Der Gerichtsmediziner
Johann Missliwetz über den Fall Estibaliz C.
Johann Missliwetz über den Fall Estibaliz C.
Es war fünf Minuten vor Mitternacht, als mein Handy läutete. Ich wurde schlagartig wach. Ein Beamter des Landeskriminalamtes Wien war dran: "Herr Professor, wir haben eine Leiche in Beton."
Heute bin ich 67 Jahre alt, die letzten drei davon in Pension. Ich habe Hunderte Leichen in der Gerichtsmedizin in der Sensengasse 2 in Wien obduziert. Einige ihrer Mörder schafften es in die Medien, weil sie besonders grausam oder in Serie töteten. Viele Fälle kann ich nicht vergessen. Aber mein wichtigster Fall liegt erst wenige Jahre zurück. Die Mörderin wird lebenslänglich hinter Gittern sitzen, weil meine Präsentation als Sachverständiger vor Gericht die Geschworenen von der Kaltblütigkeit der Täterin überzeugt hat.
Das linke Bein
Der 6. Juni 2011 war keine Stunde alt, als ich vor dem Eissalon "Schleckeria" im zwölften Wiener Gemeindebezirk ankam. Ein Polizeiauto parkte mit blinkendem Blaulicht auf dem Gehsteig in der Oswaldgasse. Vor dem Haus mit der Nummer eins informierte mich ein Polizist, Bauarbeiter hätten in einem Keller eine Betonwanne gefunden, aus der ein linkes menschliches Bein ragte. Ich sollte mir ein eigenes Bild verschaffen. Unüblich, denn anders als in Kriminalfilmen werden Gerichtsmediziner nur in Ausnahmefällen zu Tat-oder Fundorten gerufen.
Ich stieg also die Treppen in den Altbaukeller hinab. Es roch feucht und modrig. Die Beamten der Tatortgruppe waren schon da. In einem Abteil stapelten schwarze Plastikwannen und eine Tiefkühltruhe mit der Aufschrift "Eskimo".
Alle bis zum Rand mit Beton befüllt. Ich dachte, wenn in einer Kiste ein Leichenteil steckte, waren die anderen Teile wahrscheinlich in den anderen Wannen. Oder waren es womöglich mehrere Menschen?
Es war nicht so, dass jede Leiche Adrenalin durch meinen Körper pumpte. Aber zerstückelte Körperteile in Beton waren auch für mich ungewöhnlich. Mein erster Gedanke: Wie bekommen wir die schweren Kisten in die Gerichtsmedizin? Wir diskutierten und stritten, weil niemand tragen wollte. Das war wie im Kabarett. Dann wurde beschlossen: Wir brauchen eine Spezialeinheit.
Das Sonderkommando der Wiener Polizei, die WEGA, wurde gerufen. Jeweils vier Beamte schleppten die Wannen die Kellerstiege hinauf. Von dort mit einer Scheibtruhe auf eine Hebebühne und in das Transportauto. Ich habe die halbe Nacht gewartet. Als alles verstaut war, fuhr ich in die Sensengasse. Im Morgengrauen wurden die vier rechteckigen Plastikwannen in den Innenhof der Gerichtsmedizin geliefert. Erst jetzt fuhr ich für den Rest der Nacht nach Hause.
Um neun Uhr am nächsten Morgen standen wir mit den Leuten von der Tatortgruppe um die Wannen herum. Wir überlegten: Wie bekommen wir den Beton von den Überresten? Ich muss dazu sagen, dass wir mal eine eingemauerte Leiche hatten, aber noch nie eine in Beton. Die Tatortgruppe hatte einen Schlagbohrer besorgt. Es ging sonst nicht anders. Sie bohrten in den ersten Betonklotz rein. Ich weiß noch, dass ich dachte, wenn die jetzt in meine Leiche reinfahren, habe ich ein Problem. Es ging gut. Die Leichenteile waren nämlich in Plastik eingewickelt. Damit hatte sich eine Trennschicht gebildet und wir konnten den Beton ablösen.
Wie ein Puzzle
Ich verbrachte den Vormittag damit, jeden Plastiksack, der zum Vorschein kam, zu dokumentieren und auszupacken. Vier Wannen mit acht Plastiksäcken und einer Reisetasche. Ich diktierte meinem Aufnahmegerät: "Begonnen wird mit Wanne drei. Enthalten sind zwei getrennte schwarze Plastiksäcke, Aufschrift der Säcke: Recycling Schwerlast Abfallsack 120 l DM. Im ersten Sack, der geöffnet wird, befindet sich ein weiteres Bein mit Fuß. Im zweiten Sack Hals mit anhaftendem Schulterteil. Gewicht: gesamt dreizehn Kilogramm."
Als wir die Leiche komplett ausgepackt hatten, war klar, dass es ein Mann sein musste. Aber die Identität blieb unbekannt. Kurz darauf läutete das Telefon. Wieder war es der Inspektor des Landeskriminalamtes: "Wir haben hier noch einen Kopf gefunden. Und noch was in Beton. Das bringen wir jetzt." An Feierabend dachte niemand von uns. Ich dokumentierte im Akkord die neuen Säcke und packte aus. Am Ende war klar: Auch diese Leiche war männlich. Die Obduktion gestaltete sich wie ein Puzzle. Wenn ich die Leichenteile hatte, legte ich alles auf und sah, ob etwas fehlte. Kopf, Rumpf, zwei Arme und zwei Beine -alles da. An beiden Köpfen stellte ich mehrere Schussverletzungen fest. Auch, dass aus der Nähe geschossen wurde, konnte ich sehen. Da waren Pulverschwärzungen rund um das Einschussloch. Und es musste Mord gewesen sein. Weil A) zerstückelt sich niemand selbst, und B), sich mehrmals in den Kopf zu schießen, ist schwierig.
Parallel ermittelte die Polizei. Der Keller gehörte einer Estibaliz C. Die Beamten fanden heraus, dass ihre zwei ehemaligen Lebensgefährten seit 2008 und seit Ende 2010 nicht mehr gesehen wurden. Da lag der Verdacht natürlich nahe, dass die Toten die Männer sind. Ich konnte zwar keinen genauen Todeszeitpunkt feststellen, aber die Leichen waren unterschiedlich. Die eine fauliger als die andere. Das heißt, die beiden wurden mit einem zeitlichen Abstand einbetoniert. Außerdem hatten wir in einer Wanne eine mit einbetonierte Milchpackung gefunden. Ablaufdatum: 11. Jänner 2011. DNA-Untersuchungen bestätigten schließlich den Verdacht. Die Polizei konnte die Tatverdächtige festnehmen.
Ein Jahr später bereitete ich mich auf die Verhandlung vor. Ich erstellte ein Gutachten. Beim Prozess wickelte Estibaliz C. die Geschworenen um den Finger. Sie sei ein armes Hascherl gewesen, das sich nicht zu wehren gewusst habe. Am dritten Verhandlungstag kam ich dran. Das Gericht wünschte eine Power-Point-Präsentation. Ich zeigte Bilder der Toten, die Kettensäge, womit die Männer zerstückelt wurden und die Einschusslöcher. Danach änderte sich die Stimmung im Saal. Für das Zeigen der Bilder wurde ich später kritisiert. Ich würde es aber wieder so machen. Die Opfer wurden ja auch nicht geschont.
Die Mordermittlerin
Kathrin Sommer* über den Mord an einer Pensionistin
Kathrin Sommer* über den Mord an einer Pensionistin
Einen Tag vor Weihnachten 2004, um zwei Uhr früh, wurde mein Kollege alarmiert. Im Salzburger Stadtteil Taxham brannte ein Einfamilienhaus. Die Feuerwehr hatte beim Löschen eine weibliche Leiche gefunden. Das war nicht ungewöhnlich, aber der Kopf der Toten wies Verletzungen auf, die nur durch Gewalt entstanden sein konnten. Der Kollege forderte die Spurensicherung an, die Leiche wurde in die Gerichtsmedizin gebracht.
Tödliche Verletzung
Mein Dienst begann um sieben Uhr. Der Kollege vom Nachtdienst informierte meine Gruppe von der Abteilung Gewaltdelikte. Als Erstes befragten wir Nachbarn. Das darf man sich nicht wie im Fernsehen vorstellen. So nach dem Motto: Wir befragen ein paar Zeugen, und schwupps haben wir den Täter. In Wahrheit dauert das Tage. Außerdem muss man jeden Ermittlungsschritt dokumentieren. Der Job eines Kriminalbeamten besteht zu 70 Prozent aus Schreibarbeit.
An diesem Tag brachte die Befragung nichts. Dafür erhielten wir eine Info aus der Gerichtsmedizin. Bei Kapitalverbrechen, also Mord, ist immer jemand von der Kriminalpolizei und von der Tatortgruppe bei der Obduktion dabei, um auf Fragen der Gerichtsmediziner Antwort geben zu können. Das Ergebnis bestätigte unseren Verdacht. Die Frau war tot, als ihr Haus brannte. Der Gerichtsmediziner stellte tödliche Hirnverletzungen fest. Jemand musste dem Opfer auf den Kopf geschlagen haben.
Der Fall war schwierig, weil wir kein Motiv erkennen konnten. Das Opfer war eine 78-jährige Pensionistin. Sie war alleinstehend, mit Bekannten traf sie sich selten. Angehörige gab es nicht. Ob sie vermögend war, wussten wir nicht. Dafür braucht man einen Gerichtsbeschluss. Das dauert. Wir suchten im Haus und im Garten nach dem Tatwerkzeug. In der Küche fanden wir eine Axt mit Haar-und Blutanhaftungen. Der Gerichtsmediziner bestätigte später, dass sie vom Opfer stammten.
Blut an der Kleidung
In den nächsten Tagen befragten wir weitere Nachbarn. Einer sagte aus, dass ihm ein Mann aufgefallen sei, der in einem dunklen VW-Passat das Haus der Pensionistin beobachtet hatte. Ein anderer Zeuge sagte, dass ein Passat gegen 1.15 Uhr zügig weggefahren sei.
Am 27. Dezember riefen Kollegen aus Oberösterreich an. Die observierten einen 41-jährigen Welser Einbrecherkönig. Ihnen war aufgefallen, dass sein Auto in Salzburg stand. Sie wollten wissen, ob bei uns Einbrüche verübt wurden. Wir verglichen ihre Aufzeichnungen mit unserer Rekonstruktion des Tathergangs. Tatsächlich stand sein Auto, ein dunkler VW-Passat, in der Nähe des Tatorts. Durch die Observation und die Befragungen konnten wir nachweisen, dass er in der Tatnacht mit dem Auto zur Tankstelle in Mondsee gefahren war, Benzin gekauft hatte und zurück zum Tatort gerast war.
Wir beantragten einen Haftbefehl bei der Staatsanwaltschaft. Noch am selben Tag, um 18.29 Uhr, klickten die Handschellen. Um 21.30 Uhr fand die Einvernahmen statt. Er verweigerte die Aussage. Am nächsten Tag versuchten wir es noch mal. Da gab er an, dass er sein Auto verliehen hätte. An wen genau, wusste er nicht mehr. Uns fiel auf, dass der Verdächtige angesengte Augenbrauen hatte. Seine Erklärungen dazu konnten wir widerlegen.
Die Kollegen von der Tatortgruppe fanden an seiner Kleidung Blut des Opfers. In seinem Auto lag ein Benzintrichter. Der passte genau auf den Kanister, der im abgebrannten Haus gefunden wurde. An Handschuhen aus seinem Auto stellte die Gerichtsmedizin DNA von ihm und vom Opfer sicher. Die Beweiskette war dicht.
Wir vermuteten, dass die Situation eskaliert war und er die Pensionistin massiv körperlich attackierte, bis sie starb. Ein Geständnis legte er nie ab. Im September 2005 wurde er wegen Mordes und Brandstiftung zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Bis heute ist nicht sicher, ob er noch einen Komplizen hatte. Denn woher hatte er sonst von der alleinstehenden Pensionistin gewusst?
Der Psychiater
Reinhard Haller über den Terroristen und Bombenattentäter Franz Fuchs
Reinhard Haller über den Terroristen und Bombenattentäter Franz Fuchs
Es begann mit dem Serienmörder Jack Unterweger. Der verweigerte 1994 ein Gespräch mit einem Psychiater. Nur nicht mit mir. Nicht weil ich so toll, sondern jung war. Der dachte sich, dass er ein leichtes Spiel mit mir hat.
Als Ende der 90er-Jahre Franz Fuchs festgenommen wurde, wollte der auch nicht sprechen. Da hat man sich bei Gericht wahrscheinlich gedacht, probieren wir es noch mal mit dem Haller. Der Untersuchungsrichter rief mich an und fragte, ob ich das Gutachten übernehmen würde. Ich sagte zu und fuhr mit dem Nachtzug von Feldkirch in Vorarlberg nach Graz in die Justizanstalt Jakomini.
Beim ersten Gespräch mit Franz Fuchs machte er klar, dass er sich nicht psychiatrieren lassen werde. Ich bat ihn, mir trotzdem eine Frage zu beantworten: "Warum hatte die Bajuwarische Befreiungsarmee in jedem Bundesland Kampftruppen, nur nicht in Vorarlberg?" Franz Fuchs war ein sehr langsamer, bedächtiger Mann. Er wollte erst wissen, woher ich aus Vorarlberg stamme. Ich antwortete: Frastanz. Dann fragte er, ob ich wisse, wann die Schlacht bei Frastanz gegen die Schweizer war.
Die Testfrage
Ich war überrascht, dass ein Südsteirer Frastanz kennt und weiß, dass es dort eine Schlacht gab. Ich hätte das im Normalfall nicht gewusst. Zufälligerweise feierte Frastanz damals das 500-Jahre-Jubiläum, und vor meinem Haus erinnerte eine Tafel mit Datum an diese Schlacht. Deshalb konnte ich wie aus der Pistole geschossen antworten: "20. April 1499." Damit überzeugte ich Franz Fuchs.
Ich besuchte ihn sieben Mal für zwei Tage. Wir sprachen oft bis spät in die Nacht über sein Leben, seine Ideologie und seine Wahnvorstellungen. Ich musste einfühlsam sein und gleichzeitig aufpassen, dass ich mich nicht manipulieren lasse. Denn ein großer Verbrecher ist immer ein großer Psychologe.
Die Wahngedanken
Als Sachverständiger musste ich zwei Fragen beantworten: War Franz Fuchs schuldfähig? Und würde er gefährlich bleiben? Die Frage nach der Schuldfähigkeit war schwierig.
Er war zwar ein Narzisst, also extrem empfindlich, aber das schränkte seine Zurechnungsfähigkeit nicht ein. Allerdings hatte er etwa ein Jahr vor seiner Festnahme einen Verfolgungswahn entwickelt. Damit war er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zurechnungsfähig. Die Frage nach der Gefährlichkeit habe ich bejaht. Aus dem Grund, weil Wahngedanken praktisch nicht heilbar sind.
Ich erinnere mich, dass ich eine Woche vor seinem Suizid in München auf einer Tagung war. Dort unterhielt ich mich mit einem Anstaltspsychologen über Franz Fuchs und äußerte meine Vermutung, dass er sich auf eine Art und Weise umbringen wird, die niemand für möglich hält. Da meinte der Anstaltspsychologe, dass er mich ja sonst schätze, aber in diesem Fall würde ich völlig daneben liegen.
Franz Fuchs war für mich außergewöhnlich. Für alle Rollen seiner Verbrechen brauchte er nur eine Person. Franz Fuchs. Er hatte die Idee, lieferte den ideologischen Hintergrund und baute die Bomben. Er war der Chemiker, der Physiker, der EDV-Experte und der Frontsoldat, der die Bomben platzierte. Er war die ganze Bajuwarische Befreiungsarmee, nach der man gefahndet hatte. Und am Ende war er derjenige, der sich selbst verfolgte und zum Tode verurteilte.
Der Tatortermittler
Erwin Kepic über das Mordopfer Sandra Miny
Erwin Kepic über das Mordopfer Sandra Miny
Der 16. Jänner 2006 bleibt mir für immer in Erinnerung. Der Tag, der wegen eines brutalen Mordfalls in die oberösterreichische Kriminalgeschichte eingehen sollte. Ich saß in meinem Büro im Landeskriminalamt in Linz und hatte einen Polizisten am Apparat aus Sarmingstein, einem Ortsteil von St. Nikola an der Donau im Bezirk Perg. "Bei uns treibt eine kopflose Leiche in der Donau." Draußen hatte es minus 20 Grad, und ich habe mich nicht gefreut, dass ich da jetzt raus musste.
Die kopflose Leiche
Straßenarbeiter hatten die Leiche entdeckt und die Polizei alarmiert. Sie trieb noch im Wasser, als meine Leute und ich am Ufer ankamen. Als Erstes habe ich Taucher des Einsatzkommandos Cobra angefordert. Die sind so geschult, dass sie eine Leiche spurenschonend bergen können. Das heißt, sie verpacken die Leiche, bevor sie ans Ufer gelangt.
Parallel suchten wir die Umgebung ab. Wir fanden Blutspuren und Reste von Kleidungsstücken. Alles wurde fotografiert und dokumentiert. Erst dann zogen wir den Leichensack raus und öffneten ihn. Auffallend: Der Leiche fehlte nicht nur der Kopf, sondern auch die Hände, und sie sah aus, als ob jemand versucht hätte, sie zu verbrennen. Ich habe die Leiche fotografiert. Das war hart, weil man gesehen hat, dass es sich um ein junges Mädchen handeln musste. Die Kleidung, die es trug, bestand nur mehr aus Fetzen. Ich habe alles sichergestellt. Das mit der DNA war anders als gewöhnlich, weil es keine Fingernägel gab. Ich überlegte: Wenn man eine Leiche ins Wasser wirft, muss man sie irgendwo angreifen. Im Wadenbereich oder unter den Armen. Also bin ich über diese Stellen mit einem speziellen Polizeiklebeband gegangen, um mögliche Hautschuppen zu sichern.
Die Spuren im Schnee
Währenddessen haben die Taucher eine Säge und eine Hacke entdeckt, in etwa 30 Meter Entfernung vom Auffindungsort der Leiche. Darauf fanden wir Gewebereste der Toten. Damit war klar: Die beiden Dinge waren Tatwerkzeuge. Andere Fragen blieben noch offen: Wo wurde das Mädel getötet? Wo könnten ihr Kopf und die Hände sein?
Zurück im Landeskriminalamt versuchten wir die Leiche zu identifizieren. Eine Abgängigkeitsanzeige gab es nicht. Aber bei der Obduktion fiel auf, dass die Tote mit Tattoos übersät war. Das Problem war nur: Durch die Verbrennungen waren die nicht mehr klar erkennbar. Also mussten wir etwas tun, was wir selten machen: Wir haben die Haut abgezogen, aufgespannt und mit Lösungsmitteln gereinigt, bis das Tattoo zum Vorschein kam. Ein Foto davon haben wir an die Presse gegeben. Ohne Erfolg. Erst Wochen später, als das Bild noch mal in der ORF- Sendung "Thema" gezeigt wurde, meldete sich ein Zeuge. Ein Tätowierer aus dem Waldviertel. Er konnte die Tote identifizieren als die 21-jährige Sandra Miny aus Niederösterreich.
Von Beginn an wurde ihre Mutter verdächtigt. Die war nämlich Tage zuvor bei der Polizei gewesen und erklärte den Kollegen, dass ihre Tochter auf Weltreise sei, nur, falls der getrennt lebende Vater käme, um die Tochter als vermisst zu melden. Das kam uns jetzt komisch vor. Wir untersuchten ihr Auto und fanden eine winzige Blutspur. Wir beschlagnahmten den Wagen und forderten Polizeihunde an. Die riechen Blut, auch wenn es weggewischt wurde. Die Tiere schlugen an. Zur Sicherheit sprühten wir alles mit Luminol aus. Selbst geringste Mengen von Blut lassen sich damit nachweisen. Es war eindeutig: Der Kofferraum war über und über mit Blut beschmiert. Als wir später im Handschuhfach die Rechnung für eine Säge, eine Hacke und einen Benzinkanister fanden, waren wir sicher. Die Gerichtsmedizin bestätigte, dass das Blut aus dem Kofferraum von Sandra Miny war.
Trotzdem konnte wir nirgends den Tatort finden. Wir beantragten eine Handyortung bei der Staatsanwaltschaft. Uns fiel auf, dass sich die Frau in einem Wochenendhaus ihres Chefs im Waldviertel aufgehalten hatte. Wir fuhren hin. Ein einsames Haus mitten in einer Schneelandschaft. In der Scheune entdeckten wir eine skelettierte Hand und Fußspuren, die in den angrenzenden Wald führten. Mit 18 Leichenhunden suchten wir. Schließlich schlug ein Hund an. Wir trugen den Schnee ab. Nach 20 Zentimeter färbte sich der Boden rot. Noch etwas tiefer kam die Brandstelle zum Vorschein. Nach zwei Wochen hatten wir endlich den Tatort gefunden.
Die Mutter von Sandra Miny wurde verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Das Motiv hat sie nie verraten. Ich glaube, dass sie aus Eifersucht tötete, weil ihre Tochter lieber beim Vater war. Wie Sandra Miny starb, konnten wir nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Aber dass die Mutter ihr eigenes Kind derart verstümmelt hat, lässt darauf schließen, dass sie damit wahrscheinlich die Spuren zu sich verwischen wollte. Das hat sie nicht geschafft. Trotzdem bleibt eine Frage bis heute ungeklärt: Wo ist der Kopf von Sandra Miny?
Die Ermittlerin für Sexualdelikte
Brigitte Brunner-Riepl über Roland M. und den Missbrauch an seiner Stieftochter
Brigitte Brunner-Riepl über Roland M. und den Missbrauch an seiner Stieftochter
Sexualverbrechen lassen mich selten kalt. Egal, wie professionell ich in meinem Beruf vorgehe, Emotionen lassen sich nicht gänzlich ausschalten. Mich bewegte es, als ich im Jahr 2013 vom Fall des Pädophilen Roland M. erfuhr. Die Jugendwohlfahrt alarmierte das Landeskriminalamt Burgenland, Ermittlungsbereich Sexualdelikte, das ich damals leitete. Eine zwölfjährige Burgenländerin war ins Spital in Graz eingeliefert worden, nachdem sie Tage zuvor zu Hause ein Kind geboren und dabei viel Blut verloren hatte.
Der Missbrauch
Sex mit Kindern unter 14 Jahren ist strafbar. Deshalb war es richtig, uns zu rufen. Als Erstes habe ich veranlasst, dass vom Neugeborenen Blutproben genommen wurden, für einen möglichen Vaterschaftstest. Dann habe ich mir alle Unterlagen angeschaut, die es zu dieser Familie gab. Dabei fiel der Verdacht auf den 35-jährigen Stiefvater. Der war uns schon bekannt. Zwei Mal saß er wegen Sexualdelikten hinter Gittern. Ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs seiner Stieftöchter aus einer früheren Beziehung war noch im Gang. Sein Anwalt wurde von seiner neuen Lebensgefährtin bezahlt - der Mutter des zwölfjährigen Mädchens. Das heißt, sie wusste, dass ihr Freund im Verdacht stand, Kinder zu missbrauchen. Trotzdem heiratete sie ihn sogar zwei Tage, nachdem die Zwölfjährige das Kind geboren hatte. Ich war erschüttert, wie blind eine Mutter sein kann.
Wir fuhren ins Spital und vernahmen das Mädchen. Sie log uns an. Der Vater ihres Kindes sei ein Schulfreund, den sie nicht namentlich benennen konnte. Wir insistierten nicht, schließlich stand sie unter Druck. Die Geburt, der Loyalitätskonflikt zur Mutter und Roland M., und verliebt war sie auch noch in ihn.
Das Geständnis
Die Staatsanwaltschaft stellte einen Haftbefehl aus. Doch Roland M. flüchtete. Er irrte die halbe Nacht barfuß durch einen Wald. Am nächsten Morgen rief er selbst die Rettung. Er hatte wunde Füße.
Wir konnten ihn im Spital festnehmen. Zuerst bestritt er alles. Doch als wir ihm den positiven Vaterschaftstest zeigten, gestand er. Aber damit war der Fall nicht vorbei. Denn ein Geständnis kann man jederzeit widerrufen. Wir mussten alles mit einer Beweiskette untermauern. Wir sammelten Zeugenaussagen und Spuren. Was wusste die Jugendwohlfahrt? Was wussten Lehrer und Schulfreunde? Personalbeweise sind wichtig, aber der Knackpunkt einer Beweiskette ist immer der Sachbeweis, also die DNA. Am Ende wurde er zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
* Name von der Redaktion geändert