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Roman als Aufklärungsarbeit: "Die letzten Tage" im April 45

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Autor zeigt grausigen Mechanismus von sprachlicher Distanzierung
©APA/Verlag Jung und Jung
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Es ist eine seltsame Sprache, mit der da über Tod und Leben verhandelt wird. Geschwollen und gewunden werden Urteile ebenso formuliert wie Gnadengesuche. Es ist eine Sprache, die Martin Prinz auch auf die Erzählebene abfärben lässt. Erzählt wird über "Die letzten Tage" des Zweiten Weltkriegs, als in Niederösterreich kurz vor der Befreiung noch reihenweise Todesurteile verhängt und vollstreckt wurden. Am Donnerstag erscheint der Roman, an dem nichts erfunden ist.

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Einen "erschütternden Tatsachenroman über einen einzigartigen Fall österreichischer Zeitgeschichte" nennt der Verlag das Buch, für das der Autor sich durch tausende Seiten Akten und Verhörprotokolle kämpfte. Dass in den letzten Tagen des NS-Regimes, als jedem klar sein musste, dass das vorzeitige Ende des "Tausendjährigen Reiches" nur noch eine Frage von Stunden war, noch unzählige Menschen als Volksverräter und Fahnenflüchtlinge umgebracht wurden, ist leider kein Einzelfall. Einzigartig macht "Die letzten Tage" jedoch die von Prinz gewählte Erzählweise.

Schon kurz nach Beginn wird eine exemplarische Begebenheit geschildert: Ein 16-Jähriger wird standrechtlich zum Tod verurteilt und soll erschossen werden. Der Verzweifelte gerät außer sich, schreit um sein Leben, ruft nach Hilfe und nach seiner Mama und hängt sich weinend an den Befehlshaber des Hinrichtungspelotons, in der Hoffnung, dass in dessen Nähe niemand einen Schuss riskieren würde. Der Offizier zückt selbst die Pistole und macht dem Drama ein Ende. Eine herzzerreißende Szene. Sie bleibt erratisch in einem Buch, das nicht auf Empathie, sondern auf Distanz setzt; in einem Buch, das sich weniger dem Grauen der Taten als dem Schrecken der Sprache widmet.

Was in den Apriltagen 1945 in der idyllischen Landschaft des Semmeringgebiets, als die Rote Armee ihren Vormarsch plötzlich in Reichenau stoppt und darauf verzichtet, über das Höllental weiter nach Schwarzau vorzustoßen, wirklich im Detail passiert, darüber verliert der Leser schon bald den Überblick. Prinz verzichtet auf chronologische Erzählweise und nachvollziehbare Etablierung und Entwicklung von Figuren und Handlung.

Er mischt Aussagen und Akten und setzt den Versuchen des Volksgerichtshofes von 1947, dessen umfangreiche Dokumentation ihm als Quelle dient, die Ereignisse zu rekonstruieren, die Bemühungen der Verurteilten, sich dem Vollzug der Strafe zu entziehen, entgegen. Recht und Unrecht vermischen sich in einem Sprachgemenge, in dem es keine Täter und keine Taten mehr gibt, sondern nur noch Umstände, denen man sich eben nicht entziehen konnte.

Der 1973 geborene Autor hat sich immer wieder von wahren historischen Ereignissen inspirieren lassen, vom Bankräuber Pumpgun-Ronnie in seinem Debüt "Der Räuber" bis zur "roten Habsburgerin" Elisabeth Petznek in "Die letzte Prinzessin". Noch nie aber hat er seinem Material so viel Raum gegeben, um einen Mechanismus herauszuarbeiten. Das macht die Lektüre nicht leicht. Immer wieder versucht man, sich zu konzentrieren und Hinweise zu finden: Was wird den Menschen, die vor das Standgericht treten müssen, eigentlich vorgeworfen? Darüber bleiben die Leser ebenso im Unklaren wie die Angeklagten.

Auch bei der späteren gerichtlichen Aufarbeitung werden mit größerer Akribie die juristischen Fragen rund um die Ein- und Zusammensetzung der Standgerichte als die Vorwürfe, die zu drakonischen Strafen führten, erörtert. Die sprachlichen Nebelgranaten leisten ganze Arbeit: Schuld, ja Sühne gar? Keine Rede. Wen die Pflicht ruft, der darf getrost Verantwortung abgeben. "Die letzten Tage" ist kein Tatsachenroman. Es ist ein Stück Aufklärungsarbeit.

(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E - Martin Prinz: "Die letzten Tage", Verlag Jung und Jung, 272 Seiten, 24 Euro, Buchpräsentation: 5.3., 19 Uhr, im Literaturhaus Wien, 7., Seidengasse 13)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/Verlag Jung und Jung

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