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Die Revolution der alten Damen

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Die Klimaseniorinnen
©Bild: Elke Hegemann/FORWARD
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Sie erkämpfen historische Siege in der Klimapolitik und formieren soziale Bewegungen: Seniorinnen im Widerstand, die weder Straße noch Gerichtsprozesse scheuen. Die Oma-Generation fordert und findet Gehör in der Gesellschaft. Wieso gehen gerade sie auf die Barrikaden? Eine Erklärung.

Acht Jahre lang haben Schweizer Seniorinnen für Klimaschutz geklagt und sich dafür eingesetzt, dass der Staat auch Maßnahmen gegen die Klimakrise setzen muss. Nun hatten sie damit Erfolg. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gab ihnen Recht. Eine Entscheidung mit großer Tragweite für künftige Klimaschutzklagen. Mit ihrem Aktivismus sind die Schweizerinnen nicht alleine. Frauen ihrer Generation gründen Bewegungen, setzen sich für Klimaschutz und Demokratieerhalt ein. Die Seniorinnen aus der Babyboomer-Generation sind zwischen 1946 und 1964 geboren – und immer öfter im Widerstand. Ihre Pension verbringen sie nicht beschaulich strickend, wie es dem Klischee entspricht, sondern sie betreiben Aktivismus. Sie sind Omas auf den Barrikaden, die ihren Enkelkindern eine Zukunft hinterlassen wollen, die sie für lebenswert halten. Politisch aktive Seniorinnen machen Schlagzeilen, wirbeln auf und brechen mit dem Image der alten zurückgezogenen Oma.

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Die Klima-Seniorinnen © Shervine Nafissi / Greenpeace

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Die richtige Generation

Den Kontext dieses Phänomens bilden Frauen der Babyboomer-Generation. Aufgewachsen sind sie in einer Ära des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg und während des wirtschaftlichen Au fschwungs Österreichs, Deutschlands und der Schweiz. Im Westen war ihre Generation die erste, die ihr ganzes Leben in einer Demokratie verbrachte und somit die Schrecken von Diktaturen, in denen jede Form von Protest verboten oder sogar lebensgefährlich sein konnte, nicht mehr unmittelbar in Erinnerung hat. Die Rede ist von Frauen, die sich erstmalig privat, beruflich und auch politisch emanzipieren konnten. Das prägte ihre Einstellungen und Werte. Das prägte auch ihre ökonomische Situation. Statistisch sind Angehörige dieser Generation die vermögendste in der Gesellschaft.

Rosmarie Wydler-Wälti ist das Gesicht der Klima-Seniorinnen. Sie und ihre 2.500 Mitstreiterinnen im Oma-Alter gingen einen jahrelangen Kampf für Klimaschutz ein. Über Aktivismus im Alter sagt sie: "Wir sind selbstständige alte Frauen, weil wir die Generation des Feminismus sind." So erklärt das auch der Sozialwissenschaftler Ulrich Brand von der Universität Wien. Er spricht von Voraussetzungen, die das Phänomen der aktiven Seniorinnen erklären: "Es gibt Kontextbedingungen, die den Aktivismus von Frauen dieser Generation begünstigen", sagt er. Denn: "Sie hatten vermehrt die Chance auf Karriere und höhere Bildung, und es wurden ihnen zunehmend Rechte zugesprochen." Dass das Protestverhalten dieser Frauen aber ein allgemeines Generationenphänomen ist, will Brand so nicht stehen lassen "Politisch aktiv ist immer nur eine Minderheit, und das Aufstiegsversprechen hat sich ja auch nicht bei allen, sondern nur manchen der heutigen alten Damen eingelöst", warnt der Sozialwissenschaftler vor Verallgemeinerung.

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Rosmarie Wydler-Wälti © Elke Hegemann/FORWARD
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Alt und selbstbewusst

Der Kern der Aktivistinnen hat nicht erst in der Pension das Protestieren gelernt. Sie sozialisierten sich in den Protestbewegungen der 70er- und 80er-Jahre. Die aktivistischen Seniorinnen haben mehrheitlich einen höheren Bildungsabschluss. So gehören sie zu jenem Milieu, das beruflich in höhere Positionen gekommen ist, jenem der ersten Direktorinnen, Richterinnen und Filialleiterinnen. Das Phänomen der Omas im Widerstand wird also eher von einer bestimmten Gesellschaftsschicht getragen, die auch ökonomisch gut aufgestellt ist. Diese Frauen haben durch ihre Bildung und ihre Erfahrungen mit der Wirkmacht von Protestbewegungen Selbstbewusstsein im politischen Aktivsein erfahren. Sie lernten, dass in ihnen sowohl die Kraft als auch die Macht zur Veränderung liegt.

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 © Christine Tschavoll / picturedesk.com

Omas gegen Rechts. Die protestierenden Seniorinnen bei Demonstrationen in Österreich und Deutschland. Die zivilgesellschaftliche Bewegung wird von Seniorinnen organisiert.

Von diesem Selbstbewusstsein spricht auch Monika Salzer. Sie ist die Gründerin von Omas gegen Rechts, einer Bewegung alter Frauen, die gegen rechte Politik protestieren. "Die Einstellung, ich kann eh nichts ändern, das betrifft uns nicht. In uns ist schon früh der Geist geweckt worden, dass wir die Welt verändern können", sagt sie. Die widerständigen Seniorinnen waren also oftmals schon in jüngeren Jahren in sozialen Bewegungen aktiv. Heute sind sie älter und wollen mit ihren Kompetenzen, ihrer freien Zeit und ihren Anliegen Gesellschaftsrelevantes beitragen.

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Keine Lust auf Ruhe

Warum nicht einfach Ruhestand? "Na weil das ja furchtbar fad ist!", empört sich Monika Salzer, "ich ziehe mich doch nicht aus dem Leben zurück, nur weil ich in Pension bin." So wie sie denken viele Seniorinnen. Ihre Lebenskraft endet nicht mit dem Eintritt in die Pension. Jährlich nimmt die Zahl jener älteren Menschen zu, die sich sozial und politisch engagieren möchten, die gesünder, gebildeter und aktiver sind als die Generationen vor ihnen.

Der Blick auf politischen Aktivismus im Rentenalter wird sich also ändern. Die Auswirkungen des demografischen Wandels führen zu neuen politischen und gesellschaftlichen Bewegungen und eröffnen Möglichkeiten der politischen Teilhabe. Die Generation der Babyboomer erweist sich auch laut Umfragen als überdurchschnittlich politisch interessiert. Sich in der Pension politisch zu betätigen, bedeutet, die eigene Zeit auch als nützlich und sinnvoll zu empfinden, durch den Einsatz der eigenen Kompetenzen gesellschaftlich Respekt und Wertschätzung zu erfahren und wie die Schweizerinnen potenziell sogar Klimapolitik-Geschichte zu schreiben.

Verantwortung für Morgen

Die aktivistischen Omas profitieren also von einem stärkeren Selbstwertgefühl und gesteigerter Lebensqualität. Die Frage bleibt, warum sich Omas im Widerstand dann für höhere Ideen und nicht für den eigenen Vorteil engagieren. Hildegard Schweder, Gründerin der Omas for Future in Österreich, engagiert sich im Naturschutz, anstatt für höhere Pensionen zu kämpfen.

Ich trage Verantwortung für die Welt, in der ich lebe und die ich hinterlasse. Das treibt mich an

Auf ihre Motive angesprochen, erklärt sie: "Ich trage Verantwortung für die Welt, in der ich lebe und die ich hinterlasse. Das treibt mich an." Über dieses Verantwortungsgefühl sind sich die aktiven Frauen einig. Dieses gelte dabei niemandem bestimmten, sondern der Zukunft allgemein. "Das kommt vielleicht durch die Elternschaft, weil da bin ich für jemand anderen auch in Zukunft verantwortlich", so Schweder. Ähnlich sieht das auch Salzer, sie sagt: "Die alte Frau hat Verantwortung für die Demokratie und dafür, dass der Rechtsextremismus nicht wieder kommt, wir sind als Teil der Gesellschaft auch zuständig für die kommenden Generationen."

Dieses Verantwortungsgefühl, von dem die Seniorinnen berichten, lässt sich auch sozialwissenschaftlich als Kategorie fassen, weiß Ulrich Brand. "Soziale Bewegungen formulieren ein universelles Anliegen auf höhere Motive wie Umweltschutz und Menschenrechte, Demokratieerhalt. Dieses universelle Anliegen lässt sich dann auch in das persönliche Verantwortungsgefühl der Aktivistinnen dieser Bewegungen übersetzen", ordnet er den Begriff ein. Er ergänzt, dass sich viele soziale Bewegungen aus Empathie für die Gesellschaft speisen. "Soziale Bewegungen entstehen dadurch, dass sich Menschen persönlich für eine Veränderung zuständig fühlen und sich deshalb aktivieren", sagt der Sozialwissenschaftler.

Die Oma bricht das Klischee

Wir sind keine armen Omas, die zu Hause stricken. Wir sind stark, aktiv und bewirken etwas

Die Oma bricht das Klischee

Die kämpferischen Seniorinnen formieren sich also um das Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft, der Zukunft und den Enkelkindern. Wobei das nicht unbedingt die eigenen Nachkommen sein müssen. Nicht alle der aktivistischen Omas sind auch biologische Omas. Sie bezeichnen sich dennoch so, und das mit vollem Bewusstsein. Eine Oma ist allgemein positiv konnotiert. Der Begriff bezeichnet eine Frau im fortgeschrittenen Alter, sie gilt als fürsorglich, gutmütig, aber eben auch als zurückgezogen und passiv. Letzteres wollen die Aktivistinnen neu besetzen: "Statistisch können wir Omas sein, und deshalb passt der Begriff, auch wenn er biologisch nicht für alle stimmt", sagt Schweder. Dass die Bezeichnung Oma ein Familienkonstrukt fingiere, ist auch für Salzer kein Problem, denn "der Anschein von Beschaulichkeit ist schon okay", erklärt sie. "Unter Omas versteht man etwas anderes als das, was wir eigentlich sind. Wir brechen damit das Klischee auf. Wir sind keine armen Omas, die zu Hause stricken. Wir sind stark, aktiv und bewirken etwas."

Es entsteht der Eindruck, es wären mehrheitlich Frauen im fortgeschrittenen Alter, die sich politisch kämpferisch zeigen und Bewegungen formieren. Diesen Eindruck bestätigen die Aktivistinnen. Den Grund für den vermehrt weiblichen Aktivismus erklären sie sich zum einen durch die Biografien der Frauen, aus deren privater und beruflicher Emanzipation sich ihr politisches Engagement ergeben würde. Sie vermuten aber auch einen Grund in der Biologie. "Frauen geben das Leben weiter und fühlen sich dadurch wahrscheinlich auch für die Zukunft über das eigene Leben hinaus mehr verantwortlich", vermutet Wydler-Wälti. Der Sozialwissenschaftler Brand ergänzt: "Empathie mit anderen, das ist natürlich etwas, das Frauen sehr oft zum Aktivsein treibt. Sie sagen, ich mache das für meine Kinder, oder ich mache das, weil ich etwas Positives auf der Welt hinterlassen will."

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Das Potenzial der alten Frauen

Die Revolution der alten Damen vollzieht sich also im Kontext der demografischen Entwicklung zwischen den älter werdenden Babyboomern und dem aktiven Handeln dieser Frauen. Sie verleihen dem Oma-Begriff eine rebellische und kraftvolle Note.

Heißt das nun, die beschauliche strickende Alte ist nicht mehr? "Nein", sagt Brand "denn die Mehrheit der Seniorinnen ist nicht politisch aktiv, aber immer mehr von ihnen gehen in soziale Bewegungen, und es werden vermutlich auch mehr werden." Nicht alle Omas sind also im Widerstand. Mit ihnen kann aber gerechnet werden, denn sie haben Kraft, sie haben Zeit, und sie haben etwas zu sagen. Sie haben das Potenzial ihrer Generation.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2024 erschienen.

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