlicht keine Beziehung und möchten trotzdem Sexualität zu zweit leben.
Pamela Fuchs wunderte sich oft über die Wünsche ihrer Kunden. Wie den Geschäftsmann, der gerne gewickelt wurde und ein Fläschchen bekam. Oder den Kunden, der nackt vor den Frauen stand und ausgelacht werden wollte. "Diese Sonderwünsche waren irgendwann normal. Die wenigsten möchten Kuschelsex", sagt Pamela Fuchs.
Immer wieder versuchte sie, der Branche zu entfliehen. Einmal als Nageldesignerin. Doch als ihr der neue Chef ein sexuelles Angebot machte, weil er sie aus der Peepshow kannte, kündigte Pamela Fuchs und lebte so lange vom Ersparten, bis sie wieder Geld brauchte. Sie sah keinen anderen Ausweg als die Prostitution.
Ein zweites Mal packte sie ihre Sachen, als ihre Mutter an Krebs erkrankte. Pamela Fuchs pflegte sie bis zum Tod. Dann war sie wieder pleite. Also wieder Sex-Arbeit. Doch dieses Mal protestierte ihre jüngere Schwester. Sie habe schon die Mutter verloren, sie wollte nicht auch noch Pamela verlieren. Fuchs überlegte sich eine Alternative. Die Idee: Domina im Escort- Bereich, also auf Bestellung in Hotelzimmern. Von nun an bot sie statt Geschlechtsverkehr Sklavenerziehung, Atemreduktionen und Wachsspiele an.
Neues Selbstvertrauen
Dass der Ausstieg aus der Prostitution schwerfällt, wissen die Sozialarbeiterinnen von Sophie, einem Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen der Volkshilfe Wien. "Das ist eine Arbeit, wo sich viele Frauen die Zeit frei einteilen und, wenn sie gute Geschäftsfrauen sind, viel Geld verdienen können", sagt Anna Szabo. Seit zwölf Jahren begleitet die gebürtige Rumänin Frauen in die Prostitution und wieder heraus. "Am Anfang haben die Frauen Fragen zu ihren Rechten und Pflichten. Dann kann es irgendwann um Schwangerschaft, Krankheit, Stalking oder Kinderbetreuung gehen. Und wenn eine Frau aussteigen will, versuchen wir, ihr Alternativen aufzuzeigen." Die Selbstabwertung der Frauen positiv umzuwandeln ist das Hauptziel von Sophie. "Geht es zum Beispiel darum, einen Lebenslauf zu schreiben, dann machen wir den Frauen klar, dass sie sehr wohl Kompetenzen in den vergangenen Jahren erworben haben. Nämlich Verhandlungsgeschick und den Umgang mit Menschen", sagt Eva van Rahden, die Leiterin der Einrichtungsstelle.
Neues Vertrauen zu sich selbst zu haben, neue Kontakte aufzubauen, die nichts mit dem Gewerbe zu tun haben. All das fällt vielen Frauen und Männern schwer. All das macht ihren Ausstieg so hart.
Pamela Fuchs will es ein drittes Mal versuchen. Für sie war der Tod ihres Kunden ein trauriger Weckruf. Die vielen Fragen der Boulevardpresse danach, der Gerichtsprozess. Sie hat ihre Erlebnisse aufgeschrieben. In dem Buch "Todesdomina" verarbeitet sie die vergangenen zehn Jahre. Ein letztes Mal rennt sie durch die Kabinen in der Raaber-Bahn-Peepshow auf der Suche nach Desinfektionsmitteln. Sie will ihre Hände sauber machen. "Hey, hier ist alles leer", schreit sie dem neuen Kassier zu. Dann eben Händewaschen, es soll nichts an ihr haften bleiben, wenn sie das Lokal verlässt. "Mit diesem Kapitel bin ich fertig, hoffentlich."
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