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Die Reinigung der Kunst

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Peter Sichrovsky
©Bild: News/Ricardo Herrgott
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Die aktuelle Diskussion, inwieweit das Verhalten eines Künstlers, einer Künstlerin vom Werk, der Performance, zu trennen oder nicht zu trennen sei, zeigt ein Dilemma, das Jahrhunderte alt ist. Die Gesellschaft scheitert oft an dem widersprüchlichen Anspruch, ein Kunstwerk, eine Darbietung unabhängig von den Kunstschaffenden oder abhängig von deren Verhalten zu beurteilen. Anständige und liebenswerte Künstler und Künstlerinnen, die niveauvolle Kunst bieten, widersprechen zum Teil der Vorstellung, Kreative als interessante Außenseiter zu sehen, deren ungewöhnliches, den Normen widersprechendes Leben gerne über Biografien und Dokumentationen nacherlebt und romantisiert wird. In Diktaturen waren und sind Werk und Person eng miteinander verbunden. Das moderne Kunstverständnis zeigt oft überraschende Ähnlichkeiten.

'Soup-Nazi'

In alltäglichen Situationen kann man mit ähnlichen Entscheidungen konfrontiert werden, die Trennung zwischen 'Tun und Sein' ist oft willkürlich. Sollte ein Sänger, der wegen eines Gewaltdeliktes angezeigt wurde, weiter auftreten? Ist ein genialer Chirurg, wegen Betrugs verurteilt, immer noch ein guter Arzt? Sollte ich einen anderen Spezialisten aufsuchen, der mir jedoch nicht die entsprechende Behandlung garantiert? Der Verkäufer des Fischgeschäfts, der die Kunden anschnauzt, wenn sie sich nicht in einer Reihe anstellen, jedoch den besten, frischen Fisch der Gegend anbietet? Soll ich mir diese Unverschämtheit gefallen lassen oder schlechtere Ware bei einem freundlichen Verkäufer kaufen? In der US-Sitcom 'Seinfeld' geht es um ein Restaurant, das die besten Suppen anbietet. Der Besitzer ist derart unfreundlich, dass er 'Soup-Nazi' genannt wird. Seine Kunden streiten untereinander, ob sie hingehen sollten. Die einen wollen ihn boykottieren, andere meinen, sie würden dessen Launen in Kauf nehmen, da er die besten Suppen anbietet.

Selbst bei kriminellem Verhalten reagiert die Gesellschaft die Vorwürfe ignorierend oder bestrafend und ausgrenzend. In der aktuellen Diskussion, dem Vorwurf der Pädophilie, drängt sich der Vergleich mit einem der bekanntesten österreichischen Schriftsteller auf -Peter Altenberg. Verehrt auf zahlreichen Tafeln und mit einer Straße in Wien verewigt, schrieb er über seine Liebschaften: "Frauen sind immer zu alt und nie zu jung." Im Eingangsbereich des Café Central wird seine Statue von wartenden Touristen bestaunt, als Symbol der 'Kaffeehaus-Literatur'.

Rainer Gerlach, der 'Das Buch der Bücher von Peter Altenberg' herausgab, fand über seinen Helden andere Worte: "Die schamlose Begeisterung, mit der Altenberg in seinen Skizzen und Briefen seiner Pädophilie freien Lauf lässt und stolz berichtet, wie er eine auf seinem Schoß sitzende Siebenjährige auf den Mund geküsst habe, verschlägt einem schlicht die Sprache." In Altenbergs Zimmer im Graben-Hotel hingen Dutzende Aktaufnahmen minderjähriger Mädchen.

Unzucht

In der Bösendorferstraße in Wien lud 1928 der weltberühmte Architekt Adolf Loos drei Mädchen ein. Sie waren zwischen acht und zehn Jahre alt. Er wollte sie als gute Tat mittels eines Austauschprogramms nach Frankreich schicken -sagte er als Verteidigung vor Gericht -und nur wegen des besseren Kennenlernens bat er sie, sich auszuziehen und zeichnete sie. Loos wurde wegen des Verdachts der Schändung sowie Verführung zur Unzucht mit Minderjährigen zu vier Monaten bedingtem Arrest verurteilt. Dennoch gibt es in Wien die Adolf-Loos-Gasse, das Adolf-Loos-Haus und die Adolf-Loos-Bar. In Brünn steht das Adolf-Loos-Denkmal. Er gilt bis heute als einer der wichtigsten Vertreter der modernen Architektur.

In der Berliner Gemäldegalerie hängt ein Meisterwerk des italienischen Barockmalers Michelangelo Merisi da Caravaggio, 'Amor als Sieger'. Aufreizend lächelnd rekelt sich ein nackter Junge auf einem weißen Tuch, die Beine weit gespreizt. Das Nacktbild eines Minderjährigen entstammt nicht einer Kinderporno-Webseite, sondern ist der Stolz der Museumsdirektion.

Paul Gauguin, ein Star der Kunstgeschichte , wird bewundert und verachtet. Ein Außenseiter unter den Pariser Impressionisten, ein Rebell gegen Konventionen, ständig pleite und dennoch stets kreativ. Der Ruhm kam erst, als er 1903 mit 54 Jahren, krank und verarmt, in Französisch-Polynesien starb. Seit einigen Jahren bringt die postkoloniale und feministische Kritik den Künstler in Verruf. Statt Wegbereiter der Moderne ist Gauguin plötzlich ein pädophiler Narziss, rücksichtsloser Kolonialkünstler und Rassist. 2017 sollte eine Gauguin-Ausstellung abgesagt werden, weil der Maler in der ehemaligen französischen Kolonie junge Mädchenakte malte. Stattdessen brachte die Diskussion noch mehr Besucher.

Diktaturen

Eine völlig andere Dimension war und ist das Verhalten von Künstlern und Künstlerinnen in autoritären politischen Strukturen, wie z. B. während der Herrschaft der Nationalsozialisten und Kommunisten. Kunst hatte eine wichtige, systemunterstützende Funktion, und genügend Aktive stellten sich zur Verfügung, denunzierten und verrieten Kolleginnen und Kollegen.

In der Sowjetunion unterstützten sie die Schönfärberei des Regimes, reagierten mit Begeisterung auf die Revolution und begründeten den 'Sozialistischen Realismus'. Architektur, Bildhauerei, Literatur und Malerei stellten sich in den Dienst dieser Ideologie. Linientreue erhielten Funktionärsstatus und Privilegien. Gegner und Kritiker wurden verhaftet, in vielen Fällen ermordet.

1934 wurde der 'Schriftstellerverband der UdSSR' gegründet. Zum ersten Kongress kamen 40 ausländische Gastdelegierte (darunter André Malraux, Louis Aragon, Oskar Maria Graf und Klaus Mann). Vorsitzende des Verbandes waren berühmte Namen wie Maxim Gorki, Alexei Tolstoi und Alexander Fadejew. Einzig Fadejew wurde mit der Schande nicht fertig. Er verübte Selbstmord nach Stalins Tod, und gestand einem Freund, er habe als Funktionär des Schriftstellerverbandes vielen Verhaftungen von Literaten zugestimmt -trotz seines Wissens, dass diese Personen unschuldig wären.

Joseph Goebbels stellte auf Anweisung von Hitler 1944 die Liste der 'Gottbegnadeten' zusammen. Sie enthielt rund 400 Künstler und Künstlerinnen. Wer auf der Liste stand, erhielt ein Dokument, das ihn für 'unabkömmlich' erklärte. Diese 'Unabkömmlichen' wurden von militärischen Aufgaben an der Front und vom Arbeitsdienst befreit, die Rationierungen galten für sie nicht.

Unter den 'Unabkömmlichen' befanden sich bekannte Künstler, wie Gustaf Gründgens, Richard Strauß und Wilhelm Furtwängler. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konnten die 'Gottbegnadeten' ihre Arbeit fortsetzen. Wie auch nach dem Zerfall des Kommunismus reagierte die Gesellschaft mit erstaunlichem Verständnis und vergab Künstlern und Künstlerinnen ihre zum Teil kriminellen 'Fehltritte'. Sie bekamen Aufträge, waren Professoren auf Kunsthochschulen, wurden geehrt und gefeiert.

Zensur

Sind Künstler und Künstlerinnen bessere Menschen? Sicher nicht, ebenso wenig ist der Kunstbetrieb anständiger als die Post oder der Verband der Gemüsehändler. Dennoch trennt sie ihre Arbeit von allen anderen in der Gesellschaft. Ein Kunstwerk entsteht nicht im keimfreien Raum, sondern durch Menschen, die im Dialog mit der Außenwelt mittels ihrer Begabung etwas loswerden wollen. Wenn es fertig ist, werfen die meisten es ins Publikum und widmen sich einer neuen Idee. Nur wenige, wie Franz Kafka, wollen es für immer behalten oder mit ins Grab nehmen.

Ob es Kunst ist, entscheiden die anderen, die das Werk übernehmen, losgelöst vom Künstler, der Künstlerin. Wer diese Trennung nicht schafft und das Werk immer noch in der 'Hosentasche' des Schöpfers entdeckt, betrachtet und bewertet, hat Sinn und Mechanismus von Kunst nicht verstanden. Willkürliches Ignorieren und Verurteilen, je nach Laune und Vorurteil, wahllos in der Geschichte der Kunst, Künstler und Künstlerinnen herumwühlen, ersetzt Kunst mit den angepassten und reizlosen Fantasien der nach Ordnung rufenden Kleinbürger.

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