Ob eine türkis-rote Regierungszusammenarbeit zustande kommt, ist offen. Vor allem für die SPÖ von Andreas Babler sind schwierige Fragen damit verbunden – und gibt es ein Risiko
ANALYSE DER WOCHE
In ÖVP und SPÖ ist die Freude über eine mögliche Regierungszusammenarbeit begrenzt: Für Türkise ist nicht klar genug herausgearbeitet, warum ihre Partei in einigen Ländern mit der FPÖ koalieren kann, das auf Bundesebene aber undenkbar sein soll. Warum es an deren Obmann Herbert Kickl scheitern soll. Problem: So kann er als Märtyrer punkten.
Umso mehr muss ÖVP-Chef Karl Nehammer mit der SPÖ liefern. Genossen wie der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig und führende Gewerkschafter wären grundsätzlich bereit dazu. Offen ist, ob es mit ihrem Vorsitzenden Andreas Babler klappen kann. Und wie sich Parteimitglieder, die große Erwartungen in ihn gesetzt haben, genauso verhalten wie sein Widersacher, der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Für Babler und seine Anhänger geht es um Pest oder Cholera: Eine Entscheidung pro Opposition heißt aus ihrer Sicht, sich inhaltlich treu zu bleiben, Kickl jedoch den Weg ins Kanzleramt zu ebnen. Eine Regierung mit ÖVP und Neos bedeutet hingegen, Kompromisse eingehen und auf nennenswerte Vermögenssteuern verzichten zu müssen. Es wäre enttäuschend für sie.
Doskozil ist für die Oppositionsrolle. Einen Kanzler Kickl würde er in Kauf nehmen. Grund: Ohne Märtyrereffekt könnte die FPÖ bei der Burgenland-Wahl im Jänner vielleicht weniger stark zulegen und die SPÖ so eher ihre absolute Mandatsmehrheit verteidigen.
Da gibt es viele Leute mit unterschiedlichen Vorstellungen, die sie dank der Basisdemokratie, die Babler in der SPÖ durchgesetzt hat, auch zum Ausdruck bringen können. Wenn sie wollen – koste es, was es wolle. Siehe PR-Berater Rudolf Fußi, der Unterschriften für eine Kampfabstimmung gegen Babler um den Parteivorsitz sammelt. Er meint, die 14.000 nötigen zu erreichen. Schafft er es, riskiert die SPÖ, wegen Instabilität als potenzielle Regierungspartei auszuscheiden.
FAKTUM DER WOCHE
Image der EU ist in Österreich viel schlechter als in Ungarn
FPÖ-Chef Herbert Kickl kann von mehr Unterstützung für antieuropäische Politik in der eigenen Bevölkerung ausgehen als sein Bündnispartner Viktor Orbán.
„Wir, die Allianz der Patrioten, wollen, dass sich das Projekt der Europäischen Union auf seine tatsächlichen Zielsetzungen fokussiert: Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für möglichst alle Bürger sicherstellen“, heißt es in der „Wiener Erklärung“, die FPÖ-Chef Herbert Kickl und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán Ende Oktober bei einem Treffen im Parlament verabschiedet haben. Was das bedeuten würde? Zitat: „Brüssel soll an politischer Bedeutung verlieren.“ Nationalstaaten sollen wieder gestärkt werden.
Die beiden Politiker stehen für eine Kampfansage an das europäische Integrationsprojekt, die sie im Alltag gerne auch deutlicher zum Ausdruck bringen. So behält sich Kickl vor, „vielleicht einmal“ zu verlangen, dass Österreich aus der EU austritt. Orbán wiederum hat seine Landsleute jüngst dazu aufgerufen, „Widerstand“ gegen die EU zu leisten – wie beim ungarischen Volksaufstand, der sich 1956 gegen das kommunistische Regime richtete.
Das könnte den Eindruck erwecken, dass die Stimmung gegenüber Brüssel in der ungarischen Bevölkerung besonders übel sei. Ein Irrtum: Gemessen an allen Mitgliedsländern zusammen ist sie durchschnittlich. 47 Prozent sehen die EU positiv, nur 14 Prozent negativ. In Österreich sind die Verhältnisse viel schlechter: Hier haben 41 Prozent einen positiven und 27 Prozent einen negativen Gesamteindruck. Das sind fast zwei Mal mehr als in Ungarn. Ähnlich verhält es sich bei anderen Fragestellungen: Sagen in Österreich 35 Prozent, dass man von der Mitgliedschaft nicht profitiere, sind es in Ungarn mit 21 Prozent wesentlich weniger. Das hat eine Eurobarometer-Erhebung im Sommer ergeben. Es lässt den Schluss zu, dass Kickl auf nationaler Ebene von mehr Unterstützung für seinen Kurs ausgehen kann als Orbán.